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aus dem schwedischen Highlife beschäftigt: in, ihren späteren Erzählungen rollt sie blasse Gedanken-Novellen über alten vernichten Thematen auf, wie z- B.: Kunst und Leben, Künstler und Mensch, der Lebensdurst der Jugend und die Resignation des Alters, altruistische Utopien und die unbeugsame Wirklichkeit.
Gustav von Geijerstam: Arme Leute.
Herr Geijerstam erzählt in diesen kleinen Novellen von sehr verschiedenen Dingen: wie es zugeht, wenn ein altes Banernweib in den Stockholmer Schemen stirbt, und wie ein schwedischer Maler in Paris drei Tage lang hungert, wie ein armer Junge ein reicher Mann werden, und wie ein junger Mann, dein der liebe Gott nur ein Auge gegeben, doch mit bescheidenen Forderungen und großen Anstrengungen sich das Mädchen ergattern kann, das er haben will. Das alles erzählt der Ver fasser zuverlässig und gewissenhaft: aber ist ihm das gelungen, so ist er auch sichtlich überzeugt, daß er seine Schuldigkeit gethan. Die Leser, die anderes und mehr von einem Buch erwarten, etwa einen durch dasselbe gehenden Gedanken, oder Stimmung, eine Lebensanschanung, die das Ganze durchdringt, einen Erzahlnngston, der das Ungleichartige zusammen bindet, das eigentümliche Kolorit einer ausgeprägten Persönlichkeit, den neuen Blick eines überlegenen Geistes auf die Dinge, diese Leser werden sich betrogen fühlen. Aber wer sich für die Mißgeschicke eines einäugigen, heiratslustigen jungen Mannes, oder für das nvtgedrnngene, dreitägige Fasten eines jungen: Künstlers interessiert, der kann Ausbeute von Herrn Geijerstams Erzählungen über dergleichen Dinge haben: was besonders das letztgenannte Thema angelst, so kann der fremde Leser mit uneingeschränktem'Vertrauen dem Verfasser lauschen, denn zu der betrüblichen Specialität aller nordischen Schriftsteller gehört die Schilderung sämtlicher Phänomene, die mit einem leeren Magen und dito leerein Beutel in Zusammenhang stehen.
Herr Geijerstam ist eins der jungen Talente, die, nachdem die schwedische Litteratur lange brach gelegen, während des letzten Jahrzehnts eine neue Schönlitteratur in ihrer Heimat geschaffen haben. Er schlug leicht und früh durch, aber er erreichte - ebenso wie Frau Edgren- Leffler - rasch die Lebensphase, in der es keine Möglichkeit für weitere Entwickelung mehr gab, und in der er nichts mehr zu bieten hatte. Vor sechs, sieben Jahren schrieb er eine kleine Schilderung aus dem Volksleben „Verbrecher," die nahezu klassisch ist in ihrer brutalen Einfachheit-, eine solche künstlerische Höhe hat er später nicht mehr erreicht. Sein umfangreichstes Werk ist ein Beitrag in Romanform zu der ebenso einfältigen, wie widerlichen Geschlechtsfrage, die während der letztverflossenen Jahre viele Moralhähne Skandinaviens gegeneinander hetzte. Später unterlag er der Neigung, fareeartige Lustspiele zu schreiben, die gegenwärtig epidemisch unter der jungen Schriftstellerwelt Skandinaviens grassiert. Seine neueste Novellensammlnng bezeichnet keinen Fortschritt über den Höhepunkt hinaus, den er vor sechs Jahren erreichte: aber sie enthält ein paar der besten Sachen, die er geschrieben, auf dem Gebiete, >vo für eine künftige Zeit seine Bedeutung liegen wird, der Schilderung des schwedischen Volkslebens. Als Kenner des schwedischen Volks steht Geijerstam hoch, sein eigenes vierschrötiges, unznsammengesetztes Naturell macht es ihm möglich, ganz unmittelbar in das schwerfällige, einfarbige Seelenleben von Fischern und Häuslern einzudringen. Auch in seiner Sprache findet Herr Geijerstam eine Hilfe dafür; seine Prosa ist hart und eckig, wie das Seelenleben des unteren Volks, sie kennt das Jittern der feineren Saiten, oder die gedämpften Mittelfarben nicht.
Der schwedische Büchermarkt war zu dieser Weihnacht leer. Die übrigen guten Kräfte des „jungen Schwedens" haben sich alle still verhalten: Por Hedberg z. B-, ein grübelnder, düsterer Mystiker, V. von Hei denstam, der in guten Gedichten und einem schlechten Roman sich zum 'Priester der orientalischen Lebensfreude in seiner kalten, mürrischen Heimat machte, Oskar Levertin schließlich, der in seiner litterarischen Produktion sich als nordischer Dekadent mit hektischer Vorliebe für sprachliche und psychische Bizarrerieen gerierte, in seinen späteren Jahren sich aber ausschließlich mit litteratnrhistorischen Forschungen beschäftigt hat.
Oka Ilan88on.
Die Hygiene der Lebensalter. Von Paul Mantegazza. (Verlag von Heinrich Motz, Königsberg i. Pr.)
Bei einer Analyse der ziemlich populären Arbeiten des Flvren- tinischen Professors wird man an die Schreibweise von drei deutschen Schriftstellern erinnert: doch fehlt ihm im Vergleich zu Fcnchtersleben der
idealistische Schwung, der dessen „Diätetik der Seele" durchwärmt: dem Verfasser von „Kraft und Stoff" steht er nach in der Kunst der logischen Darstellung, und Klencke erhebt sich über seinen italienischen Kollegen durch die konsequente Hervorkehrnng des rein Praktischen Zieles, hygienische Haushaltungsbiicher zu schaffen. Doch hat Mantegazza andererseits etwas von dem eleganten Stil des ersten, von der Belesenheit Büchners und der Gründlichkeit Klenckes. So kommt es, daß alle Bücher Man- tegazzas in unfern Augen eine unleugbare Oberflächlichkeit mit einer ge wissen Lehrhaftigkeit verbinden, und also ihr sicheres Publikum finden. — Viel Neues im Vergleich zu dem, was er und andere früher schrieben, findet sich in vorliegender Arbeit nicht; das lehrreichste Kapitel ist das über die Pflege des Säuglings, und doch wird schwerlich eine Mutter,
wenn sie schon sich Rat ans einem Buch erholen will, zu diesen An
Weisungen greisen; beherzigenswert, weil von immerhin autoritativer Seite kommend, ist die Warnung vor frühzeitiger Belastung des geistigen Vermögens der Kinder; mit vollem Rechte geißelt er auch die in unseren Schulen scheinbar unausrottbare, als Bildungsmittel mehr als zweisel ! hafte Beschäftigung mit der Grammatik. Solche Goldkörner sind jedoch,
! genau genommen, unter einer Fülle minderwertigen Materials verstreut,
^ und ungemein zahlreiche, unvermittelt sich folgende Citate geben dem j Ganzen eine etwas abstruse Form. Bloße Citate, das wird allzuoft
j vergessen, sind keine Argumente und ersetzen nicht Deduktionen, sondern
( unterstützen nur die eigenen Ausführungen, indem sie die Autorität eines anderen mit in die eigene Wagschale legen. Im.
Ans der vierten Dimension. Briefe des alten Drinkwitz. Mitgeteilt von Hans Merian. (Leipzig, Verlag von Karl N eigner 1890.)
Der Verfasser, welcher bisher mit Vorliebe litterarische Sünden : leicht satirisch behandelt hat, wendet sich diesmal kräftiger gegen das ^ Unwesen der Spiritisten. Der sogenannte Rechner Spuk giebt ihm nicht nur den Anlaß, an welchen er anknüpft, sondern auch die handelnden Personen seines kleinen Buches. Die Einleitung persifsliert ganz vor ! zügiich die abgeschmackte Manier, in welcher die gewerbsmäßigen Medien ihren Lebensunterhalt zu gewinnen suchen: der Einfall, daß die medinmi stische Kraft des Schreibers jedesmal an eine bestimmte Menge Bier in seinem Leibe gebunden ist, wirkt sehr lustig und kann nur demjenigen zu burlesk erscheinen, der die wirklich blödsinnige Logik der Spiritisten nicht kennt. In den weiterfolgenden Briefen aus dem Jenseits führt der Verfasser wieder unblutige Streiche nach allen Richtungen, trifft aber leider die schlimmsten Opfer nicht so scharf, wie das Wesen der Satire es nun einmal erfordert. -r.
Spaziergänge eines Naturforschers. Von William Mar
sch all. (Leipzig, Verlag des Litterarischen Jahresberichts sArthnr Seemanns.)
Das vorliegende Buch gehört zu denjenigen Erzeugnissen der ein schlägigen Litteratur, welche wissenschaftliche Gründlichkeit und sachliche Vertiefung mit gemeinverständlicher Darstellung in hervorragender Art zu verbinden wissen. Das Werk ist durchaus für Laien geschrieben, und doch enthält es sowohl in Hinsicht des verarbeiteten Stoffes als der das Ganze durchziehenden Anschauung genug, um zum Beispiel etwa auch dem studierenden Jünger der Naturwissenschaft von großem Nutzen zu sein. In leichtem, vorwiegend heiterem Plauderton führt uns der Verfasser, Professor an der Leipziger Hochschule, durch Wald und Feld, iiber Berg und Thal und durch den Wechsel der Jahreszeiten, um uns mit leiblichem und geistigem Auge sehen zu lehren. Wir erhalten eine zu sammenfassende Darstellung über die Wanderungen der Tiere, die noch so vielerlei Unerklärtes und teilweise Rätselhaftes bieten; über „Allerlei kleines Gesindel," vorzugsweise aus der Kerswelt, und dessen Eigentüm lichkeiten in Auftreten und Lebensweise; über „Tänzer und Sänger des Lenzes," unter denen wir nicht nur Vertreter der Vogel-, Frosch- und Zirpenwelt, sondern selbst der Fische finden; über „Befiederte Baumeister" und über „Elternfrenden und Elternsorgen" in der Reihe der Tiere. Das ist der Frühling. Der Sommer bringt uns Belehrung über „Kin der der Nacht" und über „Segler der Lüfte;" er führt uns in das Leben „Auf der Bergwiese" ein und läßt uns Beobachtungen „Nach einem Sommerregen" anstellen; er belauscht mit uns die „Spatzcn im Weizen"