Heft 
(1889) 03
Seite
57
Einzelbild herunterladen

Z.

Deutschland.

Seite 57.

käme, da das Denkmal sich so dicht vor den Triumphbogen stellt, daß zu diesem nur eine schmale Zufahrt von den Seiten her für Hofequipagen erhalten bleibt, wäre freilich unan­nehmbar; rind in dem Gesamt-Denkmale ist neben dem Haupt­stück allerlei überflüssige Znthat, deren Beseitigung nur von Vorteil sein würde. Aber dieses Hnnptstück, das ausgezeichnete Reiterbild des Kaisers mit der originellen Bewegung des Pfer­des, auf einem Piedeftale, zu dessen Seiten zwei Gruppen, hü­ben Vertreteter aller Waffengattungen und der Marine, drüben Vertreter der bürgerlichen Berufsarten, zu ihrem Kaiser, dem Heldenführer und dem Friedenshort, empvrjnbeln, wahrend an der Vorderseite Bismarck, Moltke und Roon in innigstem Zu­sammenwirken dargestellt sind, hat unter den plastischen Denk­mälern der ganzen Konkurrenz schlechterdings nicht seines­gleichen in Bezug auf Porträttrene, bedeutsame und doch herzliche Charakterisierung und nicht einseitige, sondern wirklich ^ erschöpfende und unmittelbar deutliche Verkörperung der not­wendigsten Nebengedanken. Die drei geistigen Rüstzenge des kaiserlichen Werkes insbesondere sind vielleicht noch nie in so ganz befriedigender Weise dargestellt worden wie hier, und es ist wohl nnznnehmen, daß die außerordentlich sorgfältig ans­gearbeitete Gruppe demnächst als selbständiges Werk ihren Weg suchen und finden wird. Und auch die beiden Seitengruppen haben jenes Merkmal wirklicher Vollendung, daß einem das Nene wie ein alter Bekannter, ganz selbstoerstündlich und als ob es nicht anders sein könnte, vorkommt. Um übrigens auch ^ berechtigten! Tadel nicht zu unterdrücken, will ich nicht uner­wähnt lassen, daß das ungefüge Schwert in der Hand des Kaisers wohl einer zeitgemäßeren Waffe würde weichen müs­sen. Leider ist das Reiterdenkmnl was an sich ein Lob mehr ist so eng mit der beabsichtigten Gesnmtanlage ver­wachsen, daß es einzeln nicht verwendbar ist. Denn die lebenden Bilder um den Sockel her wären nur im Zusammen­hänge einer unifangreichen Gruppierung nach ähnlichen Grund­sätzen zulässig. Und das Denkmal war hier auf eine von hin­ten geschützte Aufstellung berechnet; es würde daher freistehend unmöglich sein.

Unter allen Umständen war aber eine Art der Beurtei­lung bei der Jury nicht zu billigen, die es ermöglichte, eine solche Gabe unbeachtet zu lassen. Ich meine, die Jury hätte, zumal bei einer so ausgesprochenen Orientiernngskonknrrenz, die Verpflichtung gehabt, nicht jeden Entwurf als ein unbe- rührbares Ganze zu betrachten, das entweder ist, wie es ist, oder nicht ist, sondern sie Hütte die verschiedenen Teile jedes einzelnen Denkmalsgedankens auch für sich untersuchen sollen, um so das Gute auch da für die weiteren Schritte nutzbrin­gend zu machen, wo es zufällig neben minder Gutem oder ganz Schlechtem heroortritt, dessengleichen wieder an andern Stel­len in vorzüglicherer Beschaffenheit zu finden war.

Alan wende nicht ein, daß dies mit ein paar festge­setzten ersten und zweiten Preisen sich nicht ansdrücken ließ. Erstens konnten die Preise mit motivierenden und beschränken­den kurzen Urteilen begleitet sein, und zweitens konnte und mußte die Jury ein ausführliches Gutachten über alle irgend­wie bemerkenswerten Entwürfe abgeben. Es wäre viel besser gewesen, nin hierfür Zeit zu gewinnen, die Urteilsverkündignng selbst monatelang hinanszuschieben, als zum Zwecke schneller Geschäftsabwicklung das ganze Wettlaufen ergebnislos, das Ur­teil wertlos zu machen.

Jedenfalls werden die leitenden Stellen den Eindruck ge­wonnen haben, daß man der Phantasie der Künstler nicht noch einmal so vollständig die Zügel schießen lassen darf, und, wenn man noch nicht zu weiteren Bestimmtheiten gekommen ist, we­nigstens eine nicht zu überschreitende Herstellungssnmme für das Denkmal answerfen muß. Die Künstler würden sich dann verpflichten müssen, im Falle der Bestellung das Denkmal für diese Summe als Maximum zu liefern, und eine fachmännische Vorjury, ähnlich wie eine solche bei der Reichstagsbaukonknr- renz bestand, müßte die Herstellbnrkeit der eingelieferten Ent­würfe für die bestimmte Summe begutachten und vorweg alle Pläne rücksichtslos von der Zulassung nusschließen, welche die­

ser wesentlichen Konknrrenzbedingung nicht entsprächen. Es wird niemandem einfallen, an dem Denkmale Kaiser Wilhelms in Berlin knausern und knickern zu wollen, aber solche Blanko­wechsel ans die Zukunft ausznstellen auch nicht. Unsere monu­mentale Dankbarkeit muß auch mit dieser glänzendsten Episode unserer Geschichte in absehbarer Zeit und mit übersehbaren und erschwingbaren Mitteln fertig werden.

Es ist leider wenig, was diese erste Kaiser-Wilhelm-Kon­kurrenz ergeben hat, und das Wenige ist kaum in irgend einen! Teile derart, daß man nicht sagen müßte: Das konnte man ohne die Konkurrenz ungefähr auch haben!

Gegen die Prüderie.

Vvn

I. M-

m 20. Oktober soll auf der Freien Bühne das Erst­lingswerk eines bis jetzt vollkommen unbekannten jun­gen Dichters zur Darstellung gelangen. Das gedruckte Stück ist aber längst in den Händen vieler Vereinsmitglieder der Freien Bühne, und man kann bereits von Damen und Herren Ausrufe des Erstaunens über einzelne gewagte Auf­tritte und starke Worte hören. Wie ich zu wissen glaube, hat der Verfasser in seiner Bühnenbearbeitnng dein Bedürfnisse des Theaters mancherlei Opfer gebracht, und so werden sich die Gegner nicht an Einzelheiten halten können.

Aber der Vorgang giebt dennoch zu denken. Wenn das am grünen Holze der Mitglieder der Freien Bühne geschieht, wie muß es um die Prüderie in weiteren Gesellschaftskreisen stehen! So oft sich bei uns in Kunstsragen neues Leben regen will, ebenso oft erweist sich die Prüderie als eine gefähr­liche Feindin, welche unter mancherlei Verkleidungen ihr Ziel zu erreichen sucht: die talentlose Wohlanständigkeit in ihrer herrschenden Stellung zu erhalten.

In England, dem Vaterlande von Shakespeare und Byron, ist die Prüderie gegenwärtig so unbestritten siegreich, daß man unsere höhere Tochter, welche für die Prüderie zu­gleich den Vorwand und das Opfer bietet, jeden englischen Roman und jedes englische Buch ungeprüpft lesen läßt. Die heutigen Engländer beurteilen Kunst und Litteratur ungefähr vom Standpunkt ihrer Tisch-Etikette; wenn Messer und Gabel nur der gegenwärtigen Sitte gemäß gehandhabt werden, wenn die Speisenkarte nur kostbare Namen anfzählt, so kommt es auf die Nahrung selbst weniger an. Die englischen Zeitungen bringen spnltenlnnge Berichte über Jack den Anfschlitzer; wenn man aber die Gesichter der Zeitungsleser betrachtet und ihre Gespräche darüber hört, so könnte man glauben, die Grenelthaten dieses Unholds wären in China oder im Innern von Afrika passiert.

In Frankreich, dessen Hauptstadt als Babel von jedem ehrenwerten Deutschen verdammt und von jedem wohlhaben­den ausgesucht wird, beherrscht die Prüderie einseitig nur das Geistesleben des Weibes. Dort hat sich, namentlich unter der dritten Republik, eine dreifache Litteratur entwickelt, deren Er­zeugnisse gar nicht wie die desselben Landes und derselben Zeit aussehen. Da giebt es Bücher für junge Damen und pflicht­treue Hausfrauen, eine Litteratur, die an Verlogenheit, Lange­weile und Frömmelei die schlimmsten Thaten der englischen Fannliendichtkunst übertrifft. Auf der anderen Seite steht in Frankreich ein ebenso poesieverlassenes Bnchgeschüft, welches die gemeinsten Bedürfnisse verlodderter Männer und ihrer Freun­dinnen reizt und befriedigt und den Markt dermaßen über­schwemmt, daß ein flüchtiger Blick wirklich glauben machen könnte, die geistige Welt Frankreichs wäre durch die Pornographie vertreten. Die Pornographie hat, durch die republikanische Freiheit begünstigt, vielfach ansteckend gewirkt, und glänzend geschriebene und illustrierte Blätter, sowie große Schriftsteller