Heft 
(1889) 09
Seite
147
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Deutschland.

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nicht viel verlieren wird, und läßt sich in der Straße, wo die Engländer wohnen, heute nicht blicken."

Ein treuer Freund" lautete die Unterschrift dieser unver­schämten Zumutung.

Damit war jeder Zweifel, der mich Hütte vvm Feste zu­rückhalten können, beseitigt. Ich faltete das alberne Schriftstück zusammen und klingelte meinem Burschen, damit er unverzüg­lich alles aufs feinste herrichte, was ich heute abend anziehen wollte.

Es wäre mir als ganz gemeine Feigheit erschienen, die Drohung solch eines Buschkleppers zu beachten. Daran zu denken, daß diese Drohung von Seraphinen selber herrühren könnte, siel mir nach allem, was ich von ihr erfahren hatte, doch nicht ein. Ich liebte sie noch immer zu sehr, um sie einer unwürdigen Handlung für fähig zu halten, und nichts erscheint mir unwürdiger, als einen deutschen Offizier mit Furcht beein­flussen zu wollen.

Mit dem Schlag acht stand ich fix und fertig in meinem Zimmer, ließ mir von meinem Burschen die letzten Striche mit der Bürste angedeihen und dann den Mantel umhüngen. Die Frage, ob er mich begleiten sollte, siel mir, so gewöhnlich sie war, heute abend als eine komische auf. Ich verneinte sie selbst­verständlich. Die einzige Vorsicht, die ich gebrauchte, war, daß ich wider Gewohnheit einen scharf geschliffenen Degen wühlte und diesen nicht ins Bandelier steckte, sondern in der Scheide wie einen Spazierstock in die Hand nahm, als ich mich auf den Weg machte.

Die Straßenbeleuchtung unserer Residenz war damals noch nicht so berühmt wie heute. Aber es war sternklare Nacht und trockenes Frostwetter, so daß ich den kurzen Weg zu Parkers ohne Sorge für meine Lackstiefel zu Fuß zurück­legen konnte.

Die meisten Gäste waren schon unterwegs. Ein Wagen nach dem andern rollte an mir vorbei, den Fußgänger über­holend. Ich sah geradeaus, jeden in der Nacht schleichenden Feind verachtend, bald auch vollkommen überzeugt, daß sich irgend ein Lasse einen schlechten Spaß erlaubt habe, den man auch nicht im geringsten beachten durfte.

Als ich in die Straße kam, wo aus allen Fenstern des Parkerschen Hauses reichliches Licht in die sonst so dunkle Häuserreihe fiel, sah ich fünfzehn Schritt vor mir aus einem Wagen, der vor der Pforte Hielt, einen alten Herrn, dem die Frackschöße unter dem Überrock und etliche Komturkreuze unter dem Cachenez heraushingen, und hinterdrein zwei in Mäntel und Schleier gehüllte Damen anssteigen und im Hausflur ver­schwinden.

Dann machte der Wagen einen Bogen und kam mit seinen zwei gelben Laternenaugen rasselnd an mir vorbeigetrottet.

Kaum, daß er vorüber war, hört' ich von der anderen Seite der Straße eine gellende weibliche Stimme schreien: .Heinrich!" Ich blieb stehen und sah hinüber in demselben Augenblick knallte nicht sonderlich laut ein Schuß und dicht vor meiner Nase schlug die Kugel in die Hauswand zu meiner Rechten, daß ich den Luftdruck im Gesicht verspürte *und der losgeplatzte Mörtel mir in die Angen spritzte. Gleich darauf hört' ich einen harten Gegenstand aufs Pflaster fallen und hurtige Schritte, die sich laufend entfernten.

Ich kehrte mich zunächst nach der Wand und befühlte

das Loch, darin die Kugel saß, mit dem Finger.Dreizehn Millimeter!" sagte ich unwillkürlich.

Dann schritt ich über die Straße und fand halbwegs des Fahrdamms die Mordwaffe, die der Attentäter schaudernd über die eigene That von sich geworfen hatte, als er die Flucht er­griffen. . . .

Es war das wohlbekannte Pistölchen belgischen Fabrikats mit eiseliertem, fingerlangem Lauf und geschnitztem Ebenholz­griff, das Seraphine vorzeiten ihrem Erzeuger heimlich weg­genommen und das ich oft genug in ihren kleinen weißen Hän­den gesehen hatte. . . .

In ihren kleinen weißen Händen, die an mir zum Mörder- Werden wollten. . . . Warum? . . . Weil sie mich gar so lieb hatte. . . . Ja, ja!

Ein tiefes Bedauern mit dem armen Mädchen bemächtigte sich meines ganzen Empfindens. Ein tiefes Bedauern und ein tiefer Widerwille zugleich.

Ich steckte die zierliche Waffe, an der im Aufprallen auf das Pflaster der Hahn abgesprungen war, in die Tasche mei­nes Mantels und walzte die Nacht bis an den Morgen.

Am andern Morgen erhielt ich schon einen Brief Sera- phinens. Den Hab' ich mir gemerkt und werde ihn noch am jüngsten Tage auswendig wissen:

Einzig und ewig Geliebter! Du sollst mir nicht ver­zeihen. Niemals, wie auch ich mir niemals verzeihen werde. Deine Rache nehme ich auf mich. Ich kann mich nicht härter, nicht gründlicher strafen, als daß ich meiner irdischen und himm­lischen Glückseligkeit für immer entsage, daß ich auf ewig mich mit eigenen: Willen unglücklich mache, indem ich mich verurteile, Dich frei zu geben und einem ungeliebten Manne meine Hand zu reichen. Eine Hölle fürs ganze Leben!

Du wirst mich vergessen und glücklich sein. Dies mein Gebet zu Gott, wenn anders Gott das Gebet eines so ver­worfenen und so ganz unglückseligen Geschöpfes erhören mag, das sich ans reiner, rasender Liebe mit Wonne in Deinem Blute gebadet Hütte, Deiner verbrecherischen Seraphine."

Wenige Tage darauf veröffentlichten die Eltern ihre Ver­lobung mit dem Hauptmann erster Klasse.

Er hat sie nichts weniger als unglücklich auf Lebensdauer- gemacht, sondern nach und nach zur blühenden Mutter von sieben blühenden Kindern, sie wurde dick und fett und endlich Generalin, Excellenz und Stiftsdame, und ist ihr das alles ausgezeichnet gut bekommen, wie ich es ihr von Herzen ge­wünscht habe.

Fast gleichzeitig mit dieser Nachricht kam mir die andere zu, daß ich in ein anderes Regiment versetzt sei, weit weg. Ich dankte dies auch der Vorsicht meines guten Vaters, der sich dabei wohl dachte: aus den Augen, aus dem-Sinn! und weit davon ist gut vorm Schuß!

Also endet die Geschichte meiner ersten Liebe, die Jhr durchaus von mir habt vernehmen wollen. Möge sie Euch gefallen haben!

Ihr lacht mich aus und meint, es wäre eine gar thörichte Liebe gewesen, von der ich nicht viel Gutes gehabt hätte! Mag sein . . . Allein die Liebe, merkt Euch das, Ihr jungen Düchse, die Liebe macht den Menschen allemal thöricht, und die erste Liebe gar!

Und mag die meine, zugegeben, auch noch ganz besonders