Heft 
(1889) 20
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Seite 344. Deutschland. ^ 20 .

dcrt des Dampfes, der Elektrieität so bevorzugt sein, daß es neben Phänomenalen Leistungen ans dem Gebiete der Arbeit, der Wissenschaft, auch in der Kunst einen Aufschwung hervor­zubringen berufen ist? Daß es die Kraft hat, Künstler zn erzeugen, wie Maschinen?

Ein großer Mann ersteht der Kunst nur selten. So war es zu allen Zeiten und so wird es bleiben. Kein Fleiß, keine Arbeit, keine Sehnsucht weckt den Himmelsfunken des Genies dort, wo ihn die Natur versagte. Und keine Reklame, so ge­schickt und fein sie sei, schafft Nachruhm für einen Unberech­tigten. Sie kann ein StückleinBerühmtheit" zweifelhaftester Art antieipieren, nichts weiter. Das Echte, Wahre, Große hinwieder kann ihrer Hilfe entraten. Vergangene Zeiten lehren uns das. Sie kannten nicht die modernen Hilfsmittel der Anpreisungskunst," die Zeitung, die Annonce, die Feuilleton­notiz, das Plakat, nnd dennoch wußten sie in edelster Weise ihre großen Sohne zu feiern und deren Werke zu schützen.

Für den Künstler war der Weg zum Ziele schwer. Dar­um wurde er selten betreten und nur von solchen, die die Kraft zum Ringen, zum Kämpfen besaßen. Heut führen so viel ge­fällige Nebeupfade in die Nähe des Ziels, daß sich mancher verlockt fühlt, einen Gang zu wagen, der ihm geringe Be­schwerde bringt. Denn die Reklame leitet und führt über Hin­dernisse hinweg, sie unterstützt Schwächen mit hundert gefälligen Händen.

An dem Konzertabend eines besonders geschicktenMachers," der neben seinem kleinen Talent sich vielleicht durch eine pikante Schwermut oder auch durch anziehende Gassenjuugenmanieren auszeichuet, könnte man nach den Beifallssnlven, den Ovatio­nen, den Lorbeerspenden, sich zu der Annahme verleiten lassen, daß inan einen gottbegnadeten Künstler vor sich habe, wenn nicht die musikalischen Leistlingen wären.

Ein Haschei: nach Scheinerfolg, ein ängstliches Suchen und Tasten, ein kümmerliches Dahiufristen von Jahr zu Jahr, das ist der Fluch ihres hohlen Seins. Damit mögen sie fertig werden. Aber daß sie degenerierend ans ganze Geschlechter ge­wirkt, daß sie anfblühender Jugend unwiderbringliche Stunden geraubt, diese Jugend um Kraft und wahre Begeisterung be­trogen haben, indem sie die Musikseuche in die Welt setzten, den Musikzwang, das sei ihnen nicht verziehen. Und nicht verziehen fei ihnen, daß sie die Geister großer Lebender und Toter in fragwürdigster Gestalt vor einer Menge citierten, die zu zwei Dritteln aus Ignoranten besteht.

Betrachten wir sie näher, jene Schar, die allabendlich die vornehmeren Konzertsäle füllt. Vor allein können wir eine Zweiteilung vornehmen. Wir finden Menschen, die berechtigt sind, sich einer Kunst, in diesem Falle speciell der Musik, zu nähern, und solche, denen man dieses Recht absprechen muß: Hörer und Statisten. Beschäftigen wir uns vorerst mit der letzteren Kategorie, um über das wenig Erfreuliche hinwegzu­kommen. Untersuchen nur genauer die Gründe, die den größeren Teil des Publikums in die Konzertsüle leiten.

Da wirkt vor allem die Blöde, das Gesetz der Gesellschaft. Eine Unmöglichkeit, den und den, die und die, nicht gehört zu haben! Man könnte nichtmitsprechen" im nächsten schön­geistigen Zirkel, mau könnte sich eine Blöße geben, hätte man diese oder jene Pidee nicht von P. oder Z. vortragen hören kurz, es wäre ein gesellschaftliches Verbrechen, gewisse Kon­zerte nicht besucht zu haben. Ist der Bruchteil des Publikums, der diese:: hohen geistigen Standpunkt einnimmt, weiblichen Geschlechts, so tritt noch ein anderes wichtigesLeitmotiv" hinzu die Toilette. Ein extravagantes Kleidungsstück, ein hochmoderner Kopfputz wie gut präsentieren sie sich z. B. von den Podium- oder Estradeplützen der Singakademie!

Ein anderer Teil derStatisten" sucht nichts mehr und nichts weniger in dem Besuch eines Konzerts als eine gesell­schaftliche Zerstreuung, eine Vorbereitung auf ein Souper, einen Rout, einen Ball die elegante Ausfüllung von ein paar leeren Stunden in einen: leeren Dasein. Diese Art von Men­schen gehen ins Konzert, wie sie in einen Schönthan, einen

Moser gehen. Es ist nur ein Unterschied: wenn sie dort lachen, so gähnen sie hier. Aber sie treffen Welt sie finden Ge­legenheit zu medisieren, zu kokettieren warum sollten sie zu Haus bleiben?

DiesenKonzertbesuchern" reihen sich würdig an die so­genanntenoffiziellen Persönlichkeiten" Leute von kleinem Verdienst und großer Redegewandtheit, bekannte Beaus und Beautes; typische Erscheinungen, denen es gelungen ist, durch unentwegtes Auftauchen bei allen möglichen öffentlichen Ge­legenheiten und Schaustellungen sich bemerkbar zu machen, die es erreicht haben, daß bei allen Festberichten in den großen Zeitungen ihr Name in ganzer Pracht oder nur in den Initialen prangt. Diese bilden den dekorativ wirkenden Teil des Publikums, der durch großartige Allüren zu imponieren sucht, ein tiefes musikalisches Verständnis heuchelt und womög­lich durch feine Nuancen im Benehmen den staunenden Umher- sitzenden bemerklich zu machen sucht, daß er mitdein" oder der da oben" intim sei.

Diesen scheinheiligen Hörern schließt sich eine Gruppe von Überflüssigen" an, die den Hnmor im Konzertsaal vertritt: die Schar der Freibeuter. Gestalten, zumeist aus den mittleren und unteren Klassen, die auf irgend eine Weise in den Besitz von Freibillets gelangt sind, die sie nichtliegen lassen" möchten. Schon ihre äußere Erscheinung ist in den meisten Fällen dazu angethan, den Stift eines Oberländer herauszu­fordern noch komischer aber wirkt ihr halb ängstliches, halb wichtiges Gebaren in der nicht gewohnte«: Umgebung. Sie fühlen die Verpflichtung, ihrer Nachbarschaft anzudeutcn, daß sieetwas von der Sache verstehen," indem sie während der musikalischen Vorträge mit Kopf, Hand oder Fuß irgend einen falschen Rhythmus markieren, die Augen verzückt nach allen Weltgegenden Hinrollen, halb ersterbendereizend,"Himm­lisch,"großartig,"es klingt so bekannt" flüstern, und zum Schluß in eine Begeisterung geraten, wie sie eben nur ein Freibillet erzeugt. Wenn nun garmein Emil" odermein Lieschen" das eine oder andere der vorgetragenen Stücke ge­spielt oder gesungen und es so dem Verständnis der konzert besuchenden Angehörigen nühergerückt hat, so kennt der tobende Beifallsjubel keine Grenze. Bei Oktaveuketten oder dein Über­greifen der Hände eines Vortragenden Virtuose:: schauen sich dieseKenner" verständnisinnig an,ja der kann's!" Der Triller dein: Gesang erscheint ihnen als der höchste Triumph der Kunst. Orchesterstücke nehmen sie als unwillkommenes Füllsel hin. Der Zauber des Zusammenwirkens der Jnstru mente bleibt an ihnen machtlos. Der phantastische Elfenspuk eines Weberfchen Oberon verklingt an ihrem Ohr vorüber ins Nichts; die sehrenden Harmonieen eines Wagnerschen Tristan schaffen ihnen Unbehagen; eines Beethoven erhabene Worte verhallen ihnen. Mit Mühe cachieren sie ihr Gähnen, heucheln ein Interesse, das sie höchstens dem Solisten, der Solistin ent­gegenbringen, und das sie, selbst diesen Gefeierten gegenüber nicht verhindert, unvermutet Fragen zu thun, die durch ihr Nichtzursachegehören geradezu verblüffen. Man muß anneh­men, daß sie trotz eines nüchternen Äußeren über eine starke geistige Flugkraft verfügen, die es ihnen ermöglicht, sich aus den: träumerischen Helldunkel eines Schumanu-Ouartettes Plötz­lich in den mit kräftigem Wohlduft gefüllten Raum ihrer Küche zu versetzen.Der ganze Frühling," den ein Rubinstein-Lied um sie her erschafft, hält sie nicht ab, der wvhlgeschwungenen Linien eines neuen Kleides zu gedenken. Mancher Philister mit gefalteten Händen stöhnt Wohl auch weltvergessen auf, wenn gar zn schwebende Harmonieen sein an den Lärm und das Toben despolitischen" Stammtisches gewöhntes Ohr um­schmeicheln. Ganze Humoresken kann man erleben, wenn man diese nichtzahlenden Musikenthusiasten beobachtet und belauscht. Besonders belustigend wirkt auch ihre Anstrengung, sich in den Unterabteilungen der Programmnummern zurechtzufinden, oder den richtigen Schluß eines Stückes zu erkennen. Gewöhnlich bricht ihr Beifall schon bei einen: ppp. hervor, oder bei einem Accord, der noch nach Auflösung verlangt.