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heiratete sich auch bald danach. Und wie meist in solchen Füllen, mit einem kreuzbraven Mann. Aber ich muß auch sagen, er kam ihr zu. Sie war eine ganz vorzügliche Frau, nicht das geringste könnt' ihr nachgesagt werden, und als der Alaun krank wurde, hat sie ihn, mit allem was sie hatte, treu bis zum Tode gepflegt. Freilich, als er dann in seinem Grabe lag, war auch der letzte Notgrvschen hin, und Ihr Herr Onkel, der in demselben Hanse wohnte, nahm sich ihrer an. lind da kam es dann — nun, Sie wissen wie. Das geht jetzt ins dritte Jahr, und sie wünscht es sich nicht anders, trotzdem sie klagt und wettert, übrigens ohne sich viel dabei zu denken. Sie nimmt ihr gegenwärtig Leben als einen Dienst, drin sich Gutes und Schlimmes die Wage hält; aber des Guten ist doch mehr, weil sie keine Sorge hat um das tägliche Brot. Und nun bitt' ich Sie, wenn Sie sie Wiedersehen, so sehen Sie sich ihr Thun und Treiben ans ineine Worte hin an, und Sie werden finden, daß ich nicht zu viel gesagt habe."
„Und was fordert sie von Ihnen?"
„Fordert? Nichts. Sie liebt mich und ist seelensgut zu mir und freut sich, daß ich ans mich halte, und ermutigt mich darin. «Es ist immer das Klügste so,» das sind ihre Worte. Würd' es aber anders kommen, so wär' es nicht viel, und sie würde nur sagen: «Ich weiß wohl, Stine, das Richtige läßt sich nicht immer thnn.» Ja, sie sieht das, was sie das Richtige nennt, für etwas Wünschenswertes an, aber nicht als etwas Notwendiges; sie gönnt es mir, nichts weiter."
Allmählich, während dies Gespräch geführt wurde, war die Sonne drüben niedergcgangen und nur ein letztes verblassendes Abendrot schimmerte noch zwischen dem Gezweige der Park- bänme. Stine hatte längst den Stickrahmen beiseite gestellt, und der junge Gras, der ihr jetzt gegenüber saß, sah in dem Fensterspiegel, wie, die ganze Straße hinunter, die Gaslaternen anfflammten. Er war so benommen davon, daß er eine Weile schwieg und dem eigentümlichen Straßenbilde zusnh.
„Ich sehe," sagte Stine, „der Spiegel thnt es Ihnen auch an. Ich weiß das schon; es ist immer dasselbe."
Ter junge Graf nickte. Dann nahm er Stincs .Hand wie zum Abschied und sagte, während er sich rasch erhob: „Ich darf doch wiederkvmmen, Fräulein Stine?"
„Besser wäre es, Sie kämen nicht. Sie beunruhigen mich nur."
„Aber Sie verbieten es nicht, Sie sagen nicht nein?"
„Ich sage nicht nein, weil ich es nicht sagen darf. Meine Schwester würd' es unklug finden, und ich weiß, daß ich ihr Rücksichten schuldig bin."
„So denn ans Wiedersehen, Fräulein Stine."
Stine gab ihm das Geleit bis auf den kleinen Korridor; dann aber rasch in ihre Stube zurückkehrend, trat sie ans offene Fenster und sog die frische Luft ein, die vom Park her herüberkam. Aber es blieb ihr bang umS Herz, und sie hatte das bestimmte Gefühl, daß ihr nur Schweres und Schmerzliches ans dieser Bekanntschaft erwachsen werde. „Warum Hab' ich nicht nein gesagt? Ich habe mich nun in seine Hand begeben . . . Und doch, ich will nicht, will nicht. Ich Hab' es ihr auf dem Sterbebette schwören müssen. «Stine,» sagte sie, «halte Dich. Es kommt nichts dabei heraus. Du bist nicht so hübsch wie Deine Schwester Panline, das ist mir ein Trost.
Ach, das .Hübschsein . . .» — Ich war noch ein halbes Kind damals; aber was ich ihr versprochen, ich will es halten."
Im selben Augenblick, wo der junge Graf, von Stine geleitet, aus dein Zimmer in den Korridor trat, trat auch die Polzin von ihrem Horcheplatz wieder an den Klapptisch zurück, wo sich nun zwischen den beiden Eheleuten sofort ein kurzes, aber intimes Zwiegespräch entspann.
„Er ist eigentlich lange geblieben," sagte Polzin, während er sich wieder an den Webestnhl setzte. „Wie war es denn?"
„Gar nichts war es. Und wird auch nichts."
„I wo," sagte Polzin. „Es wird schon werden. Alles muß doch Zeit und Weile haben. Aber Du denkst immer..."
„Ach was, denken; ich denke gar nich. Ich sage bloß, wenn was werden soll, wird es gleich. Un wenn es nich gleich wird, wird es gar nich . . . Ich kenne doch auch die Mannsleute."
„Ja, ja," sagte Polzin und griente, „die kennst Du."
„Höre, Polzin, komme mir nich so. Fange nich wieder alte Geschichten an."
„I wie werd' ich denn . . . Ich meine ja bloß ..."
9. Kapitel.
Der junge Graf wiederholte seine Besuche. Während der ersten Woche kam er einen Tag nm den andern, dann täglich; aber immer blieb er nur bis Spätnachmittag. Dann ging er wieder.
Einmal kam ausnahmsweise der Abend heran und man öffnete die Fenster nnd sah hinaus. Die Schwere der Luft machte, daß das Straßentreiben unten anders als sonst ans die Sinne wirkte, die Lichter brannten trüber, nnd das Geläute der Pferdebahnglocke klang gedämpfter herauf. Über dem Parke drüben stand der Mond nnd warf seinen Schimmer ans einen frei zwischen den Bäumen stehenden Obelisken; die Nachtigallen schlugen, nnd die Linden blühten in aller Pracht.
Der junge Graf wies darauf hin und sagte: „Das ist mm ein Park nnd heißt auch so. Aber ist es nicht eigentlich wie ein Kirchhof? Daß alles blüht, das hat der Kirchhof auch. Und der Obelisk sieht aus wie ein Grabstein."
„Und ist auch so was."
„Wie das? Ist da jemand begraben?"
„Nein, begraben nicht. Aber ein Denkmal ist es, das zur Erinnerung an die mit der «Amazone» Verunglückten errichtet wurde. Hundert oder mehr, und ich habe manchmal ihre Namen gelesen. Es ist rührend; lauter junge Leute."
„Ja," sagte der junge Graf, „ich entsinne mich, lauter- junge Leute." Dann schwieg er wieder, nnd der Ton, in dem er gesprochen hatte, klang fast, wie wenn er sie mehr beneide als beklage.
Bald danach brach er auf, sichtlich bewegt von der Wendung, die das Gespräch genommen, nnd Stine sah, als er auf die Straße hinaus trat, daß er nicht, wie gewöhnlich, nach links hin auf die Bahnhofsbrücke znschritt, sondern, quer übenden Damm, nach dein eingegitterten Park. Da stand er nun an dem Gitter nnd beugte sich vor, nnd es war, als ob er die Namen, die der Obelisk trug, in dem Halblicht zu lesen versuche.