Heft 
(1889) 20
Seite
336
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Deutschland

PW 20.

An diesem Tage hatte sein Besuch etwas länger gedauert; sonst blieb er nur bis Sonnenuntergang und hatte seine Freude daran, Stine bei der Arbeit zu sehen und dabei plaudern zu hören. Er nahm teil an allen Vorkommnissen, am liebsten aber war es ihm, wenn sie Geschichten aus ihrem Leben er­zählte, von ihren Kinder- und Schultagen, von dem frühen Tod ihrer Mutter und von der Einsegnung, die kurz nachher gewesen, und wie die Leute im Hanse gesammelt Hütten, um ihr das Einscgnnngskleid schenken zu können. Und wie sie dann in demselben Jahre noch in das große Wall- und Sticke- reigeschüft eingctreten sei dasselbe, für das sie jetzt noch arbeite; meistens zu Hans, aber mitunter auch im Geschäft selbst und wie sie da lebten und Freundschaften schlössen und in der Weihnachtswoche bis in die halbe Nacht beisammen säßen und der Reihe nach eine immer vorlesen müsse. Das sei nicht bloß gestattet, das sei sogar gewünscht; denn der Herr des Geschäfts sei klug und gütig und wisse, was es wert sei, die, die arbeiten müßten, bei Lust uud Liebe zu halten. Und so käm' es auch, daß sie keinen Wechsel im Personal hätten, oder doch nur sehr selten, und alle gern blieben, es sei denn, daß sie sich verheirateten. Überhaupt müsse sie sagen, es würde so viel von Aussaugen uud Quälen und von Bedrückung ge­sprochen, aber nach ihrer eigenen Erfahrung könne sie dem durchaus nicht zustimmeu. Im Gegenteil. Im Winter hätten sie Maskenball uud Theaterstücke; denn ihr Geschäfts-Herr, wie sie nur wiederholen könne, vergesse nie, daß ein armer Mensch auch mal aus dem Alltag herauswolle. Das Schönste aber seien die Landpartieen im Sommer. Da würden ein Paar- Kremser gemietet und noch vor Tau und Tage ging es ins Freie hinaus, nach Schildhorn und Grnnewald oder nach Tegel und dem Finkeukrug. Oder auch zu Wasser, was freilich, so lange sie da sei, nur einmal gewesen, aber ihr auch ganz un­vergeßlich geblieben sei. Da wür' ein Dampfschiff gemietet worden, und die ganze Spree hinauf, an Treptow und Stralow uud dann an Schloß Köpenick und Grünan vorüber, wären sie bis in die Einsamkeit gefahren, bis an eine Stelle, wo unr­ein einziges Haus mit einem hohen Schilfdach dicht am Ufer- gestanden habe. Da wären sie gelandet und Hütten Reifen ge­spielt. Ihr aber sei das Herz so zum Zerspringen voll ge­wesen, daß sie nicht habe mitspielen können, wenigstens nicht gleich, weshalb sie sich unter eine neben dem Hause stehende Buche gesetzt und durch die herabhüngenden Zweige wohl eine Stunde lang auf den Fluß und eine drüben ganz in Ampfer und Ranunkeln stehende Wiese geblickt habe, mit einem schwar­zen Waldstreifen dahinter. Und es sei so still und einsam ge­wesen, wie sie gar nicht gedacht, daß Gottes Erde sein könne. Nur ein Fisch sei mitunter aufgesprungen und ein Reiher über die Wasserfläche hingeflogen. Und als sie sich satt gesehen an der Einsamkeit, habe sie die andern wieder ausgesucht und mit ihnen gespielt; und sie höre noch das Lachen und sähe noch, wie die Reifen in der Sonne geblitzt hätten.

Der junge Graf hörte nichts lieber als dergleichen Er­zählungen, und so glücklich ihn jedes Wort stimmte, so lehr­reich war es ihm auch. Er war in der Vorstellung heran­gewachsen, daß die große Stadt ein Babel sei, darin die Volks­vergnügungen, wenn nicht mit Sittenlosigkeit und Roheit, so doch mit Lärm und Gejohle ziemlich gleichbedeutend seien, und mußte nun aus Stines Munde hören, daß dies Babel eine

Vorliebe für Lagern im Grünen, für Zeck und Anschlag habe. Dergleichen verfehlte denn auch nicht, seine Gedanken immer mehr einer ihm angeborenen, allen Standesvorurteilen abge­wandten Richtung zuzuwenden, und wenn Stine mit solchen Schilderungen, ernsten und heiteren, ihn in die Gemütlichkeit hineingeplaudert hatte, wurd' er zuletzt selber mitteilsam und sogar gesprächig und erzählte von seinem eigenen Leben: von dem Predigtamtskandidaten, bei dem er bis znm Überdruß Ge­sangbuchlieder und Bibelsprüche habe lernen müssen, weil es so das Bequemste für den Lehrer gewesen, von seinen Vorbe­reitungen znm Examen, durch das er nur Penn er habe nie was gelernt) wie durch ein Wunder hindurchgekommen sei, und endlich, nach seinem Eintritt ins Regiment, von seinen Avan­tageur- und Fühnrichstagen. Das wäre seine beste Zeit ge­wesen, seine einzig frohe, trotzdem es bei seinem frommen lind eisensresserischen Kommandeur ein- für allemal festgestanden habe, ein Fähnrich ist ein Nichtsnutz." Und da mit einem Male Hab' es geheißenKrieg;" ein Jubel wäre losgebrochen, und drei Tage später Hab' er schon eingepfercht in einem Waggon gesessen, überglücklich, auch seinerseits, aus dem Garnisons- Einerlei heraus zu sein. Überglücklich. Aber freilich nicht auf lange. Denn wieder drei Tage später, uud er habe, aus dem Sattel geschossen, dagelegen, und als einen Halbtoten hätten sie ihn weggetragen. Und während seine Kameraden von Sieg zu Sieg gezogen seien, hätt' er sich in einem Nest an der Grenze hingequült uud nicht gewußt, ob er leben oder sterben solle. Und die Natur Hab' es auch nicht recht gewußt uud habe sich nicht entscheiden wollen. Aber zuletzt habe sie sich entschieden und er sei genesen. Oder doch halb. Ob zu seinem Glück? er miss' es nicht.Es ist doch das Schönste, wenn die Sonne niedergeht uud ausruhen will von ihrem Tagewerk."

Stine verstand ihn wohl uud bat ihn, als er das sagte, nicht so zu sprechen. Er müsse doppelt hoffen: denn wer vom Tode gerettet sei, der lebe lauge. So sage das Sprichwort, uud die Sprichwörter Hütten immer recht.

Er lächelte bei diesen Worten und lenkte dann auch seiner­seits wieder zu heiteren Dingen über, lind bald danach trennte man sich in Herzlichkeit und guter Laune. (^rtschung fol^a

Streikende Priester.

Von

H. Zimmern. 0r. C. Scht.

or etwa fünf Monaten (Ende August) wurde in Rom, ja sozusagen im Schatten des Vatikan, die erste Num­mer einer Tageszeitung ansgegeben, welche vielleicht bestimmt ist, eine bedeutungsvolle Epoche in der römischen Kirchengeschichte zu bezeichnen. Das Blatt heißt dieGro­ll aen nera."

DieseSchwarze Chronik" trilt als Kämpe des niederen gegen den höheren Klerus auf uud skizziert ihr Programm in folgenden Worten:

Die «Cronaea nera» wird, ohne das religiöse Gefühl zu verletzen, Krieg führen gegen die Machthaber des höheren Kle­rus, indem sie seine Laster und Verbrechen aufdeckt. Es wird sich dann Herausstellen, was diejenigen sind, welche, nicht da­mit zufrieden, das eigene Vaterland zu bekämpfen und fremde Waffen gegen dasselbe nnfzurnfen, erbarmungslos auch den niederen Klerus verfolgen und mit unerhörter Herausforderung