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Deutschland.
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nichts weiter dient, als den Knoten eines sehr künstlichen Mißverständnisses zu knüpfen. Es klingt durch die Luft etwas wie das Flüstern der Ahnfrau oder wie das Klirren eines verhängnisvollen Schwertes.
Der zweite Akt, der nicht nur mit solchen Mitteln die größte Wirkung übte, löst den Knoten mit blutigen Hieben. In Gunnars Halle sitzt man bei Bier und Met. Wieder reizt Hjördis die Männer zum Haß. Aufs höchste erbittert spricht Örnulfs jüngster Sohn die mühsam wie ein Rätsel Zusannnengeklügelten Worte des Mißverständnisses. Man soll glauben, Ornulf sei mit seinen sechs älteren Söhnen ausgezogen, um Gunnars Knaben zu töten. Wie in jeder richtigen Schicksnlstragödie wird nun der Zahmste am schnellsten blutgierig;, Gunnar erschlägt mißverständlich Ormllfs jüngsten. Doch Ornulf war nur ein polternder Alter: n lcmpo tritt er mit dem geretteten Knaben ans dem Arm herein. „Tableau" würde es im Sensationsstil schlechter Witzblätter heißen. Ornulf hat im Kampfe gegen Bauern seine sechs Söhne verloren und erführt jetzt den Tod des siebenten. Die theatralische Kraft dieses Vorganges wird durch die folgende kleine Schlußscene des Aktes nicht abgeschwächt. Dagny rächt ihre sieben Brüder, indem sie die düstere Hjördis mit dem furchtbaren Geheimnis überrascht, daß nicht Gunnar, sondern Sigurd die Rie- senthat vollführt habe, als deren Preis Hjördis sich selber gesetzt hat. Siegfried und Gunter, Brunhild und Kriemhild. Und wie Brunhild ruft Hjördis: „Sigurd muß sterben oder ich."
Hat in diesem Aufzuge Ibsen sich als den künftigen Meister der Technik bewährt und Hngosche Effekte auch ohne Anwendung von Fallthüren und mit atemloser Spannung erwarteten Hornsignalen erreicht, so kommt im dritter: Akte in prachtvollen Einzelheiten der Ibsen, den wir bewundern, der unübertroffene Forscher der Frauenseele, zum Worte; freilich muß die alte Sage dazu rücksichtslos modernisiert werden: Hjördis hat nie einen andern geliebt als Sigurd; ihr ganzer Dämonismus stammt daher, daß sie in Gunnars Armen eine unverstandene Frau geblieben ist. Ganz wie in Wilhelm Jordans gleichzeitig entstandenem Epos und höchst naturalistisch haßt sie sogar das schwächliche Kind, welches aus dieser Ehe entsprossen ist. Die qualvolle Stimmung wird aber von Ibsen da, wo Hjördis die Nebenbuhlerin Dagny quält und den Gatten durch Schilderung ihrer Liebesfühigkeiten zum Morde aufstacheln will, meisterlich getroffen. Hebbels Brunhild ist eine Abstraktion, Wagners Walküre ist ganz pathologisch im Vergleiche mit dieser lebendigen und nrkrüstigen Hjördis. Da tritt Sigurd hinzu, und von dem Augenblicke an, wo der Höhepunkt zu erwarten steht, sinkt das Drama leider in theatralische und überdies veraltete Konvention zurück. Lügurd hat Hjördis von je geliebt und nur aus unaufgeklärten Gründen dem Freunde die Braut erkämpft. Er ist nicht ein bißchen dämonisch und will auch für die Zukunft ans ihren Besitz verzichten. Da Hjördis aber durchaus die Seine werden will, greift er, wie in den schlechtesten romanischen Dramen, zu der Macht toter Ehrbegriffe. Er fordert Gunnar zum Zweikampf. Dann wird Hjördis ihn nicht mehr lieben dürfen. Warum? das wissen^die Götter und die furchtbaren Nomen, welche von jetzt ab für die entlassene Psychologie und Wahrheit herhalten müssen.
Im vierten und letzten Akte giebt es noch eine Überraschung und zwar eine ausgiebige. Ornulf hat seine sieben Söhne begraben und in Stabreimen — die, beiläufig bemerkt, gründlich schlecht übersetzt waren — beklagt; Sigurd steht zum Zweikampf bereit. Wieder ziehen schwarze Wolken am Himmel auf, wieder schäumt das wildempörte Meer gegen das Ufer, da eilt .Hjördis in hergebrachtem Walkürenkostüm herbei. Wie ein fernes Märchen oder wie eine Ballade klingt das Drama ans. Hjördis will im Leben oder im Tode mit Sigurd vereinigt bleiben. Sie sehnt sich nach Walhall. Und wie in einem spanischen Degen- und Mantelstücke verhindert sie den Zweikampf, indem sie ihren Geliebten nicht ohne Hilfe von Zauberei mit eiuem Pfeile niederschießt. Jetzt glaubt sie mit
ihn: vereint zu sein. Da aber öffnet Ibsen seine Attrappe, und der sterbende Sigurd verrät, er sei ein Christ. Auch nach den: Tode trennen sich ihre Wege.
Gewiß hätten sich aus den: Gegensatz von Heidentum und Christentum größere Züge entwickeln lassen, als dies z. B. Hebbel gelungen ist; aber so wie uns Ibsen mit dieser Neuigkeit unvorbereitet überfüllt, ist der letzte Trumpf einfach völlig nnkünstlerisch ausgespielt. Wer der Handlung bis dahin mit Anteil gefolgt war, blickte bei diesen: verfehlten Effekte verdutzt um sich, und ich hätte dem „Deutschen Theater" nicht geraten, diese Scene ohne Ibsens Namen einen: Preinierenpublikun: zu bieten.
Trotz alledem wird jeder, der mit uns in Henrik Ibsen einen Bahnbrecher in Kunst und Leben verehrt, für die Vorführung dieses alten romantischen Zauberwesens dankbar sein. Das Ringen dieses freien Geistes mit der Schablone, die Bühnenkraft in dieser Maskerade fesseln den intimeren Freund der Jbsenschen Werke, und für andere Zuschauer, die von des Gedankens Blässe weniger angekränkelt sind, wird das barbarische Liebes- und Kampfmärchen Reiz genug bieten.
! Das „Deutsche Theater" hat nicht' nur durch die Aus- ! stattung alle gewollten Wirkungen gesteigert. Fräulein Pospischil ! fpielte die Rolle der Hjördis. Die Rolle schreit nach den ! Mitteln der Ziegler. Diese Schauspielerin hätte einseitig den ^ Ton der dämonifchen Heroine getroffen; ebenso einseitig, aber in ihrer Art vortrefflich, arbeitete Fräulein Pospischil die realistischen Züge in: menschlichen Wesen des Hünenweibes heraus. Sie versuchte die Hjördis so zu spielen, wie Ibsen sich vielleicht seine Frau von: Meere dachte; aber der Schauspieler soll nur in realistischen Rollen realistisch sein: romantische Gestalten in natürlicher Darstellung sind wie alter Wein in neuen Schläuchen.
KLeine Kritik.
I"
>osua. Erzählung aus biblischer Zeit von Georg Ebers. (Stuttgart. Deutsche Verlagsanstalt.)
Der Feldoberst Wildenbruchs spricht, als er das Wickelkind, das später sich zum Großen Kurfürsten answuchs, auf dem Arme hält, schon von dessen künftigen Ruhmesthaten. Doch Jvsna, der Feldhanptmann ! des Professor Ebers, übertrifst an Sehergabe noch den Feldoberst — nach einem Gespräch mit Moses träumt er bereits von Christus. Sonst ist Ebers sehr für archäologische Exaktheit und versichert, wenn er den gewaltigen Eindruck schildert, den der Sinai auf den „Gottesmann" Moses und die Seinen ausgeübt hat, belehrend in einer Fußnote: „der heutige Serbal, nicht der Sinai der Mönche." Wir wollen im übrigen gern zngestehen, daß die Abenteuer Josnas und seines jugendlichen Gefährten, die opferwillige Liebe der alt-ägyptischen jungen Witwe ganz unterhaltend sind und mancherlei archäologischer, ethnologischer und sonstiger Nachweis ganz belehrend. In: übrigen aber hat uns das Buch ! ebenso wenig angeregt wie aufgeregt. Daß die Juden wirklich glücklich ! durchs Rote Meer gekommen sind, die bösen Ägypter aber nicht, war uns schon durch die Autoren der biblischen Darstellung bekannt gemacht, nur daß die junge Witwe leider dabei zu Grunde gegangen und nur noch sterbend ihren Jofna erreicht hat, war uns neu. Daß Moses betend die Kämpfe Josuas und der Hebräer unterstützte, erschien uns in der naiven Darstellung der Bibel stets groß und einfach, — wenn Ebers nun aber den „Gottesmann" immer und immer wieder nur betend vvr- ! führt und niemals den Versuch macht, seine Größe und seinen Einfluß ! zu begründen, so bleibt Moses farblos und gleichgültig. Des Moses ! Schwester aber, die Mirjam, ist bei Ebers so eine Art Vorgängerin der ! Jeanne d'Are — sie hört es in der Sykomore rauschen, ein Engel er ! scheint ihr, sic prophezeit, sie verkündet Ruhm und Sieg. Auf ihre ! Autorität hin nennt Hosea sich fortan Josua, sie singt nach dem llnter- - gang der Ägypter den Siegesjubelsang — und da die junge ägyptische ^ Witwe kommt, ist die Prophetin ans sie eifersüchtig. Auch in der Zeich-