Heft 
(1889) 20
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Deutschland.

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derjenigen aus Dantes Zeit. Die Geldgier mit den sie be­gleitenden Lastern der Verschwendung und des Geizes, des Handels mit geistlichen Ämtern, des Jnnehabens von mehreren Pfründen w. wuchert noch ebenso wie damals, als Virgil und sein Schüler die Päpste und Kardinale beobachteten, die im vierten Höllenkreise ohne Ende miteinander kämpfen.

Wir wollen aus deu vielen bekannt gewordenen Füllen vor­derhand drei herausheben. Monsignore Pericoli, ein Mann von großem Privatvermögen, bekleidet fünf geistliche Ämter, die ihm jährlich das feste Einkommen von 500000 Franks sichern, wobei all die zahllosen kleineren Einnahmequellen, die aus seiner Stellung entspringen, nicht mitgerechnet sind. Monsignore Folchi, der Vice-Schatzmeister der Kirche, kürzlich vom Papste zum Verwalter der Erzbrüderschaft des Peterspfennigs ernannt, Schatzmeister des Vatikans ?c. w., nimmt für seine Ämter 1 920 000 Franks jährlich ein, die billigerweise unter mehr bedürftige Männer verteilt werden sollten. Monsignore Jaeobinis Einkommen betrügt 2 040 000 Franks. Fügen wir hinzu, daß es keine öffentliche Kontrolle der Rechnungen der verschiedenen Gesellschaften giebt.

Darf man z. B. glauben, fragt dieCronaca," daß der Papst auch nur das geringste von dem anstößigen Handel wußte, der voriges Jahr bei Gelegenheit des Priesterjubilüums Sr. Heiligkeit von der heiligen Gesellschaft des Ablasses ge­trieben wurde, welche dieJndulgenza plenaria" thatsüchlich verkaufte? In der päpstlich-photographischen Anstalt von I5r. Federieis wurden die Bilder des Papstes mit der Unter­schrift des Kardinals Bannutelli versehen; kraft deren wurde für eineu Preis von 2 Franks für den Ablaß und 5 Franks für den Agenten, der sie ausbot, voller Ablaß für die zahlende Person oder für ihre Verwandten gewährt. Welch ein Einblick in den empörenden, niedrigen Schacher, den Kardinäle unseres Jahrhunderts ins Werk setzen, in Dingen, die von der aller­höchsten Bedeutung für das sittliche Wohl ihrer geistlichen Herde sind, wenn Sittlichkeit und Herde überhaupt hier auzu- wendende Begriffe sind. Es war sicherlich noch um vieles besser, deu Ablaß, wie zu Luthers Zeiten, auf den Straßen auszurufen, als mit Bedienten und Photographen vereint, da­mit zu schachern. Zu Luthers Zeit floß wenigstens, dem An­schein nach, das Geld in den Säckel der Kirche, während es jetzt auf dem geradesten Wege in die Taschen der Prälaten wandert.

Und noch eine andere Einnahmequelle der großen Herren wollen wir andeuten, die, was ihre moralische Seite anlangt, im höchsten Grade ordnungswidrig ist, aber tadellos geordnet und regelmäßig vom praktischen Standpunkte aus. Wir meinen die Abgabe, welche dem bedürftigen niederen Klerus auferlegt ist fiir die Erlaubnis, Messen zu leseu, die Abgabe desCele- brat." Die Vergütung, welche die Priester für die Messen er­halten, ist an sich jämmerlich niedrig, und noch dazu uuter dem Vorwände, daß, wäre sie höher, der Priester mehr an die Vergütung als an die Bedeutung der heiligen Handlung denken würde. Ein Priester, der fiir die Messe, die er liest, 80 Cts. erhält und davon leben soll, kann sich keiner tadelnswerten Freude hingeben über die Höhe seiner Einnahmen. Die Be­zahlung der Messe ist übrigens verschieden, je nach der Stunde, in der sie stattsindet: spütgelesene Messen bringen mehr ein als frühe, weil der Priester um ihretwillen fasten muß. Aber auch hierbei giebt es keine festen Bestimmungen, und die schlauesten Intriganten gewinnen den Preis. Wie schon be­merkt, muß der Priester, um sein kümmerliches, tägliches Brot zu verdienen, vom Bischof einen Erlaubnisschein kaufen, der ihn ermächtigt, eben die Handlung zu vollziehen, für die er eingesetzt und geweiht wurde. Diesen Schein bezahlt er mit 710 Franks oder noch mehr, je nach Ermessen des Bischofs, lind derselbe gilt, wiederum nach Gefallen des Bischofs, ein viertel, ein halbes, oder ein ganzes Jahr, nach dessen Ablauf er erneuert werden muß. Diese Abgabe ist für den niederen Priester stets eine drückende Last, für den gutgestellten eine reichliche Einnahmequelle gewesen. Die Erneuerung des Scheines

pflegte früher kostenlos zu geschehen; da aber die Monsignori, wohl aus ganz besonderen Gründen, eifriger als je bemüht sind Geld in ihre Kassen zu bekommen, so sind sie auf die glückliche Idee geraten, die Erneuerung des Scheines nun bezahlen zu lassen und seine Gültigkeit auf eiueu möglichst kurzen Zeitraum zu beschränken. Auf diese Weise sehen sich die niederen Priester dem Hungertvde preisgegeben, wohin sie sich auch wenden mögen: Hochämter dürfen sie nicht halten, obgleich ihre

Oberen laut klagen über den Mangel an Priestern, um dessen- willeu ganze Landstriche ohne geistliche Pflege sind. Bitten aber arme Priester um Almosen, so jagt sie der reiche mit Schimpf von seiner Thür und verweigert ihnen selbst die Bro­samen, die von des .Herrn Tische fallen. AlsKöter" pflegen Parocchi und seine Kollegen sie zu bezeichnen, und als Hunde sind sie leider nur zu oft gezwungen zu leben. Einer von ihnen schreibt derCronaca": Meine Mutter ist 72 Jahre alt und krank; mein einziges Einkommen ist 1 Frank 20 Cts. täg­lich, die Bezahlung für die Messe. Wir wohnen in einem stinkenden Loche; Brot und Zwiebeln sind unsere ganze Nah­rung, und wir sind in Lumpen gekleidet. Da meine Barschaft nicht langte, um meine Schuhe ausbessern zu lassen, und fürch­tend, daß ich infolgedessen auch nicht mehr die Messe würde lesen können, ging ich zu einem reichen Monsignore und bat ihn um 10 Franks; unwirsch wurde mir die Thür gezeigt, und eine Drohung war das Ergebnis meiner Kühnheit. Ein anderer unglücklicher Priester war fünf Tage bettlägerig, ohne 1 Ets. oder eine Brotkruste; als er demnächst sich beklagte, in so uuchristlicher Weise verlassen worden zu sein, wurde er mit der Amtsentsetzung bedroht. In den Städten ist das Elend am größten: vor kurzem sah ein Briefbote eines Abends, wie ein Priester 1 Pfund Mehl stahl. Verhaftet, erklärte er vor Gericht, daß er von seiner einzigen Messe nicht leben könne, und daß er Hnngers sterben müsse.

Nur ein Ausweg bleibt den armen niederen Geistlichen, und endlich fangen sie an, ihn zu betreten die allmächtige Presse unserer Zeit. DieCronaca nera" ist gegründet als das Sprachrohr aller Beschwerden der unterdrückten Priester. Aber dieselben gehen noch weiter. Sie haben ein Gesuch an die Regierung aufgesetzt, in welchem die praktischen Vorteile für Italien dargethan werden, die aus der Nutzbarmachung des Zwiespalts im kirchlichen Haushalte erwachsen würden. Sie seien Vaterlandsfreunde, versichern sie, und zuverlässig : der Vatikan sei ein Feind des Vaterlandes und sinne beständig auf Störungen. Wenn staatlicher Druck in diesem <Nnne auf die kirchlichen Autoritäten ausgeübt würde (und er ließe sich auf völlig gesetzmäßigem Wege ausübeu), dann würde sich die Re­gierung eine Schar dankbarer, thütiger Anhänger gewinnen, deren Einfluß im Laude als ein äußerst nützlicher gefühlt wer­den würde. Der Vatikan aber, der eine bloß gesetzgebende und keine ausübende Gewalt sei, würde als politischer Faktor ohn­mächtig werden und durch die Macht der Umstände genötigt sein, gleich anderen mittelalterlichen Einrichtungen, zu ver­schwinden, oder seine selbstherrlichen Ansprüche anfzugeben und lediglich als eine moderne volkstümliche Körperschaft fortzube- stehen, die ausschließlich ihren religiösen Pflichten obliegt. Wird der Vatikan fortdauern oder nicht? Es besteht die Meinung, daß das nächste Konklave sein Schicksal besiegeln werde.

Inzwischen beweist die ausgedehnte Verbreitung derCro­naca" 138 000 Exemplare täglich, zu 5 Cts. die Nummer), daß sie einem Bedürfnis entspricht. Und ihr Erfolg ist nicht der­jenige des Skandals, sondern ein ehrlicher und wohlverdienter; denn sie legt den Finger auf den wundesten Punkt des italieni­schen bürgerlichen Lebens, auf die Wunde, welche seine voll­ständige sittliche und folglich auch politische Wiedergeburt ver­hindert.