Deutschland.
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der Unzufriedenheit Hohn sprechen, die allenthalben in den Reihen desselben um sich greift. Unter der Aufschrift: „Typen und Figuren" werden wir verschiedene Kardinale, Bischöfe, Domherren u. s. w. zeichnen, über deren nichts weniger als unbeflecktes Leben Geistliche selbst die glaubwürdigen Einzelheiten sammeln werden. Unter dem Titel „Cronachetta nera" werden wir die Klagen und Proteste, die Enthüllungen und Berichte wiedergeben, die uns von den Parias der Geistlichkeit zugeheu."
Dies ist der Kriegsruf einer Empörung, die wir nicht ansteheu als eine der interessantesten aller historischen Erhebungen zu bezeichnen ; dieselbe wurde in aller Stille ins Werk gesetzt, und eben darum dürfte ihr vorauszusagen sein, daß sie mit unwiderstehlicher Gewalt fortschreiten wird. Noch nennt sie selbst sich kaum eine Empörung. Die armen Priester wünschen lediglich, ihre Beschwerden vor den Papst selbst zn bringen, der auch nach ihrer Auffassung gefangen gehalten wird; aber nicht, wie er sich selbst beklagt, von der italienischen Regierung, sondern durch die perugiauischen Priester seiner Umgebung.
Man hat oft gefragt, sagt ein Schreiber in der Probe- nnmmer der „Cronaca nera," ob der Papst in Rom gefangen gehalten werde, oder ob er sich frei fühle unter der italienischen Herrschaft. „Wie ich den Papst und seinen Hof kenne, gebe ich ohne weiteres zu, daß der Papst in der That ein Gefangener, ja mehr, ein Sklave ist — seines eigenen Hofes." — Derselbe Verfasser führt fort: „Ich erinnere mich, einst eine Unterredung mit angehört zu haben, welche ein gewisser Monsignore Laurenzi, nachmaliger Kardinal, mit Leo hatte, die so barsch in der Form und so tyrannisch in ihren Folgerungen war, daß ich mich fragte, ob nicht vielmehr der Kardinal der Papst sei und dieser der Kardinal . . . „Allerheiligster Vater," schließt der genannte Schreiber, „wenn der Himmel mir Zeit und Glück giebt, Euren Hof von gewissen widerlichen Reptilien zu reinigen, daun will ich mich zu Euren Füßen uieder- werfen und sagen: Ich bin nur ein armer Priester, aber ich habe dennoch dem höchsten Throne und dem, der au Stelle von Jcsns Christus darauf sitzt, einen Dienst erwiesen." Von Papst Leo wird durchweg mit Bewunderung und Hochachtung gesprochen. Überhaupt gehört die Sprache des Blattes durchweg Männern au, die nur durch gräßliche Not zum Handeln getrieben worden, die man durch offene'und redliche Behandlung leicht zufriedeustellen könnte, die aber, zum äußersten getrieben, in ihrer Verzweiflung furchtbar werden können.
Die „Cronaca nera" wurde, wie man sich denken kann, von der höheru Geistlichkeit und ihrer Presse mit einer Flut von Schmähungen begrüßt. Ter Vatikan geriet in ein Fieber kleinlichster Geschäftigkeit; sein Blatt, der „Osservatore Romano," beantwortete die Probeuummer der „Cronaca" mit einem inspirierten Artikel von äußerster Heftigkeit. Die Redakteure der „Cronaca" wurden als Jesuiten gebrandmarkt (ein seltenes Beiwort, bemerkt hierzu die „Cronaca," wenn es von der Kirche selbst, im verächtlichen Sinne gebraucht wird); außerdem aber auch als Lutheraner, als Protestanten. Hohe Kirchen- fürsteu legten die Zeitung sogar dem Papste vor, indem sie ihn beschworen, dieselbe mit dem Kirchenbanne zu belegen. Aber Leo, der ungeachtet seiner Räte stets billigdenkend ist, fand in dem Blatte nichts, was den Bann verdiente, ja er äußerte sogar, er halte es für recht, daß Mißbräuche aufgedeckt würden. In Heller Verzweiflung machten die Würdenträger nun einen Versuch, die „Cronaca" durch ihre eigenen Leute zu bekämpfen, indem sie einen Protest veranlaßten, der von der niedern Geistlichkeit ans allen Teilen Italiens gezeichnet war. Aber ach, die niedere Geistlichkeit verweigerte ihre Unterschriften ; oder wenn sie sie leisteten, schrieben sie unverzüglich an die „Cronaca/' um zu erklären, daß sie gezwungen worden seien, gegen ihr Gewissen zu Handeln, durch die Drohung mit der Amtsentsetzung «u cllviom.» was für sie den Verlust des täglichen Brotes bedeuten würde.
Solch ein Zwang ist wahrhaftig ein gewagtes Spiel in unserer Zeit der Post lind Tagesblätter. Man erzählt sich
sogar ein nettes Geschichtchen, das, wenn sonst nichts, doch die Schätzung zeigt, in welcher die Gradsinnigkeit der Geistlichen im allgemeinen steht. Ein unglücklicher .Kanonikus, dessen untergebene Priester sich mit aller Entschiedenheit geweigert hatten, den Protest zu unterzeichnen, wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er zitternd, mit gebeugtem Haupt und gefalteten Händen vor seinem Bischof erschien und die eigene Haut dadurch zu retten suchte, daß er erklärte, er habe die Unterschriften erhalten, sie seien ihm aber aus seinem Tischschube gestohlen worden — vermutlich von einem der Unterzeichner selbst!
Da nun also die Monsignori vom Papste die Unterdrückung des Blattes nicht erreichen konnten, waren sie für eigene Rechnung thütig und bewirkten ein Gesuch von „etlichen Geistlichen Roms," die in Demut zu wissen wünschten, ob es ihnen gestattet sei, die „Cronaca nera" zu kaufen und zu lesen. Die Antwort, welche, zusammen mit dem Gesuch, in den Kirchen angeschlagen wurde, wird sich jeder vorstellen können. Noch vor einem Jahrhundert würden sie uns verbrannt haben, ruft die „Cronaca" aus; heute können sie nichts weiter thun, als Proteste, Gesuche, Cirknlare in Bewegung setzen, wie denn u. a. Kardinal Rampolla kürzlich eine Note hat ergehen lassen, welche die fremden Mächte ersucht, die Einführung der „Cronaca nera" in ihre Reiche zu verhindern. Sicher ist dies ein Zeichen des Gefühls wachsender Schwäche.
Die italienischen Zeitungen, sofern sie nicht klerikale Organe sind, haben die „Cronaca" meist ruhig und kritisch ausgenommen. Wird sie zu einem bloßen Krämer Aufsehen erregender Geschichten herabsiuken, oder wird sie ihre Spalten ernsten Erörterungen öffnen über die beste Art, Mißbräuche abzustellen? So fragen sie. Von der Antwort auf diese Frage hängt die Lebensdauer und die Nützlichkeit des neuen Blattes ab.
Daß eine große Menge von Mißbräuchen eine Änderung dringend fordern, das könnte man schon aus der Wut des Widerspruchs schließen, der die „Cronaca" begegnete. In der That bestehen so schmutzige und so zahlreiche Mißbräuche und Übelstünde, daß man von den Anhäufungen im Augiasstall sprechen könnte, die nun von dem Herkules der Presse des 19. Jahrhunderts und dem Strome der öffentlichen Meinung beseitigt werden sollen.
Beginnen wir mit der Sittlichkeitsfrage. Wie muß es den allbekannten Kardinal Garocchi, den die öffentliche Meinung als den künftigen Papst bezeichnet, berühren, wenn er seine geistlichen (!) Beziehungen zu verschiedener! schönen Büßerinnen mit Namen- und Ortsangabe bloßgelegt sieht? Oder wie den Monsignore Pericoli, wenn er, durch die Zeitungen in alle Welt ausposauut, die Geschichte seines Verhältnisses mit der Frau eines Räubers lesen muß, welches Verhältnis dem Räuber volle Freiheit sicherte, in der römischen Eampagua, uubelästigt von der Polizei, nach Herzenslust zu plündern und zu rauben? Von der großen Unsittlichkeit in den Verstecken der römischen Kurie hatte man stets eine gewisse, wenn auch mehr oder minder unbestimmte Vorstellung. Die Mitteilungen der „Cronaca" klären diese Vorstellungen zu Thatsacheu ab. Als Belege für dieselben werden uns die zugehörigen Namen, Orte, Umstünde angegeben. Ein Kardinal und Bischof nach dem andern sieht von seinem Privatleben in den reizenden Landhäusern den Schleier des Geheimnisses hiuwegge- zogen; ihre Orgien sind nicht länger Gegenstand der Mutmaßung. Die schmutzige Verkommenheit ihrer Sitten erscheint den Nachfolgern jener Geistlichkeit ganz würdig (denn Brunettv Latini sagt uns: „Es sind lauter Priester"), welche Dante für Sünden wider das Fleisch dazu verdammte, sich ewig ziellos auf heißem Sande zu bewegen, wahrend Feuer, gleich langsam fallendem Regen, auf sie uiedertropfte. Die von der „Cronaca" berichteten Thatsachen entziehen sich, um ihrer Unflätigkeit willen, der Wiedergabe an dieser Stelle.
Jedoch nicht nur in Bezug auf ihre Sittlichkeit erweisen sich die heutigen römisch-katholischen Priester als Nachkommen