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Lin Land, mit dem verwöhnte Touristen Wohl nicht viel anzufangen wüßten.
Doch haftet des Dichters Auge dran,
Sangt alles zu leben, zu leuchten an.
Aus alten Samiliengrüften zu Lauf Steigen verschollne Geschlechter auf,
Und haben ernste und heitre Geschichten Dem horchenden Wandrer zu berichten.
Und der dicke Krüger, die stämmige Magd, Der Slachskopf, der am Daumen nagt, Das leibt und lebt so frisch und echt, Spricht seine Sprache schlecht und recht;
Ist nichts so groß und nichts so klein,
Der Dichter schließt's in sein Lerz hinein, Und wie er geliebt, was er beschrieben,
So müssen wir's nun wieder lieben.
Denn also war's von Anbeginn:
All eure Kunst bringt nicht Gewinn,
Blickt zwischen den bunten Zeilen nicht Lervor ein Menschenangesicht,
Das seine eigenen Züge trägt;
Ob's nun zur Ehrfurcht uns beivegt,
Gder treuherzig lächeln mag:
Ich brn von bürgerlichem Schlag.
Doch lieb' ich Alles, was diese Welt An schlichter Menschlichkeit enthält,
An Geistesadel und Seelenglut,
Scheinlosem Verdienst und Leldenmut Und Anmut, die in dürft'ger Lülle
Deutschland.
Sich labt an Liebes- und Lebenssülle.
Das freilich zu erkennen taugen Kur liebevolle Poetenaugen.
Doch wer aus solchen Augen schaut,
Der, wenn des Alters Zwielicht graut, Blickt noch so klar ins Leben hinein, wie einst im Jugendsonnenschein.
So grüßest auch Du den Sreund noch immer, Tritt er zu Dir ins traute Zimmer,
So prunklos bürgerlich noch heut.
Säst wie zur 48 er Zeit.
(Sind unsre Dichter doch nicht gewohnt, Daß man sie königlich belohnt,
Und hätten sie mit Seuerzungen Des Vaterlandes Ruhm gesungen.)
Und staunend Hab' ich bei mir gedacht: was fabelt man von der Jahre Macht? Trat er viel anders dazumal In den rauchgeschwärzten Tunnelsaal?
Sitzt er auf die Postille gebückt,
Seit bei den Siebz'gern er eingerückt?
Lin leiser Reif hat angestaubt Sein apollinisches Lockenhaupt,
Doch pflegt er's immer noch hoch zu tragen, '- And wollt' ich ihn auf's Gewissen fragen: Spürst nun auch Du, mein alter Sreünd, Daß nicht so hell mehr die Sonne scheint? Lr würd' einen Scherz vom Zaune brechen Und sein Berlinisch „Is nich!" sprechen.
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So recht! So laß, wie die Jahre schwinden, Dich immer tapfer den Alten finden.
Zeige den Jungen, den Naturalisten, wie sie's eigentlich machen müßten, wollten sie wirkliches nur verehren Und doch als Dichter sich bewähren,
Und steh dem tollen Lauf der Zeiten In heiterm Gleichmut zu vom weiten.
Du lässest ja zwischen Lrnst und Lachen Das alles längst von Andern machen. Denn. der getreu sich bleibt wie Du,
Sällt auch die Treue der Andern zu.
Und nimmt Dir einst den Wanderstab Der Wirt „zur stillen Linkehr" ab,
Gieb Acht, nicht bleibt's bei müßigem Trauern: Ilicht viele Jahre fürwahr wird's dauern, Da werden die Enkel in Neu-Ruppin — Dicht doch! gleich mitten im alten Berlin Lin schmuckes Standbild Dir ernchten, Reliefs am Sockel aus Deinen Gedichten, Treffliche Reden werden erschallen Und dichtumschart die Lülle fallen Unter Musik und Vivatgcschrei.
Unsichtbar bist Du auch dabei
Und blickst hernieder aus Stcrnenhöh'n.
Ich höre Dich sprechen: „wunderschön!
Lin herrliches Kunstwerk! Doch verzeiht — Mir fehlt der Sinn für Seierlichkeit!" München.
HMrw Keyt'e.
HgS Machilager.
Ein Bild aus dem Osten.
Von
Hermann Sudermann.
(Schluß.)
wtt soll stehn mir bei!" rief Rosenzweig, „es ist kein Fenchel mehr im Hanse, nicht soviel wie Schwarz nnterm Nagel ist im Hanse. Aber wart' der Herr Dokterleben bis morgen in der Früh, noch wenige Stunden wart' der Herr Dokterleben, dann soll geschafft sein Milach, soviel wird wollen der gnädige Herr Dotier."
Mein Frennd kante seine Unterlippe; dann sagte er: „Gut, Ihr könnt gehen!" Der dnmpfe Klang seiner Stimme fiel mir ans, — etwas wie ein finsterer Entschluß lag darin.
„Und haben die gnädigen Herren noch ßn befehlen was för de Nacht?"
„Nichts!"
, Roscnzweig verschwand. Mein Frennd aber trat hinter den Verschlag, enthob den Backtrog dem Bereiche der Brannt- weinflnschen und setzte ihn behutsam ans den Ladentisch. Dann lüftete er das rotbunte Tuch von dem Körperchen und hieß mich darüber hinleuchten.
Regungslos lag das kleine Wesen da, selbst ein Atmen ließ sich kaum spüren. Die^Augen waren geschlossen, und ans dein Munde, dem der Gnmmipfropfen entfallen war, stoß ein schaumiger Speichel. Wieder neigte mein Frennd das Ohr zu dem Brustkasten des Kindes herab und horchte lange.
Ich sah ihn fragend an, aber er verharrte in Schweigen. Endlich sagte er: „Hier ans dem Tische mag es liegen bleiben,
damit ich es im Auge behalten kann. Nun mach Dir keine Gedanken mehr und komm schlafen. Ich bin müde, habe seit zwei Uhr früh im Wagen gesessen."
Damit hüllte er sich in seinen Mantel und streckte sich an der Schmalseite des Ofens ans die hölzerne Bank, mir die breitere Seite überlassend.
Ich löschte das Licht und folgte seinem Beispiele. Wir sprachen kein Wort mehr, allein an Einschlafen war für mich nicht zu denken. Ich war so erregt, daß mein Blut mir wie ein buntfarbiges Sprühfeuer vor den Angen tanzte und alles ringsum zu rauschen und zu brausen schien.
Mein Blick haftete wie gebannt an dem rundlichen Schatten, der von dem Schanktische her in verschwommenen Umrissen zu mir herüberschimmerte. Alles totenstill ringsum, nur ans dem Hinterhanse drang von Zeit zu Zeit ein unbestimmbarer Laut, einem leisen Klagerufe gleich, in den sich ein noch leiseres Wispern und Tuscheln mischte.
Ein Gefühl der Furcht überschlich mich. Ich wollte mich noch einmal vergewissern, daß nicht etwa meine überreizte Phantasie mich getäuscht habe, und dann meinen Frennd darauf aufmerksam machen; da blieb der Spuk verschwunden. Nichts ließ sich mehr hören, nur unter den Dielen raschelten die Ratten.
Ungefähr zwei Stunden vergingen. Durch die Fenster begann der höher steigende Mond geisterbleiche Lichter zu senden, welche zuerst den Raum mit einein ungewissen Dümmerschein erfüllten und dann in Weißen, viereckigen Gebilden sich an den Wänden abzirkelten. Langsam und nnmerklich fast, doch von dem ansharrenden Auge wohl zu verfolgen, rückten diese wie Phosphor leuchtenden Flecken von der Stelle. Der eine kam auf unsere Lagerstatt herzngeschlichen, der zweite, dein der Schatten eines