Heft 
(1889) 21
Seite
362
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Deutschland.

21.

dies abgelernt! Ein Beispiel mag genügen, um die Äußerlichkeit seines Schilderns darzuthun:

Es war eine Schönheit von wunderbarem Reiz. Ihre großen, blauen, von schwarzen Wimpern eingernhmten Augen blickten rein und milde, die kapriziöse kleine Nase verlieh dem Gesicht etwas entzückend Schelmisches, während ihr rosiger Mund in seinen weichgeschwungenen Linien etwas Madonnenhaftes hatte. Es war das anbetungswürdigste Antlitz, das je ein Liebhaber erträumt, eine engelhafte Keusch­heit der Angen und des Mundes, und dazu ein tenfelskühnes Näschen, das die ganze Welt herauszufordern schien."

Von dem Bombast und Schwulst der Sprache will ich nicht weiter reden. Jeder gebildete Leser wird das selbst em­pfinden. Jedoch wird und kann Ohnet mit Recht sagen: für die schreibe ich nicht! Möchte aber doch der und jener die Schriften Ohnets lesen und, unbestochen von ihrem äußeren Zauber, sie die Feuerprobe der Wahrheit durchmacheu lassen! Er wird das doppelte Vergnügen haben, an der Entlarvung einer so­genannten Größe mitzuhelfen und, falls er die Sachen fran­zösisch liest, sich in einer unentbehrlichen Konversationssprache mit Ämüsement geübt zu haben! Hat er aber das gethan, dann fort mit der falschen Berühmtheit, aus dem Hause, aus der Familie! So gut er die Marlitt nicht bei sich leiden will, so gut die Vernünftigdenkenden Clauren hinauswerfen, so gut und mit ebensolchem Rechte muß er's bei George Ohnet thun! Noch lieber die Marlitt oder die Werner, und wie sie heißen mögen, die Lieblinge der Familien, als Ohnet. Was sie schil­dern, ist doch deutsch! Ohnets laxe Moral kann uns .über den Sumpf, aus dem sie hervorwüchst, nicht weghelfen! Und wenn wir ihm auch schou uicht, wie Lemaitre, raten wollen, sich zu erschießen, aus Angst für sein teures Leben, so geben wir doch dem deutschen Leserkreis den treuen Rat: Werft ihn hinaus! Ihr habt au der deutscheu Marlitt und ihren Nach- traberu genug, duldet nicht, daß eine französische Euch und Euren Kindern den Kops verdrehe mit Lügenbildern, die zer­platzen wie Seifenblasen, wenn man sie fassen und prüfen will!

IbsensNordische Leerfahrt."

Von

A M.

(o^as romantische Schauspiel, welches Henrik Ibsen im Alter von etwa dreißig Jahren verfaßt hat, wurde am letzteu Mittwoch im BerlinerDeutschen Theater" mit einigem Staunen, ja stellenweise mit einer gewissen Verblüffung ausgenommen, doch am Ende konnte man von einem Erfolge des Versuches sprechen; der zahlreiche Nachwuchs der Jbsen- gemeinde applaudierte, weil das Stück von ihrem Ibsen war, und das große Publikum wiederum freute sich darüber, daß es keinen echten Ibsen vorgesetzt bekam. DasDeutsche Theater" scheint den bedeutendsten unter den lebenden Dramatikern auf einem seltsamen Umwege erobern zu wollen. Es überläßt die großen reformatorischen Schöpfungen des Skandinaviers, die Nora,"Die Gespenster," denVolksfeind" undDie Wild­ente" unzulänglicheren Bühnen, es verlangt nicht einmal nach den beiden Alterswerken Ibsens, es sucht seine Beute unter den Dramen der Übergangszeit und der unreifen Erfolgssuche. So hat es mit denStützen der Gesellschaft" den Dank seiner Besucher verdient, weil der Dichter da noch den Philistern einen glücklichen Ausgang eingeräumt hat; und so wird es vielleicht auch mit derNordischen Heerfahrt" volle Häuser machen, weil Ibsen da noch größtenteils nach alten Schablonen gearbeitet Hatte. Ein moderner Name und alte Ware, so liebt es das Publikum, weil es zu wenig geistiges Kapital besitzt, um die neue Richtung der Poesie teuer erkaufen zn können. Zur Zeit, als Ems noch ein Spielbnd war, sagte man den

Gästen des nahen Bades Nassau nach, daß sie dort wohlfeiler lebten und die Kurtaxe ersparten, aber abends im Spielsaale von Ems dennoch die Bank zn sprengen suchten; die Be­wunderer Ibsens, welche ihren Geist nnr bis zu denStützen" und bis zu derHeerfahrt" erheben und sich vor den ästhe­tischen und ethischen Anforderungen der späteren Werke drücken, wollen sich, wie ich fürchte, in ähnlicher Weise an Ibsen heran- nassauern."

Und doch wäre dieNordische Heerfahrt" das Werk eines vergessenen, kleinen Poeten, die Aufführung wäre auch den besseren Verehrern Ibsens als eine Geschmacklosigkeit er­schienen; um des verehrten Namens willen jedoch lauschten wir alle aufmerksam, wenu wir auch um des Nameus willen die Unwahrhaftigkeiten des Stückes nicht verteidigen werden.

Ibsen trug sich mit seinem Drama fast zu derselbe» Zeit, da Hebbel über seiuen Nibelungen sich den Kopf zerbrach, und wenig später, als Richard Wagner den Text zu seinemRing des Nibelungen" verfaßte. Während aber Hebbel und Wagner, die beiden Altersgenossen, nach revolutionären Anfängen bereits zu einem festen Stil, d. h. freilich ein jeder zu feinem eigenen Stil, gelangt waren, rang der um fünfzehn Jahre jüngere Ibsen, als ihn ein verwandter Stoff beschäftigte, erst lange Zeit nach einer Form. Er hatte nur an die stofflich roman­tischen, in der Sprache jedoch klassieisierenden Schauspiele Öhlenschlügers anzuknüpfen und bildete sich gewiß, ebenso wie seine ersten Kritiker, ein, er habe mit dem kürzlich verstorbenen Landsmann vollständig gebrochen, weil er anstatt wohlklingender Verse eine rauhe Prosa anwandte; es ist aber eine eindring­liche und wehmütige Lehre über die Bedeutung litterarischer Kümpfe, daß IbsensNordische Heerfahrt" uns heute schon mehr an den alten Ohlenschlüger, als au den neuen Ibsen er­innert. Das Vorbild aber, welchem Ibsen damals offenbar uachtrachtete, und welches ich seltsamerweise nirgends genannt gefunden habe, ist kein anderer, als der gerade damals auf den Gipfel seines Ruhmes gelaugte Begründer der französischen Bühnenromantik, Victor Hugo. Und es ist merkwürdig, daß die Franzosen, von welchen der reife Ibsen später die Technik seiner überlegenen Werke entlehnt hat, ihm auch die Form für seine ersten großen Experimente gaben. DieNordische Heer­fahrt" ist im Bühneuaufbau der ganze Victor Hugo mit seinen gewaltsamenExpositionen, seinen knappen Antithesen, seinen entsetzlichen Überraschungen und Attrappen, seinen rührsamen Kinderscenen und seinem ewigen Aufruhr der Elemente. Die Verblüffuugsefsekte Hugos vertragen wir nur noch in Opern, zu denen er auch weidlich ausgebeutet worden ist; dieNor­dische Heerfahrt" hätte i nicht ohne Mitwirkung der prunkvollen Ausstattung) gleichfalls einen rein opernhaften Eindruck ge­macht, wenu uicht einzelne Sceuen und vor allem die Eha- rakteristik der Heldin die Klaue des Löwen verraten Hütten.

Hebbel und Wagner haben die Nibelungenfabel durch Heranziehung der Wölsunga-Sage altertümlicher gemacht; Ibsen hat im wesentlichen denselben Stoff in seiner langsamen Um­formung durch nordische Stammsagen benützt und die Wölsunga- Sage dadurch modernisiert. Durch Beibehaltung einzelner Namen hat er ganz unbefangen an die Edda erinnern wollen, und wenn ihm die Wiedererweckung überall so gelangen wäre, wie bei der Brunhild, so Hütte er die große Aufgabe der ger­manischen Bühne, der: Nibelungenstofs für sich zu gewinnen, besser als alle seine Mitbewerber gelöst. Sv ist es aber nur ein interessanter Versuch neben andern Versuchen.

Im ersten, Akte lernen wir den theatralischen Heldengreis und Skalden Ornuls kennen, der auf seinem Wikingerschiffe mit sieben Söhnen von Island nach Norwegen gefahren ist, um von den Rändern und Gatten seiner Tochter Dagnh und seiner Pflegetochter Hjördis Buße zu fordern. Sigurd, der riesenstarke und sanfte Gemahl Daguys, ist zum Frieden bereit; auch Gunnar will Buße geben, aber die wilde Hjördis tritt mit berserkerhaftem Zank dazwischen und reizt alle Mäuner gegeneiuander auf. Das ist aber nur vorübergehend, da der Friede wieder hergesiellt wird, und der Schluß des Aktes zu