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Deutschland.
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vor dem Fenster stehenden Weidenbnsches Leben und Bewegung lieh, tanzte in kleinen Flümmchen auf den Branntweinflaschen umher, als habe er sich an dem Dunste, der ihnen entströmte, einen Rausch getrunken: der dritte aber kroch wie ein Vampyr, wie ein auf dem Bauche liegendes Gespenst, über die Lehnen der Banke dem Schanktische zu, aus dem unser Schützling ruhte.
Die nervöse Angst, die meine Glieder dnrchzitterte, Verstärkte sich noch. Ich bildete mir ein, ich sähe den Tod, der, in ein weißes Leichengewand gehüllt, des Weges daherschlich und seine leuchtenden Knochenarme nach dem armen Kinde ausstreckte.
Mir war, als müßte ich mich ihm entgegeuwerfen, als müßte ich schreien: „Halt ein! Noch nicht — nur jetzt noch nicht!" Aber die Kehle schnürte sich mir zu, die Glieder versagten nur den Dienst, — wie ein Alp lag es auf mir. Ermüdet durch die Qual meiner Phantasieeu schloß ich die Augen, und sofort begann ein wilder Reigen von Flammen und Funken um mich her zu tanzen.
„Du mußt Dich zum Schlafe zwingen," sagte ich mir und fing inmitten des Lichterspieles an, mechanisch von eins ab zu zählen, ein Mittel, das sich noch immer bei mir bewährt hatte.
Ich war bei fünfhundertundsiebzig oder achtzig angelangt - genau wußte ich es nicht, denn die Zahlen begannen bereits sich zu allerhand Fratzengebildeu ineinander zu schlingen, da fuhr ich plötzlich wie vom Blitze getroffen in die Höhe: ein lauter, langgezogener Schrei schlug an mein Ohr.
„Hast Du gehört?" fragte ich, mich aufrichtend.
Aber mein Freund antwortete nicht, er war fest eingeschlafen.
Meine Angst wuchs. Ich zitterte am ganzen Leibe, — halb nufgerichtet, die eine Hand gegen die Bank gestützt, mit der andern die Kaute des Ziegelofens umklammernd, so lauschte ich. Aber nichts ließ sich hören. Still, totenstill war es wieder in: ganzen Hause; nur das Rauschen und Brausen in meinen Ohren dauerte fort.
„Sollte Dich am Ende Dein überhitztes Hirn genarrt haben?" fragte ich mich; sah ich doch Lichter, die niemand angezündet, hörte ich doch Töne, die niemand hervorgebracht, — wie leicht konnte auch dieser eine Schrei in meinen überreizten Sinnen seinen Ursprung haben? Und ich beschloß, den Freund noch für diesmal ruhen zu lassen.
Dann fiel inein Blick auf den Schanktisch. Während ich im Einschlafen gewesen, war das Mondlicht weiter und weiter gewandert, und nun, da es sein Ziel erreicht, hatte es sein grauenhaft gespenstisches Wesen ganz und gar verloren. Friedlich ruhten seine Strahlen auf der kläglichen Lagerstatt des armen Würmchens, erhellten die bunten Lappen, in welche es gewickelt war, und verklärten mit mildem, weißem Schimmer das kleine, toteufarbeue Angesicht, daß es dalag wie aus Schnee, aus Schaum gebildet.
Unwillkürlich faltete ich die Hände. Mir war, als müßte ich für dies matte, halb gebrochene Leben ein Gebet zu Gott emporsenden, zu dem Gotte, an den ich nicht glaubte. Und von der Ruhe, die auf den: Bilde lag, fiel ein Strahl auch in den Aufruhr meiner Sinne. Ich wickelte mich fester in
meinen Mantel, und die Augen fest auf das schlummernde Kind geheftet, nahm ich sein Bild mit in den Traum hinüber.
Als ich erwachte, brach das blasse, verschleierte Licht eines nebligen Septembermvrgens durch die Fenster. Meine Stirn schmerzte nur, und auf dem Scheitel lastete der Druck eines Centners. Als ich mich aufrichtete, war mir's, als klängen, wie aus dem Schlaf herüber, die Schreie einer Frauenstimme an mein Ohr.
Ich rieb mir die Schläfen. Wie kan: ich zu der Erinnerung? Hatte mir von diesen Schreien geträumt? Waren sie von außen her in meinen Schlaf gedrungen? Oder hatte sie mein Ohr als Nachhall jenes einen, der mich aus dem Halbschlaf aufgeschreckt, bis zun: Morgen festgehalten?
Mein Freund schlief noch. Ich wußte wohl, er hatte die Ruhe nötig, er, der Wohl drei Nächte in der Woche in: Wagen zubrachte, auf den: Wege nach irgend einer Banern- hütte, wo es zu retten und zu helfen galt. Er hatte sich in: Schlafe ganz in sich zusammengekanert und stöhnte und pustete, daß es einen Stein hätte erbarmen können.
Mein Blick glitt von ihm zu unser::: Schützling. Still und regungslos lag er da, wie in allen diesen Stunden; doch als ich näher trat, schien es nur, als hätte diese Regungslosigkeit etwas Starres, Steinernes angenommen, was ihr bisher nicht eigen gewesen.
In plötzlicher Angst faßte ich nach der blutlosen Stirn. Sie war kalt wie Eis.
Ich stieß einen Ruf aus, der meinen Freund erweckte.
„Was giebt's?" rief er.
„Rudolf," sagte ich, „komm her, — ich fürchte, unser nackter Spatz ist tot."
„Ja, er ist tot," sagte er, ohne anfznschaucu und ohne sich von: Platze zu rühren.
„Ermuntere Dich doch, hiermit ist nicht zu scherzen, Rudolf," sagte ich, denn ich glaubte, daß er noch in: Schlafe spräche.
„Wer sagt Dir, daß ich scherze?" erwiderte er und schaute nur ernst und ruhig ins Gesicht.
„Du hast ja das Kind nicht einmal angesehen!"
„Wozu?" sagte er, „ich kenne den Tod. Als ich mich gestern niederlegte, wußte ich, daß ich heute in der Frühe eine Leiche finden würde."
„Und Du hast es sterben lassen?" rief ich entsetzt. „Du konntest ruhig einschlafen, während es mit den: Tode rang?"
„Muß ich mich vor Dir entschuldigen?" erwiderte er, indem er mich mit ernsten: Lächeln ansah. „Lieber Junge, der Arzt muß es verstehen, sterben zu lassen, was da sterben will, und — was dem Tode geweiht ist, soll man ihn: nicht vorenthalten. Vielleicht Hütte ich gestern noch einiges thuu können, dies schwache Leben bis heute morgen auch ohne Milch zu erhalten; aber ich — ich — wollte nicht, und damit, glaub' ich, Hab' ich besser für das Kind gesorgt, als alle seine Pfleger insgesamt. Ich hoffe, Du verstehst mich. Was aber den Todeskampf nnbetrifft, so magst Du Dich trösten; es ist ruhiger eingeschlafen als wir beide. — -- Und doch — und doch," fuhr er nach einer Pause fort, indem er nach seiner Stirn faßte, „mir ist doch, als hätt' ich im Schlafe Schreie gehört, — Schreie, die -- die —"
„Du auch?" rief ich erschrocken.