Heft 
(1889) 20
Seite
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Deutschland.

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Dieser Teil des Publikums sollte alle vornehm auftreten- deu Veranstaltungen meiden. Er gehört in die ehestiftenden populären Konzerte des Konzerthauses, der Philharmonie, und wird auch dort gewißlich seine Rechnung finden, trotz der Auf- ! Wendung von ein paar Pfennigen. Bierdunst und Tabaks­geruch sind seine Atmosphäre.

Die letzte Gruppe derÜberflüssigen" im Konzertsaal bildet die käufliche Kritik, jene Vereinigung irgendwie verun- ! glückter Skribenten, die um schnöden Lohn es versuchen, die öffentliche Meinung zu fälschen, Lüge in Wahrheit, Wahrheit in Lüge zu verkehren. Sind die weiter oben erwähnten unbe­rechtigten Kouzertbesucher im Grunde harmloser Art, Eitle und Ignoranten, so bedeutet die bestechliche Kritik ein gefährliches Element, ein Element, das schwer auszurotten ist. Beklagens­wert ist es, daß sie durch ihr schamloses Treiben einen ganzen ! ehrenwerten Stand beschimpfen.

Fragen wir uns nun, ob es wirklich einzig und allein die Reklamesucht in der musikalischen Welt ist, die dieseUn- ; berechtigten" in den Kouzertsaal gezogen hat, so müssen wir konstatieren, daß hier noch ein anderes mitspricht: die falsche j Scham eines großen Teils sonst ganz vernünftiger Menschen. ; Es ist eine betrübliche und kaum zu erklärende Erscheinung, ^ daß der Mut zur Wahrheit in musikalischen Dingen außer­ordentlich selten zu finden ist. Mit größten: Freimut hört ; man sogenanntenKreisen" angehörende Menschen bekennen, daß sie die Gesetze, welche in der Baukunst maßgebend sind, nicht kennen und absolut ohne Interesse für die Verhältnisse der Peterskirche w. sind. Ohne Scheu gestehen sie, daß ihnen die Plastik mit ihren Voraussetzungen, die Kunst des Punk- tiercns w. vollkommen gleichgültig sei. Der ihnen schon etwas näher stehenden Malknnst huldigen sie dadurch, daß sie ein- bis zweimal durch die große Jahres-Ausstellung laufen ohne von edlen Werken der Bildnerei oder Baukunst nähere ^ Notiz zu nehmen und indem sie hin und wieder ein flüch­tiges Ergötzen an den Auslagen der Kunsthandlungen suchen. Es beschämt sie keineswegs, Goethe nur von der Bühne herab oder in seiner Lyrik zu kennen die Dichterheroen fremder Völker allenfalls nach den Namen ihrer bekanntesten Werke. Diese selben Menschen aber würden es als einen gesellschaft­lichen Verstoß betrachten, nicht 8-10 Konzerte in der Saison zu besuchen. Sie würden eine erziehliche Vernachlässigung darin sehen, wenn sie ihre Sprösslinge, sobald dieselben das schulpflichtige Alter erreicht haben, nicht zur musikalischen Mar­ter verdammten.

Wer hat eigentlich das unsinnige Gesetz ausgestellt,^ daß es zu einer vollendeten Erziehung gehöre, irgend ein salon­fähiges Instrument also auch das edelste, die Stimme dilettantisch zu mißhandeln? Wem wird es einfallen, absolut talentlose Kinder zu zwingen, einer anderen Kunst als der Musik täglich wertvolle Stunden zu opfern? Und dennoch wäre das nicht halb so grausam: denn die Beschäftigung mit der Tonkunst ist eine stark nervenreizende für den Ausübenden und den Zuhörer den häufig unfreiwilligen Zuhörer, der in Verzweiflung gebracht wird durch die Katzenmusik, die ent­steht, wenn in einem Hause auf verschiedenen Instrumenten zugleichgeübt" wird.

Wenn die Mnsiksenche nicht bereits zu so gefährlichen Dimensionen gelangt wäre, so Hütten wir auch ein edleres und verständnisvolleres Publikum. Weshalb bekennt ein Mensch ohne feineren Mnsiksinn nicht offen, daß er lieber von einer Drehorgel einen lustigen Tanz anfspielen hört, als daß er ein Joachim-Quartett besucht? Warum erlügt er Enthusiasmus für die l>. Sinfonie, ohne doch das geringste Verständnis für die Knnstform, in der sie geschrieben wurde, zu besitzen von dem Begreifen des geistigen Gehalts ganz zu schweigenP

Die vornehme Kunst im Konzertsaal hat eine Mission: sie soll erheben, läutern, veredeln! Darum fort mit der Lüge, der falschen Scham ihr gegenüber, fort mit aller Mnsikhenchelei ans den wahren Tempeln der Kunst.

Und fort mit jenen Scheinkünstlern, die die prunkende

musikalische Lüge in die Welt gesetzt haben und die ihr den Thron höher und höher bauen. Kräftige Stöße gegen diesen morschen Thron, daß er endlich stürze und an seiner Stelle der Wahrheit der einfache Sitz errichtet werde.

Es ist hohe Zeit, daß hier ein Wandel geschaffen werde. Es ist hohe Zeit, daß die Musikunmodern" werde, um zu ihrer Würde znrückzukehren. Dies kann und wird aber nur geschehen, wenn energische Schritte gethan werden, um die Mnsiksenche ansznrotten, wenn dasmoderne Kvnzertpnbliknm" decimiert wird.

Gewiß giebt es Männer unter den Künstlern, die stolz und einsam genug sind, um wohlfeilen Reklamernhms entraten zu können und nur das erstreben, was dauernd, echt und wahr­haft künstlerisch ist. Sie sollten sich vereinigen, um endlich einmal den Mißbrauch, der mit den Freibillets getrieben wird, abznschaffen und die hohen Preise der Plätze zu ermäßigen.

Sobald der Besuch eines Konzerts nicht mehr ein elegan­tes, teures und modernes Vergnügen für die bevorzugten Gesellschaftsklassen, oder ein ganz freies Zndrüngen von Igno­ranten sein wird, werden wir es erleben, daß sich die Spreu vom Weizen sondert.

Der letzte Dshn.

Von

A M.

^ps ist noch kaum zehn Jahre her, da war der Weihnachts- markt des poesieliebenden deutschen Volkes, also der Primaner und der höheren Töchter, ziemlich überall be­herrscht von Julius Wolfs, Georg Ebers und Felix Dahn; und in angesehenen Zeitschriften, welche ein modernes Zeit- bewnßtsein zu besitzen meinten, konnte man allen Ernstes die Vereinigung von Wissen und Poesie preisen hören, welche in den Sagenverstümmelungen des einen, in der Nähmamsell­ägyptologie des zweiten und in den altdeutschen Romanen des dritten gefunden wurde. Die Zeiten haben sich ein wenig ge­ändert. Auf dem Weihnachtsmarkt sind schlechtere und bessere Nebenbuhler ausgetreten, und die Kritik, soweit sie von modernen Männern geübt wird, bewundert die Butzenscheiben nicht mehr im Hause des Romanschreibers und ist vollends über den Ly­riker, der sich zwei Butzenscheiben als Brillengläser auf die Nase gesetzt hat, zur Tagesordnung übergcgangen.

Von den genannten Modedichtern war Felix Dahn von jeher derjenige, dessen eiliges Knnsthandwhrk zumeist verdrießen mußte, weil sein Geist und seine Sprachbeherrschung ihm höhere Aufgaben zu stellen schien. Ihm sind auch zu Anfang seines Schaffens einzelne Werke gelungen, welche wie Gustav Frey­tagsAhnen" die beliebte Form des historischen Romans mit guter Kulturgeschichte füllten und manches Körnlein echter Poesie hinznthat. Dann aber schrieb er in rascher Folge seine sechs kleinen Romane aus der Völkerwanderung und es hörte am Ende ans kritische Pflicht zu sein, jede neue Erzählung von Dahn zu lesen.

Sein neuestes Werk aber führt den TitelWelt-llnter- gang"* und konnte die Neugier aufs neue wecken. Dahn hat damit das Zeitalter der Völkerwanderung, nachdem sein Pega­sus es bis ans den letzten Halm abgegrast hatte, nach den Gesetzen anderer Wanderungen verlasse:: und man durfte hoffen, daß eine fettere Weide besagten Pegasus wieder anffüttern würde. Auch war Felix Dahn schon in solchen Stoffen glück­lich gewesen, die durch starken philosophischen Ideengehalt einen unbedeutenderen Dichter hätten scheitern lassen. Die Thatsache, daß zu gewissen Zeiten ganze Volker das Ende der Welt für

^ Weltuntergang. Geschichtliche Erzählung aus dem Jahre 1000 u. Chr. vou Felix Dahn. Fünfte Auflage. Leipzig. lBerlag von Breitkvpf n. Härtel, IlWO.)