Heft 
(1889) 21
Seite
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^ LI.

Deutschland.

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schickt, ivo selbiger sich erschießen läßt. Alles endigt sodann im schönsten Wohlgefallen.

Man sieht, der ckou6 ox nmolliim ist noch immer ein be­liebtes Hilfsmittel. Aber so plump, wie Ohnet ihn hier ver­wendet, ist noch selten mit ihm umgegangen worden. Man fragt sich unwillkürlich: Wie, wenn Thanziat, der als Univer­salgenie auch vortrefflich schießen muß (siehe den Roman!), ! seinen Freund nms Leben bringt, wie dann? Da wäre doch ^ noch ein bißchen Konsequenz in der Sache! Dann endigt ^ eben das Ganze nicht mit Wohlgefallen! Pah, wird vermut­lich Ohnet sagen, es endigt aber in Wohlgefallen! Es muß. ^ Der Koloß will es so! Das Volk will sich unterhalten, über ^ glänzenden Bildern sein Elend vergessen, oder die Biedermänner wollen Anlaß haben, zu sagen: Seht, die Welt ist gar nicht so schlecht, die Tugend gelangt zum Siege, die Guten trium- ^ phieren über die Bösen. Also fort mit den Unglückspropheten, den Schmntzschriftstellern, die das Laster und Elend noch ver­größern wollen!

Und so sieht sich denn der philisterhafte Optimismus un­endlich geschmeichelt. Nur vergißt er dabei unglücklicherweise, daß dieser Ohnet, sein Freund, sein Wohlthäter, ihn belogen hat. Daß er nicht wirkliche Menschen geschildert hat, sondern Marionetten, die er an seinem Drahte tanzen läßt, wie es ihm nützlich und passend erscheint. Und da steht Mob und gafft und staunt und ruft entzückt: Welch ein Dichter! Welche Größe! Welche Wahrheit!

Ich möchte dem ersten besten die Ohnetschen Schriften zur Hand geben. Er sollte sie lesen und mir dann sagen, ob ihm eine der Figuren, die der Mann schildert, je im Leben begegnet ist? Und dieser erste beste dürfte ein welterfahrener, ^ weitgereister Mensch sein: er müßtenein" sagen! Die Ohnet­schen Figuren sind Zerrbilder, höchstens Zerrbilder der Wahr­heit, Puppen, Marionetten!

Ganz abgesehen von der Niehtorigiualität der Menschen, der Situationen (in -Volonte» erinnert die Willensstärke Frau und der Schwächling Mann in jedem Zug an dieselben Fi- , garen in Daudets I''n»>><>nt jeono ot UOlor much» in «Umo ^ llleuron» die verschiedenartigsten Gestalten an DaudetsNabob" n. s. w.) begegnet man einer solchen Fülle von Unwahrschein- liehkeitcn, daß man einfach starr ist, wie das Publikum sich all die Bären ausländen lassen mag. Bon dem ckmm ox lunolliim, der auch imHüttenbesitzcr" als Pistolendnell wiederkehrt und Ohnet sein Ei zu Ende brüten hilft zu geschweige», will ^ ich einige Kleinigkeiten (bei einem Mann wie Ohnet Kleinig- ^ ketten > hervorheben. ImHüttenbesitzer" endigt das Duell ^ dadurch glücklich, daß die Heldin dazwischen springt und durch ^ die Hand geschossen wird. Geschossen muß werden, aber ums Himmels willen nicht durch die Brust, sonst stürbe die Heldin, der Autor hätte sich umsonst so lange geplagt, und Mob, der Koloß, wäre unbefriedigt. Uber denHüttenbesitzer," dies un­begreiflicherweise populärste Machwerk Ohnets, hat übrigens Lemaltre, der große Kritiker, geäußert: Er würde sich totschie­ßen, wenn er so ein Ding gemacht Hütte, denn er könnte die Schande nicht überleben! Grausamer Kritiker, welche An­forderungen stellst Du? Der Wohlthäter des Volkes solle sich erschießen? Da sieht man wieder, wie die Kritiker finde

DerHüttenbesitzer" hat sogar über die Bühnen die Runde gemacht, und ich habe deren genug gesprochen, die ob dieses Jammerstückes in Ekstase waren.

In «Voloutö» hebt Louis Herault, der liederliche Ehe­mann, die Lady Olifannt in einem Eifersnchtsanfall hoch über die Brüstung des Balkons empor. Sie macht sich aber gar nichts daraus, daß sie sich so und so hoch über dem Straßen- pslaster in so unangenehmer Lage befindet. Sie wartet ruhig, bis der Paroxismns vorüber ist. Dabei ist Louis Hörault als ein schmächtiger, entnervter Bursche geschildert, und Lady Olifannt scheint gerade auch keine ätherische Schönheit zu sein. Das Ganze ist eine förmliche Cirkusscene, und das Publikum klatscht dankbar Beifall. Denn so was packt. Man kann sich ein Weilchen angenehm ängstigen und alles geht glücklich vorbei.

Biel Rührseligkeit ist auch im Spiele. Auch dies Mittel, so alt es ist, wird nicht verschmäht. Es spielt eine große Rolle in «Di86 lAsuron,» beiläufig Ohnets bestem Roman, eine noch größere in «Volonte.» Thränen fließen die Menge, bald weint Lady Olifannt in Louis Hvraults Armen, bald dieser selbst in seiner Frau Armen, offenbar der geschwächten Nerven halber, kurz, alle Personen haben mehr oder minder oft ihre Rührungsansbrüche. Aber alles so aufdringlich, so widerlich. Wenn Herr Ohnet wissen will, wie man wahrhaft rührt, so lese er einmal den Schluß der Goneourtschen «IWn^o Vmipoi'io- oder Balzaes lVrc Ooriot.» Dort ist echte Rührung!

An Klatschhaftigkeit thnt es Ohnet unserer Mnrlitt noch zuvor! Darin ist er ihr noch mehr verwandt als in der Über­spanntheit und Unwahrscheinlichkeit der Figuren und Situa­tionen. Wenn er uns in einen Empfangssalon oder auf einen Ball führt, läßt er uns nicht eher los, als bis wir alles, alles genau gesehen haben, vom Kammerdiener bis zum Hel­den, und wenn uns der Angstschweiß ans der Stirn steht, wir müssen zuhören. Aber er schildert ja auch soungemein fesselnd." Herrlich, so eine Lady Olifannt! Die durchbroche­nen Seidenstrümpfe, der goldgestickte Morgenrock, das herrliche Kabriolett, das sie besitzt n. s. w. Dann ihr Haus, wie fein alles, wie kostbar! Sapperment, das Wasser läuft einem im Munde zusammen! Man vergißt darüber ganz, womit dieser Reichtum erworben ist. Dann so ein Ball! Welcher Glanz, welche Pracht! Natürlich findet er gewöhnlich bei einem exo­tischen Grafen statt! Einige Berühmtheiten müssen herhalten: Dumas fils, Sardon, Meissonier, dann die berühmteste Can- eantünzerin von Paris n. s. w. Das macht die Sache inter­essant, und die Schilderungen zeigen zugleich, daß der Ver­fasser diese Leute gründlich kennt. O, und wie alt sind all diese Mätzchen! Wie oft haben sie schon herhalten müssen! Wieviel besser sind sie schon verwendet worden!

Und wie seicht ist zum größten Teil die Charakteristik der Personen, wie mangelhaft und ungenügend ihre psychologische Entwickelung. Thanziat z. B., der vor einem gewaltigen see­lischen Kampfe steht, begiebt sich auf eine Reise. Von ihr zurückgekehrt, hat er seinen Entschluß gefaßt: voilü tont! Es ist freilich leichter, das hinter den Cvulissen abznmachen. Aber diese liederliche Art und Weise zeigt auch das künstlerische Un­vermögen Ohnets. Wo er eine wirkliche Psychologische Ent­wickelung versucht, wie etwa imHüttenbesitzer," da scheitert er völlig. Es wäre eines besonderen Aufsatzes wert, dies im einzelnen nachzuweisen. Seine Charaktere sind alle schon da. Sie entwickeln sich nicht, wie es bei Zola oder Balzae in so wunderbarer Weise geschieht. Sie haben alle ihre Fähigkeiten schon. Und wie grob zeigt sie der Autor an ihnen auf! Thanziat, die buckelige Emilie, sie sprühen von Witz und Geist. Man höre folgende Stelle:

Emilie, die anfangs still gewesen, taute nach und nach auf und geriet mit Thanziat in ein Gespräch, fesselnd und geistsprühend, wie nur zwei Virtuosen der Konversation es zu führen vermögen, und was in dem stillen Garten an Geist und Witz verschwendet wurde, wäre wert gewesen, von Hunderten bewundert zu werden."

Den Mund voll nehmen ist leicht. Aber wenn man den großsprecherischen Herrn Autor aufforderte, ein so geistreiches Gespräch auch einmal wörtlich uns zu geben, statt immer nur verwegene Redensarten davon zu machen: ich glaube, er würde sehr in Verlegenheit geraten.

Ich sprach von der mangelhaften seelischen Charakteristik. Dasselbe gilt auch von der rein körperlichen Schilderung. Nir­gends eine Entwickelung! Eine höhere Auffassung! Mit den Möblements und der Garderobe endigt Ohnets Kunst! Er hat offenbar das erste Gesetz Lessings, daß der Schriftsteller die Schilderung aktuell, auf dem Wege der Entwickelung geben solle, das hat er nie gekannt. Wenn er nur einmal in seinen Homer hineingucken wollte, er könnte da viel lernen! Oder hätte er doch Zola, dem er so viel abgesehen hat, auch