Heft 
(1889) 14
Seite
233
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Erscheint Sonnabends

und ist in der Post-Zeituiigspreisliste unter Nr. icurie eingetragen.

Berlin, den 4. Januar.

AlionnemeiltsPreis

bei der Post oder im Buchhandel vierteljährlich 3 Mark.

Anhalt: Kroßstadtpflanzen. Ein Bild aus den: Wiener Leben. Bon Emil Marriot. Tod lind Unsterblichkeit. Bon Nr. Theodor Iaensch (Schlugt. - Die istewehrfrage. Bon .vauvtmann Ni. Liman. Eine Bnhnenrevolution? Bon Ernst Theinert Niicklev. Herviea. Bon Earl Bleibtren (Tortsetznngt. - Über epische und dramatische Mmst. Bon Enstav Landauer. - Bom Bilderbuch. Bon Nr. A. Et. Nceyer. Einige Briefe Anzengrubers. - - Ein Nachwort von Erich Schmidt. Meine Ltritik.

men.

Ein Bild aus den: Wiener Leben.

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GmU Marvrot.

I.

Seene der geivöhnlichsten Art, die sich da ab- spielte. Es gehörte wirklich kein besonderer Scharf- sinn dazu, ans den ersten Blick zn erraten, nm was es sich hier handeln mochte. Das arme, kleine Stäbchen in einer Wiener Borstadt, der junge Mann, dessen Kleidung verriet, das; er den gebildeten und wohlhabenden Ständen angehvrte, der voll Unbehagen, Verlegenheit und übler Laune an seinem blonden Schnnrrbärtchen zupfte: ihm gegenüber das junge Mädchen mit glühend roten Wangen, nassen, zornblitzenden Angen und in drohender Haltung, und im Hintergründe die erfahrene alte Uran, welche bald dem Mädchen ermutigend znnickte, bald die Faust gegen den jungen Mann hin schüttelte, sich aber einst­weilen noch schweigend verhielt, nun ja, es war die alte Geschichte, die man wahrhaftig nicht erst zn erzählen braucht, da jedermann sie längst schon auswendig weiß: ein junges, dummes Blut ans dem Volke, das ein Geck ans derGesell­schaft" verführt hat und es, nachdem er es gethnn, verlassen will, mein Gott! wie alltäglich. Schade nur, daß jede, welche diese tausend- und abcrtansendmal dagewescne Geschichte an sich selbst erlebt, das abgedroschene Zeug plötzlich neu, un­erhört und herzbrechend traurig findet . . .

Man sah dem erhitzten, verwirrten Mädchen an, daß es bereits ans jener Stufe angelangt war, wo es einem gleich­gültig ist, ob man hübsch oder häßlich anssieht, einen liebens­würdigen oder abschreckenden Eindruck hervorrnft. Ihr Anzug war vernachlässigt, ihr Haar ungekämmt, und ohne ans die Wahl ihrer Worte acht zn haben, atemlos, mit heiserer, krei­

schender Stimme warf sie dem jungen Manne sein ganzes Sündenregister ins Gesicht . . . znm wievieltenmal in dieser Stunde? Danach fragte sie nicht. Unermüdlich fing sie immer wieder von vorn an.

Ja, daß er's nur höre und sich merke: Glücklich war sie gewesen bis zur Stunde, wo sie ihn kennen lernte. Gott und alle Menschen, die sie ebedem gekannt hatten, konnte sie zu Zeugen anrnfen. Damals hatte sie die Arbeit geliebt. Nie­mals war es ihr zn viel gewesen, vom Morgen bis znm Abend hinter dem Ladentisch zn stehen und die Kunden zn bedienen. Alle, die da kamen, waren freundlich zn ihr gewesen, die Da­men und auch die Herren, v! die besonders. Die hatten sich den Magen mit Süßigkeiten verdorben, um länger in der Kon­ditorei bleiben und die hübsche Fanny ansehen und mit ihr plaudern zn können; denn damals war sie noch aufgeweckt, lustig und schlagfertig gewesen, hatte jedermann gefallen und allen imponiert. Und was für große Stücke hatten der Herr und die Frau ans sie gehalten! Unter allen Ladenmädchen, so sie jemals gehabt, war sie die bravste, ehrlichste, fleißigste. Dafür war sie aber auch gut behandelt und gut bezahlt wor­den, und an kleinen Geschenken hatte es ebenfalls nicht gefehlt. War sie doch ein wahrer Magnet, nm die männlichen Kunden anznlocken, eine Perle für das Geschäft, wie man unter Hnn- derttansenden nicht ihresgleichen findet. . . Und wem: sie ein paar freie Stunden hatte, wie freute sie sich dieser kurzen Frei­heit! Welche Wonne, sich anfznpntzen und mit Freundinnen spazieren zn gehen! Wie frohgemut war sie jeden Sonn- und Feiertag beim Grauen des Morgens ans dem Bette geschlüpft, nm der ersten.Messe beiwohnen zn können; damals hatte sie gern gebetet und sich nicht schämen brauchen, vor den Altar hinzutreten . . . Und erst der Tanz! Himmel! was für ein Glück es für sie war, sich znm Tanze zn schmücken! Und nun war alles vorbei. Und durch seine Schuld.

Er hörte sie an nicht eben geduldig, nicht eben teil­nahmsvoll und da sie endlich eine kleine Panse im Sprechen