Heft 
(1889) 14
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stellung in der Geschichte der deutschen Volkskunst und seine ! Bedeutung als die Herzenssprnche ihrer hehrsten Vertreter dankt. -- Getrost also opfere man den Reiz der Farbe überall da, wo zu ihrer echt künstlerischen Anwendung nicht genügende pekuniäre Mittel oorhanden sind, und ersetze den schlechten Buntdruck wieder durch den guten Holzschnitt, wie er auf dem gleichen Gebiet besonders in den amerikanischen Bilderbüchern jetzt neue Triumphe feiert. Verwertet inan aber die Farben, so bleibe man sich bewußt, daß inan durch die Art, in der eS geschieht, den Geschmack des Kindes ans einem der bedentungs- aber auch gefahroollsten Gebiete dauernd beeinflußt. Ans gleichem Grund ist auch für die gesamte künstlerische Ausdrucks­weise gerade hier die strengste Kritik vollauf berechtigt. In diesem Sinne bleibt jener Ausspruch Ludwigs sehr beherzigens­wert. Die wahren Apostel der Kinderwelt zählen in der Thal zu den Anserwählten. Nicht jeder vermag kindlich zum Kinde zu sprechen, weder mit Worten noch vollends im Bilde. Es gehört dazu noch Anderes, als ein künstlerisches Können. Leider gilt heute auch dieses hier kaum noch als unentbehrliche Vor­bedingung; ja die Dilettantenarbeit, besonders die weibliche, scheint dieses Gebiet als ein besonders glückliches Versuchsfeld zu bevorzugen. Sicherlich irrtümlich und zum Schaden der Sache! Der Wille ist meist trefflich, aber mit ihm allein ist im Reich der Kunst wenig gethan, und am wenigsten auf einem so wichtigen Arbeitsfeld. Freilich find die Anforderungen des­selben kaum nilgemeingültig zu formulieren: auch hierin gleicht die kindliche Muse ihrer ernsteren Schwester, der Volkskunst. Doch zweifellos ist Wahrheit und Klarheit beider vornehmster Schmuck, wo sie diesen ablegen, verkennen sie ihre Lebens- ! anfgabe. Ans dem Herzen müssen ihre Schöpfungen stammen, nicht ans verstandesmüßiger Reflexion, und ihre Formensprache muß dem individuellen Leben entlehnt sein.Wir arbeiten viel zu sehr ins Abstrakte, weshalb der Laie häufig so wenig mit den besten Bildern anznfangen weiß. Anstatt den Hans und Kunz und die Anne-Marie sieht er bloß die allgemeine Abstraktion der Begriffe Mensch, oder Mann und Frau, jung und alt." - Diese goldnen Worte Ludwig Richters haben für die Kunst, die zum Kindersinn sprechen Null, doppelten Wert. Wo sie die Wirklichkeit schildert, gebe sie ihren Gestalten vor allem gesundes Blut und Individualität: wo sie sich zu den Gefilden der Poesie und Märchenwelt erhebt, meide sie jeden phantastischen und sentimentalen Zug und schöpfe unmittelbar ans dem krhstall- hellen Jungbrunnen selbst, der den Kindern der deutschen Rcärchenkönigin unvergängliche Jngendschönheit verleiht. -

LLmge Briefe Anzengrubers.

^HMn einer Biographie Ludwig Anzengrubers - und An- kon Bcttelheim wird hoffentlich noch vor Beendigung seiner großen Arbeiten über Berthold Anerbach Zeit und Stimmung für eine solche finden werden die Briefe des Heimgegangenen eine eigentümliche Rolle spielen. Anzen­gruber war einerseits kein allzu fleißiger Briefschreiber und be­gnügte sich andererseits als echter Humorist nur selten mit dem geschäftlichen Tone nüchterner Fragen und Antworten. Wo er sich verstanden wußte, da ließ er gern zwischen den Zeilen lesen. Und wie man Lessing ans seinen Briefen nur dann kennen lernt, wenn man ans scherzhaften Worten bald das in­nigste Liebesgefühl, bald den wildesten Zorn, bald endlich die Helle Verzweiflung herausznhören weiß, so wird der Brief­wechsel Anzengrubers für den Fremden immer mit einigen ; Worten erklärt werden müssen. Ein gutes Beispiel geben die! wenigen Zeilen, mit welchen er am 7. Mai 1873 seinem Freund und Genossen Earl Gründorf bittet, sein Trauzeuge zu sein:

Werter Freund!

Bitte um Ihre gütige Mitwirkung zu der Trauungs- Komödie als Statistiker.

Herzlichen Gruß L. Anzengruber.

U. 8. Ich komme Sie abholen, Stunde weiß ich nicht, aberscht vormittags. Der Obige."

Nichts wäre verkehrter, als in diesem knrivsen Aktenstücke darauf Nachdruck legen zu wollen, daß Anzengruber die Feier­lichkeit der Form verspotte. Das geht nur nebenher, ähnlich wie bei Goethe, wenn auch ans andern Gründen. Die Haupt­sache bei den: spöttischen Ton ist vielmehr eine ungeheure innere Freudigkeit, ein Glück, welches sich imFrozeln" äußert, so wie auch seine Banernliebhaber im Augenblick der höchsten Se­ligkeit stets einen lustigen Witz machen. Dasaberscht" ist bezeichnend für die frohe Stimmung, in welcher diese Ehe be­gann. Anzengruber hatte das mit andern mundartlichen Dich­tern gemein, daß er in schlechter Laune Fremden gegenüber und im schriftlichen Alltagsverkehr nur die Schriftsprache sprach und schrieb. Unter guten Freunden redete er auch Tialekt- worte, und wenn es ihm ganz wohl war, schrieb er im Über­mut auch wohl eines hin.

Deutlicher schon verrät sich die herzliche Teilnahme an der Person des Adressaten durch allen liebenswürdigen Spott hindurch in dem folgenden Schreiben vom l-l. November 1878. Ein Berliner Freund hatte die Erstlingsarbeiten des Dichters, allerlei novellistische Versuche, von diesem geliehen bekommen, sic erst nach öfterem Drängen znrückgesandt und für die Ver­zögerung die Entschuldigung vorgebracht, er hätte zu viel ar­beiten müssen. Hierauf Anzengruber:

Sehr geehrter Freund!

Meine Novellen habe ich erhalten und zugleich ans Ihren begleitenden Zeilen entnommen, daß Sie vermutlich die selbstmörderische Absicht haben, sich zu Tode zu arbeiten. Thun Sie das denn doch lieber nicht.

Ich laß mich ans so was absolut nicht ein: ich hätte Ihnen nicht gezürnt, wenn Sie mir geschrieben hätten, <Me hätten höchst notwendig zu bummeln, zu kneipen, ah, Don­nenvetter, ich vergesse ganz, daß Sie ehrbarer Familienvater sind oder wenigstens . . . sich gegenwärtig mit keinen sol­chen Unordentlichkeiten abgeben werden also Hütten Sie mir meinetwegen geschrieben, Sie vergäßen an der Seite Ihrer Frau alles um Sie her, ich Hütte dagegen gar nichts sagen dürfen, das würde meine Frau nicht zngelassen haben: aber wenn Sie glauben, mir dadurch zu imponieren, daß Sie schreiben, Sie hätten nichts Dringenderes zu erledigen, «als Ihre eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen,» Herrr! da täuschen Sie sich!

Als Poet, der den Schillerpreis erhielt, und der gegen wärtig ein sehr schönes «Stuck» auf den Brettern hat, als Mann von humaner Gesinnung, als Familienvater endlich beschwöre ich Sie, diesen --grauslichen» Fleiß fein zu lassen, als Anwalt Ihrer noch angeborenen Kinder trete ich ans und fordere von Ihnen jene pflichtschuldige Faulheit, welche Sie Ihren Nachkommen einzig und allein erhalteil kann.

Schreiben Sie kürzere Artikel und längere Briefe. Kurz, lasseil Sie sich die Laune dieses meines Schreibe­briefes nicht verdrießen und mögen Sie daraus in allem Ernst entnehmen, daß ich wirklich und wahrhaft in einiger Sorge um Sie bin.

Das Geschlecht der Riesen ist ansgestorben, ^>ie sind auch keiner. Meist leisteteil diese Geschöpfe auch mehr Phy­sische Arbeit: daß einer davon zugleich Redakteur, Feuille­tonist . . . Belletrist w. w. gewesen wäre, davon verlautet nichts.

Doch ich stehle Ihnen die Zeit ab, ich will nicht schuld sein, daß sie selbe wieder durch verdoppelte Anstrengung ein- bringen müssen.

Ich grüße Sie ans das beste.

Ihr ergebener

L. Anzengruber."

Das tiefste Gefühl, welches den Dichter an einen andern Menschen band, war die Liebe und die Verehrung für seine Mutter. Es ist nach dem Vorstehenden begreiflich, daß er über