Heft 
(1889) 14
Seite
251
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Deutschland.

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diese Empfindung^ niemals spricht, das viel mißbrauchte Wort keusch" trifft auf alle seine Äußerungen über dieses Verhält­nis völlig zu. Die intimsten Briefe Anzengrubers über die letzte Krankheit feiner Mutter abzndrucken, ist mir darum ver­sagt. Nur daran sei erinnert, daß der fünfunddreißigjährigc Mann schon viele Monate vor deren Tode sich nicht vom Krankenbette fortrührt und die Einladungen seiner Freunde ansschlägt, weil er die Kranke nicht verlassen will.Sie wer­den ja verstehen, was da alles zwischen den Zeilen liegt, ich mag nicht gerne auf zu lange wegbleibcn." Sein Schmerz um den Verlust äußert sich aber, trotzdem wir wissen, wie Tiefes ihn traf, mit keinem unmännlichen Wort. Am Tage nach dem Begräbnis schreibt er an Gründorf:

Verehrter Frennd!

Meinen Dank für Ihre Gegenwart an dem gestrigen für mich schmerzlichen Tage, wenn ich es erst verwunden habe, werde ich Sie wieder einmal wohin citieren, wo wir von allerlei plaudern wollen, vielleicht auch von den letzten Tagen meiner lieben Hingegaugenen!"

Und noch nach Jahren ist ihm die Erinnerung an seine Mutter wichtiger' als sein litterarischer Ehrgeiz. Der Berliner Freund hat im Frühling des Jahres 1875 zwei Artikel über Anzengruber erscheinen lassen und damit nachdrücklich nnd so ziemlich zum erstenmal in Norddeutschland,draußen im Reich," ans den österreichischen Volksdichter hingewiesen. Im Sommer lB77 erhält er von Anzengruber den ersten Brief saus beruf­lichem Anlaß), nnd der Dichter ergreift die Gelegenheit, seinen Dankmit der innigsten Ergebenheit" ansznsprcchen. Wer Anzengruber kannte, sieht ans diesen Worten sofort, daß es sich nicht nm einen Dank für eine wohlwollende Kritik handeln könne. Er dachte dabei gar nicht an sich, sondern an seine Mutter; denn er fährt fort:

Damals ging es mit meiner schwerkranken Mutter rasch zu Ende, aber in einer Pause, die der Verfall ihrer Kräfte machte, verlangte sie, daß ich ihr den zweiten Artikel vvrlese, ans den ersten besann sie sich recht wohl. Es war dies einige Tage vor dem Hinscheiden der alten Frau; es war die letzte Freude. Ich drücke Ihnen die Hand dafür im Geiste."

Über seinen schriftstellerischen Berns, namentlich über die geschäftliche Seite, sprach nnd schrieb er nicht gern, dann aber oft recht kaustisch.

Da ihn ein Wiener Frennd anfgefordert hat, mit ihm

gemeinsam ein Theaterstück zu schreiben, antwortet Anzengruber jam 0. Juni 1888):

Die Kassenansweise nnd der sich daraus ergebende

Tantiömenbetrag haben mich nicht ob ihrer Höhe schwindeln gemacht. Es hat mir allen Humor nnd allen Antrieb zu unserer gemeinsamen Arbeit völlig verschlagen; was soll denn da schließlich geteilt werden, wenn

schon ans den einen nichts kommt? .Ich schicke

Ihnen somit das Ganze anbei, vielleicht wollen Sie sich allein darüber machen nnd es zn Ende führen, mit Rat

will ich Ihnen gerne dabei zn Diensten stehen, ein wenig

das Fertige überarbeiten will ich anch, falls es Ihr Wnnsch ist, nnd über die Bedingungen wollen wir dann in- solange schweigen, bis sich überhaupt von einein Erträgnis reden' ließe, und dann werden wir,- volkstümlich gesprochen, keinen Richter brauchen."

Im Jahre l877 war Anzengrubers VolksstückDas vierte Gebot" von der Censur arg mitgenommen worden. Der Dichter schrieb darüber:

.(Die österreichische Censur), die fürchtet, daß !

das Volk demoralisiert werde durch Moral! . . . ? Sehen Sie sich, verehrter Herr, die Striche an.ge­

nug, so mißhandelt man Werke besseren Genres, oder sagen wir,, damit ich bescheidener spreche besseren Wollens in Österreich." i

Diese Stimmung, nicht immer durch die Censur geweckt, war bei Anzengruber nicht selten; Ende 1881 schrieb er an den Herausgeber dieses Blattes:

. . . Wenn ich aber gleichzeitig daran gehen soll, Ihnen Mitteilung über mich zn machen, dann wird mir etwas wehmütig zn Sinn; denn ich habe wenig, eigentlich gar nichts Gutes zn berichten, nnd interessant dürfte cs ge­rade auch nicht sein.

Am 8. März des Jahres 1880 sehr früh am Morgen - damit der Tag gut anfinge brach ich mir den rechten Fuß. Die Widerwärtigkeit des ansgczwungenen Kranken­lagers, die Empfindlichkeit, welche das obschon geheilte Bein bei jedem Witterungswechsel zeigte, raubten mir ein halbes Jahr meines Lebens; denn während dieser Frist blieb ich unproduktiv. So nahte 1880 dem Ende, nnd da starb mir eines meiner Kinder, das jüngste von dreien; von dieser Heimsuchung fing ich mich eben an zn erholen, da befiel die beiden anderen eine schwere Bronchitis, nnd nachdem dies glücklich vorüberging, liegt jetzt zur Stunde mein Junge am Scharlach danieder. Es ist alle Aussicht vorhanden, daß anch das schadlos verläuft, - ich aber frage mich jetzt schon: was kommt nun nach?!

Unter so gearteten Umstünden konnte ich mich nur dar­auf einlassen, Weniges nnd im Umfange Beschränktes zn produzieren. ... So sehen Sie denn in mir einen Klein­produzenten im Gebiete des Feuilletons nnd der Erzählung; was aber den Dramatiker ankangt, so finden Sie ihn ganz mutlos. Es geht in das zwölfte Jahr, seit ich in, die Öf­fentlichkeit getreten bin, und jetzt stehe ich . in Österreich

wenigstens einer Zeit gegenüber, welche meinen Bestre­bungen keine Bethütignng znläßt, abgesehen davon, daß das Publikum dessen Geschmack ich im Bunde mit Gleich­gearteten zn verbessern für möglich hielt, naive Idee das! - gar nicht danach srägt, wenn es nur sein Novitäten-Futter erhält, wer ihm das vorschüttet nnd was es da mitunter zn verkosten bekommt.

Wie lange die jetzige Strömung, die mir fast das Schreiben untersagt, anhalten wird nnd mir anch nur den Versuch, meine Position als Dramatiker festzuhalten, unmög­lich macht, weiß ich nicht, daß ich Ihnen aber lange ge­nug vorgeklagt habe, das weiß ich und schließe dieses Schrei­ben mit bestem Gruß nnd der Versicherung, daß ich , bin nnd verbleibe u. s. w."

Doch nur die Strömung der Zeit konnte ihn so mutlos machen; ein einzelner Mißerfolg traf ihn oft bei bestem Humor. So schreibt er im Oktober 1873 nach der gelinden Ablehnung derTochter des Wucherers" an seinen Carl Gründorf:

Werter Frennd!

So lange hatte ich kein Lebenszeichen ans mein letztes Uatcm imaoavi-Schreiben erhalten, daß ich nicht recht wußte, was ich davon halten sollte; denn daß Sie mir ernstlich böse sein nnd bleiben sollten, das konnte ich doch denn nicht er­warten, noch glauben.

Und siehe da, zn meinem Leidwesen erhalte ich Ihr bei den: Theater a. d. Wien hinterlegtes Schreiben mit andern dort erliegenden Briefschaften erst gestern, beinahe volle acht Tage nach der Leich' der «Tochter des Wucherers»; daß ich nicht in Wien war, das werden Sie nun wohl ohnedies er­fahren haben, ich war nur bei einer sogenannten General­probe, dieselbe hatte aber mehr das Gesicht einer Gefreiten­probe. . . .

Wenn Sie daher nicht bei der Leich' gewesen sein soll­ten, so haben Sie wenig verloren; ich brauche jedoch nicht erst zn versichern, daß ich Ihnen bereitwilligst ein paar Kirchenstühle dazu angewiesen Hütte.

Haben die kritischen Stimmen diesmal Lärm geschlagen? Ich stehe jetzt vor der Welt da in meines Nichts durchboh­rendem Gefühle, nnd ich zweifle selbst, ob denn eigentlich alle