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Deutschland.
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eine bestimmte Stunde erwarteten, und daß die Welt über diese Stunde hinweg mit ihrer ungeheuren Gleichgültigkeit weiter ging, kann nur einen überlegenen Kopf zur Darstellung reizen. Paul Heyse hat in seinem gleichnamigen Volksschauspiel das Ende des dreißigjährigen Krieges als Zeit der Handlung gewühlt und dadurch dem ewigen Stoffe soviel Gegenwärtigkeit gegeben, daß die Ironie und die Moral des Ganzen ans uns Zeitgenossen gemünzt erscheinen konnte.
schiedene Arten nmgebracht. Felix Dahn macht es umgekehrt; auf wenigen Seiten heilt er alle die Helden, die auf dem Schlachtfelde znsammengehanen und mit vergifteten Messern gestochen worden sind. Man begreift, daß einein so zählebigen Geschlechts ein bißchen Weltuntergang nichts auhaben konnte.
„Wenn nun so fortan Ein seder wandelte die Erdendahn,
Als ob die nächste Nacht die letzte war'!"
Es soll dem Historiker Dahn nicht verdacht werden, wenn er den Versuch machte, ohne eigentlichen Humor das Grauen des furchtbaren Aberglaubens in seiner klassischen Zeit zu malen, im Jahre 1000 nach Christi Geburt. Dahn hat die ersten Bausteine zu seinem Werke übrigens so geschickt zusammengestellt, daß er anfangs selbst den Glauben an ein Gelingen haben durfte; und in einer kurzen Wiedergabe der Katastrophe kann es fast scheinen, als ob dieser „Welt-Untergang" was Rechtes wäre.
Von einem italienischen Pfaffen, der nebenbei der Sohn des besiegten Königs von Italien ist, wird eine Rotte wendischer Krieger gegen die Bischofsstadt Würzburg gehetzt. In der Nacht nach der Sonnenwende des Jahres 1000 stürmt der Feind auf der Heerstraße heran. In derselben Nacht erwarten die Bürger mit ihrem kriegerischen Bischof im Dome das Nahen des Antichrist und den Untergang der Welt. Und für dieselbe Nacht hat der alte heidnische Wolfsjüger und Schafhirt die Götterdämmerung prophezeit, bei welcher er lebendigen Leibes neben Wotan gegen Loges Heer zu kämpfen gedenkt. Es bleibt rätselhaft, warum sein Zauberspiegel ihm Ort und Stunde des Überfalls so genau verrät. Genug, die Wenden werden aufs Haupt geschlagen und das Deutsche Reich ist gerettet, wie so oft in den Romanen von Felix Dahn und glücklicherweise auch in der Geschichte. Diese Wendenschlacht ist gut erzählt; auch das Gedicht von der Götterdämmerung, welches der Gemeindehirt mit Benutzung älterer Quellen vorträgt, ist hübsch und ebenso die Geschichte, wie des Bischofs wilder Abgesandter in Rom zum Glauben au den Weltuntergang gebracht wird. Aber drei gute Stücke genügen höchstens für eine Predigt, gewiß aber nicht für einen weit ausgesponneuen Roman. Den Historiker Dahn trifft der Vorwurf, daß er sich die Sache leicht gemacht hat wie ein schlechter Romanschreiber. Als er auf sein Buch die Überschrift „Welt-Untergang" setzte, da weckte er in jedem besseren Leser die Hoffnung, daß die schreckliche Angst jenes Jahres in der Stimmung des Romans wiederklingen werde. Davon ist aber gar nicht die Rede. Mit einigen Scherzen hilft der Professor sich über die Schwierigkeit hinweg und mußte doch wissen, daß das seine Hauptaufgabe war.
Bleibt uns so der Historiker das Beste schuldig, so kann der eigentliche Roman wirklich nicht ernsthaft beurteilt werden. Ich habe es aufgegeben zu zählen, wie viele Liebespaare am Ende glücklich um den Bischof umherstehen. Außer den Junkern und Fußknechten, welche ihre Bräute nach mannigfachen Führ- lichkeiten heimführen dürfen, ist da noch ein junger Dogenprinz aus Venedig, der seine Verlobung mit dem Güusemüdchen von Würzburg in Aussicht stellt, und auch der alte Bischof geht nicht ganz leer aus. Jede Tageszeitung könnte froh sein, wenn Felix Dahn in ihren Spalten alle seine Berlobungsauzeigen abdrucken lassen wollte.
Noch weniger ernsthaft ist die Güte zu nehmen, mit welcher der Dichter seine Helden allesamt lebendig aus der Schlacht heimführt. Die beiden Bösewichter zwar müssen sterben, und auch der Wolfsjüger und Schafhirt füllt auf dem Felde der Ehre, damit er geheimnisvoll zu dem Gefolge des wildeu Jägers entrückt werden kann. Alle braven Menschen aber werden gerettet. Ich sah jüngst im Berliner „Parodie- Theater" den „Fall Clömeueeau;" da wurden zum Schlüsse in weniger als einer halben Minute sechs Menschen auf ver
Kleine Kritik.
Skandinavische Bücher.
Anne-Charlvtte Leffler: Aus dem Leben.
Es ist eine beachtenswerte historische Thatsache, das; die Damen sich immer heimisch ans dem schwedischen Parnaß gefühlt haben. Zur Zeit, als die schwedische Schönlitteratur nach ein Kind in der Wiege war, wurden die Pflichten der Amme van Frau Nordenflhcht ansgeübt; eine leidenschaftliche Persönlichkeit mit einem bewegten, kummervollen Leben, ein ursprüngliches Gemüt steht sie noch als eine deutliche Gestalt im Lichte ihrer echten, warmen, volltönenden Gedichte in der Galerie unserer Litteratur da. Frau Leungren, deren Haus der strahlende Mittelpunkt des litterarischen Stockholms in der gustavianischen Periode war, ist eine klassische Dichterin, deren kleine stachlige Satiren in an sprechenden Versen noch heutzutage in allen Schichten der schwedischen Nation gelesen werden. Die Romane der Damen Bremer und Flygare Carlen haben bekanntlich die Runde um die Welt gemacht. Frau Anne Charlotte Leffler «früher Edgren) ist gegenwärtig die Erbin dieser Tra ditioneu.
Diese Dame repräsentiert die moderne Franenemancipationsbe- wegnng in der skandinavischen Litteratur. Sie ist eine Nora, die von wegen Hellmers Gebrechlichkeit und von Indignation? Gnaden Schrift stellerin geworden. Tie Frauenlitteratur, die im Norden ans Ibsens „Ein Puppenheim" (Nora) hervorgewachsen, hat besonders in Schwe. den — wo augenblicklich eine fromme Königin zusammen mit einem pietistischen Poeten den Ton angiebt — einen geeigneten Erdboden für ihre Schwanennatur gefunden. Unter den schriftstellernden Damen, deren Zahl Legion ist, steht Frau Edgren Leffler als die erste und beste, als die einzige wirklich echte, künstlerische Kraft da.
Sie ist nur Verstand, ein kalter, klarer, harter Verstand. Gefühl besitzt sie nicht viel in dem ursprünglichen, natürlichen Fond ihrer Seele, artistische Disposition noch weniger, Phantasie absolut keine. Sie wurde Dichtern: bloß auf ihre Erfahrungen als weibliches Mitglied der höheren Gesellschaft Stockholms hin, und auf Grund der glühenden, bitten:, herben Indignation, die aus ihnen hervorguoll. Ihre ersten Erzeug nisse empfingen Leben unter den: Hauch dieses Geistes; aber bald kan: die Zeit, da sie geschwollen waren von: Wind leerer Phrasen. Man hat sich in Schweden noch nicht von seinen: Erstaunen erholen können, wie Plötzlich sie in ihren: Wachstum stehen blieb. Sie wurde auf ein mal steril, ihre Erzählungen wurden schematisch, ihre Dramen melodramatisch; sie tischte bengalische Beleuchtung und Gemeinplatz-Weisheit ans; ihr Geist enthüllte sich als das seichte Wasser, das es war.
Ihre letzte Nooellensammlnng ist für sie als Schriftstellerin typisch in: Guten und Schlimmen; sie offenbart ihre Individualität, ihre Entwickelung und ihr Schicksal. In ihr legt sich der Blick einer skandina vischen, intelligenten, seelenstarken, erfahrenen Frau aufs Leben dar. Sobald die Konflikte verallgemeinert und das Leben theoretisiert wird, stößt man auf Flachheit — auf einen engen Geist, der simplifiziert, rüdem er die ganze Mannigfaltigkeit, den ganzen Reicht::::: an Widersprüchen, den die Welt enthält und den er selbst nicht umspannen kann, unbeachtet läßt. Aber wo, wie in der kleinen Skizze „Tante Malwine," ein einzelner Fall ohne Retonchiernng dargestellt wird, da genießt man die Anrichtung wie ein Stück ungefichtetes Leben; die Verfasserin hat den Blick einer Frau für die vielen lebendigen und charakteristischen Einzelheiten. Bon Frau Lefflers ursprünglichem Problem: die Stellung der Frau zum Manne in moralischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht, ist im Vordergründe ihres neuesten Stücks nichts zu finden. In ihrer frühesten Produktion hat sich Frau Leffler mit Vorliebe mit verführten Mädchen aus dem Proletariat , untreuen Ehemännern aus der Creme der Gesellschaft und emanzipiert indignierten geschlechtlichen Neutren