Heft 
(1889) 20
Seite
343
Einzelbild herunterladen

^ 20 .

Deutschland.

Seite 343.

Unser modernes Aonzertpublikurn.

Bv»

A. Schoebel.

erlin ist die Musikstadt xar exaellsiioe.

Ganze Spalten der Tagesblätter sind angefüllt mit den Ankündigungen der in Aussicht stehenden Konzerte. Unter dem Strich" macht sich eine tolle Reklame für Vir­tuosen aller Art, für land- und weltfahrende Sänger und Sängerinnen breit.

Zu welchen: Zweck die Marktschreierei? Die pikanten Anreiz enthaltenden Mitteilungen ans dem Privatleben der Künstler und Künstlerinnen? Sie sollen ein Publikum in die Konzertsäle locken, sie sollen wieder und wieder, unter jeder erlaubten Spitzmarke irgend einen Namen zwischen die Menge schleudern, so lange bis er den Ohren ein bekannter Klang ge­worden ist und sich ins Gedächtnis eingebürgert hat, als die Bezeichnung für einen Begriff, der Erwähnung, häufige Er­wähnung verdient.

Ist die Kunst zu einem Handwerk herabgesunken, dem es Notwendigkeit ist, seine Hervorbringungen in eitler und nicht immer ganz ehrlicher Meise nnznpreisen? Bedarf sie einer eifrig gerührten Trommel, um die Blicke auf sich zu lenken? Einer Lürmtrompete, die ein vornehmes Ohr nur taub machen kann für das, was diese Trompetenstöße ankündigen? Sind die Künstler Gaukler geworden, denen ein blasender Herold voranzieht lvie fahrendem Volk?

Wären es die Namen der Virtuosen und Sänger allein, ein Hinweis auf ihre Leistungen, ein kritisches Betrachten der­selben, so könnte man diese Art von Reklame gelten lassen. Aber ganz andere Dinge werden berührt, wenn es gilt, einen Namen ü tont ^iix durch Zeitungsnotizen berühmt zu machen; Dinge, die absolut nichts mit der Kunst zu schaffen haben, Dinge, die auf die geistige Jmmoralität eines gewissen Teils des Publikums spekulieren.

Das Sensationsbedürfnis soll geweckt, eine müßige Neu­gier erregt werden. Das Publikum wird dadurch zu der fatalen Gewohnheit verleitet, ein Kunstwerk, eine Kunstleistung, nicht mehr objektiv zu beurteilen, sondern sich von der Persönlichkeit des Künstlers beeinflussen zu lassen.

Ist die zufällige Kenntnis der privaten Verhältnisse eines Künstlers, seiner vielleicht recht pikanten Erlebnisse, ein Grund, ihn bei seinen Schöpfungen aufznsnchen?

Ein Kunstwerk, eine Knnstleistnng, gleichviel ob fiir die Ewigkeit oder den Moment geschaffen, darf wohl den Anspruch erheben, als Ding an sich, gesondert von der Art der Lebens­führung seines Schöpfers, betrachtet zu werden.

Geschmackvoll ist die in unserer Zeit beliebte Weise, einem Künstler ein Publikum zu schaffen, indem man wieder und wie­der auf sein Privatleben hinweist, sicher nicht. Ebenso ver­werflich ist jene Reklame, welche sich darin gefüllt, wirkliche Genies durch Gegenüberstellung oder Vergleichung mit großen Toten zu heben. Eine Beleidigung für den echten Künstler, der eigene, niebetretene Wege wandelt, und zumeist kaum eine Ahnung davon hat, in welcher Art findige Reporter und ge­wiegte Agenten fiir die Ausbreitung seines Ruhmes, für die Vergrößerung seines Publikums sorgen.

Das Überhandnehmen der Reklame gerade in musikalischen Kreisen weist darauf hin, daß diese Reklame nötig geworden ist, nötig geworden aus verschiedenen Gründen.

Der Musiktaumel, der nach den ersten Tagen von Bai­reuth die höheren und mittleren Gesellschaftsklassen ergriff, er­zeugte eine ganze Reihe von halt- und marklosen Scheinkünst­lern, die Erregung, Begeisterung, Anempfinden, ein kleines Talent für schöpferisches, beseelendes Genie hielten, den Funken für die Flamme nahmen und ihm fleißig Ol zutrngen, wodurch sie zwar ein kurzes Aufflackern, aber durchaus nicht die er­wartete blendende Wirkung erzielten, zudem da dem musika­

lischen Rausch und Taumel die unausbleibliche Erschlaffung gefolgt war und der Enthusiasmus für die Tonkunst zu einer- gesellschaftlichen Lüge - allerdings von gefährlichen Dimen­sionen herabgesunken war.

Dauerndes, Bleibendes konnten dieseschwankenden Ge­stalten" der Kunstwelt nicht erreichen, so griffen sie nach allen Mitteln, von sich reden zu machen, sie stießen in das Reklame­horn, machten einen weithin hallenden Lärm vvn ihrer Person und nebenher auch von ihrer Kunst.

Man ließ der Musik nicht die koordinierte Stellung neben den anderen Künsten.

Die Musik sollte plötzlich Gemeingut sein, ein jeder sollte sie, oder mindestens tiefes Verständnis für sie, besitzen; ein jeder sollte ihr opfern, Zeit, Geld, Begeisterung, auch der, der weder Zeit noch Geld, am wenigsten aber Begeisterung besaß. So wurde die Musik Mode; sie zu pflegen, von ihr zu spre­chen, guter Ton.

Das sogenannte Künstlertum griff um sich und zog die weitesten Kreise in Mitleidenschaft. Die musikalische Kunst wurde als einBeruf" erwählt, nicht die innereBerufung" dazu abgewartet. Die Eitelkeit, sich gefeiert zu sehen, die Aus­sicht auf ein freies Leben voller Abenteuer lockte manch einen ge­waltig. Er entdeckte sich selber als Stern, er wurde Künstler, gestützt auf ein kleines Talentchen, ans ein flottes Tempera­ment; er wurde Künstler, wie er sonst vielleicht Beamter oder Offizier geworden wäre. Die Lürmtrompete war ja da und leicht zu handhaben. Die Prophezeiungen künftigen Ruhmes mußten fiir den Ruhm selber gelten. Der Künstler war er­schaffen, nicht von Gottes, sondern von eigenen Gnaden.

Die Weihrauchwirbel von Baireuth und Weimar haben manchen Kopf verwirrt, viel Unklarheit verschuldet. Die Wurzel des tollen Reklameschwindels ist in jenen zwei kleinen Heilig­tümern der Musik zu suchen. Dort hat sie die gefährliche Giftpflanze emporgetrieben, die ihren Samen in alle Wind­richtungen verstreute.

Eine Flut von Virtuosen ergoß sich feit jener Zeit über die civilisierte Welt. Virtuosen, 'die durch, fast möchte man sagen, mehr als vierundzwanzig ständiges tägliches Üben sich den Besitz jener durch Paganini und Liszt in die Welt ge­brachten stupenden Technikerarbeitet" hatten, ohne den be­flügelten Geist jener Männer auch nur zu ahnen.

DieseKleinen" machten Schule. Es gelang ihnen, die große Menge durch die phänomenalen Leistungen ihrer Finger zu verblüffen. Gleich einer ansteckenden Krankheit griff die Sucht, Klavier und Geige zu spielen, um sich. Musikalische Hochschulen sproßten wie die Pilze nach einer feuchten Nacht. Findige Köpfe machten sich daran, das Virtuosentum auch auf anderen Instrumenten als Klavier und Geige auszubilden, so daß wir kaum noch ein Töne von sich gebendes Holz oder Metall besitzen, das nicht seinen konzertgewandten Spieler ge­funden Hütte. Die Vokalmusik wollte hinter der Instrumental­musik nicht Zurückbleiben, und so nahm auch die Ausübung der Gesangskunst eine krankhafte Ausdehnung an.

Die Konzerte häuften sich. Die Stelle, an der man sel­ten, in lange währenden Zwischenräumen verehrt hatte, wurde allabendlich zu einer Stätte lärmenden, hohlen Triumphs, ge­machter Beifallsbezeigungen. Das Publikum, früher eine Ge­meinde andächtiger, musikverständiger Zuhörer, geriet in De- kadence. Es wurde daraus eine bunte Menge, zusammenge­würfelt aus den heterogensten Elementen.

Die Schuld an diesem Wandel tragen jene Halbkünstler, jene Scheingenies aus der Zeit des Musikwahnsinns. Ihnen mag das Publikum, das sie sich nicht herangebildet, sondern mit Anwendung aller Mittel herangezogen haben, willkom­men sein vorausgesetzt es istein zahlreiches;" aber den Edlen, Großen, Unsterblichen, den wenigen, denen die Kunst eine Göttin geblieben ist, denen hat dieses Publikum unendlich geschadet.

Schon allein die Zahl jenerKünstler" undKünstle­rinnen" machte ihren Wert verdächtig. Sollte das Jahrhun-