Heft 
(1889) 20
Seite
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Deutschland»

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.W 20.

zehn Fingerspitzen nnd fühlt es den Menschen nnd Verhält­nissen ab, ob sie glücklich sind oder nicht. Und mitnnter sogar den Raumen, darin die Menschen wohnen. Und hier lehren mich meine Sinne, Sie können nicht unglücklich sein. Es ist nicht ein Zufall, daß ein solches Bild hier vor Ihnen aus- gebreitet liegt, nnd ein Zimmer, in das die Sonne jeden Abend so freundlich blickt, das ist ein gutes Zimmer."

Ja," sagte Stine,das ist es. Freilich, man soll sich seines Glückes nicht rühmen, schon nm's nicht zu berufen. Aber es ist wahr, ich bin glücklich."

Der junge Graf sah sie bei dieser: Worten forschend und beinah verwundert von der Seite her an. Er hatte sich darin gefallen, ihr, um der freundlichen Umgebung willen, in der er­ste gegen Erwarten antraf, ohne weiteres das Glück zuznsprc- chen, nnd war nun doch betroffen, sie so rund heraus das be­stätigen zu hören, was er ihr selber eben gesagt hatte. Stine sah das alles nnd setzte deshalb hinzu:Sie müssen nun frei­lich nicht denken, ich wisse vor lauter Glück nicht ein noch ans. Sv steht es auch nicht. Ich bin glücklich, aber nicht wie die, welche die Not nicht kennen nnd immer nur gute Tage haben. Und bin auch nicht so glücklich wie die katholische Schwester, die mich letzten Winter in meiner Krankheit pflegte. Solche fromme Seele, die nichts will, als Gott wohlgefällig sein, ja, die hat freilich mehr, nnd mit der steht es besser. Aber ich bin so gut dran, wie gewöhnliche Menschen, die Gott schon danken, wenn ihnen nichts Schlimmes passiert."

Und das Zusammenleben mit Ihrer Schwester! Ist es Ihnen keine Last nnd keine Sorge?"

Nein. Ich liebe meine Schwester und sie liebt mich."

Aber Sie sind doch so sehr verschieden."

Nicht so sehr, wie Sie glauben. Sie verkennen meine Schwester; meine Schwester ist sehr gut."

Aber das Verhältnis, in dem sie steht! Es muß doch darüber geredet werden nnd Anstoß geben bei Leuten, die noch ihren Katechismus haben nnd die zehn Gebote halten."

Ja, bei denen giebt es freilich Anstoß, und meine Schwe­ster, wenn sie mit solcher: znsammentrifft, muß oft böse Worte hören. Aber so heftig sie sonst ist, so ruhig ist sie dabei. Sie hat nämlich einen sehr guten Verstand und ein großes Gerechtigkeitsgefühl, nnd wenn sie solche Worte hört, so sagt sie: «Ja, Stine, das ist nun mal nicht anders; wer sich irr den Ranch hängt, der wird schwarz.»"

Nun gut. Aber einen je besseren Verstand Ihre Schwe­ster hat, und je mehr sie zngiebt, so wie sie lebt, das Urteil nnd Gerede der Leute heraiiszusordern, desto mehr muß sie doch leiden unter der Mißachtung, die sie trifft."

Es wäre vielleicht so," nahm Stiue wieder das Wort, wenn alle Menschen in einerlei Weise dächten. Aber das ist nicht der Fall. Die, die sie verurteilen (und die mitunter lieber schweigen sollten), das sind immer nur einzelne; die meisten plappern ihre Lehren und Vorwürfe nur so herunter und mei­nen es nicht bös nnd denken in ihrem Herzen ganz anders darüber."

Wie das?"

Ja, das ist schwer zu sagen, aber es ist so und kam: auch kaum anders sein. Denn die, die Not leiden, wollen vor allem aus ihrer Not nnd ihrem Elend heraus nnd sinnen und simulieren bloß, wie das zu machen sei. Brav sein und sich

rechtschaffen Halter:, das ist alles sehr gut und schön, aber doch eigentlich nur was Feines für die Vornehmen und Reichen, und wer arm ist nnd das Feirre mitmachen will, über den ziehen sic bloß her (und die gestern noch die Strengsten waren, am meisten) nnd reden und spotten, daß man was Apartes sein wolle. «Die denkt Wohl, sie sei es.» Ach, wie oft Hab' ich das hören müssen."

Welche Verworrenheit der Begriffe."

Ja, so nennen Sie's, nnd ich mag nicht widersprechen. Aber dieselben Leute, die so verworren scheinen, sind auch wie­der sehr hell nnd halten auf Pflicht, wo sie sich ans freien Stücken verpflichtet haben. Und das gleicht manches Wieder­aus. Neben ihren: bloßer: Gerede, das heute so ist nnd mor­gen so, giebt es auch was, das ihnen fcststeht, und das ist das Wort und die Zusage. Mit dem «sich gut Halter:,» so lange nun: frei ist, kann man's am Ende Halter:, wie man will; aber mit dem Kontrakte muß man's halten, wie man soll. Was ich übernehme, das gilt, nnd ehrlich sein ist die Haupt­sache geworden. Und so kann es einer armen Frau passieren, in einem Verhältnis, das nicht löblich ist, doch noch gelobt zu werden."

Und dieses Vorzuges genießt Ihre Schwester?"

Ja. Daß sie das Verhältnis hat, ist ihr kein Lob, aber bei der großen Mehrzahl auch keine Schande. Die arme Frau, so sagen sie, sie hätt's lieber anders. Aber sie muß. Und Muß ist eine harte Nuß. Und so läßt man sie's nicht entgelten nnd fordert nur das eine von ihr, daß sie, was sic versprochen, auch respektiere. Wanda darf thni: und lassen, was sie will, meine Schwester Pauline darf es nicht. Die muß Halter:, wozu sie sich verpflichtet, und ich darf Ihnen ver­sichern, es wird gehalten."

Und in das alles hat sich Ihre Schwester hineingefum den? Vielleicht sogar mit Leichtigkeit?"

Doch nicht leicht. Eher schwer. Aber, die Wahrheit zu gestehen, nicht schwer von Tugend wegen rdavon will sie nichts wissen), sondern nur deshalb, weil ihr, von Natur, an einen: Leben nichts liegt, wie sie's zu führen gezwungen ist. Meine Schwester ist arbeitsam und ordentlich und ganz ohne Passion. Wenigstens hat sie mir das hundertmal versichert."

Und aufrichtig?"

Wer sieht ins Herz? Aber ich glaube: ganz aufrichtig. Und wen:: Sie meine Schwester so gut kennten wie ich, so würden Sie's auch glauben."

Und doch sagte sie mir, als ich vorgestern nach Olga fragte: «Danach dürfen Sie nicht fragen. Einen Vater hat sie, das ist gewiß. Aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen.»"

Stine lächelte verlegen vor sich hin. Endlich aber sagte sie:Ja, irr diesem. Tone spricht sic gern, das ist wahr; aber nicht aus schlechter Sitte, sondern aus Übermut. Sie weiß, daß sic noch immer sehr hübsch ist, und hat ans Eitelkeit nnd Gefallsucht, wovon ich sie nicht freisprechen kann, eine sie be­ständig quälende Lust, die Männer in Verwunderung zu setzen, bloß um sie hinterher ansznlachen. Ich kenne sie besser, weil ich ihr Leben kenne. Sic war kaum zwanzig, als Olga ge­boren wurde. Da hatte sie nun das Kind, eine gewöhnliche Verführungsgeschichte, womit ich Sie verschonen will, und weil man ihren Anspruch mit einer hübscher: Geldsumme zufrieden stelUe, so war sie nun eine «gute Partie» geworden und ver-