Seite 360,
Deutschland.
21 .
erinnert: ferner ein männlicher oder weiblicher Dämon, das verkörperte Prinzip des Bösen, des Unruhestiftenden, die natürlich auf die oder jene Weise, am liebsten ans dem nicht mehr gewöhnlichen Wege eines Zweikampfes beseitigt werden. Das ist so etwa die Mache Ohnets. Dabei muß noch berücksichtigt werden, daß er seine Speise ans die angenehmste Art mit fremdem Gewürz pikant zu machen versteht. Er ist ein feinsinniger Eklektiker, und es kommt ihm nicht darauf an, dann und wann einen kleinen Griff ins Volle zn thnn und ein bißchen von Zola, Daudet oder auch aus deutschen Töchter- Romanen zu „entleihen." Da bringt er denn so ein Tntti- frutti zusammen, das der Koloß mit schmunzelndem Behagen einnimmt.
Man hat die Marlitt so heruntergedonnert. Ich bin weit davon entfernt, ihr das Wort zu reden. Mit Ausnahme von wenigem hat sie überspanntes Zeug geschrieben. Aber ihre Tendenz ist doch nicht so platt und breit getreten wie die Ohnets. Sie kämpft mit Eifer und nicht ohne Geschicklichkeit gegen die Übergriffe von Adel und Geistlichkeit und hat da und dort Züge heransgefunden, wie man sie bei dem effekthaschenden und nie tiefergehenden Ohnet vergebens suchen würde. Und schließlich sollte uns Deutschen die deutsche Marlitt lieber sein als die französische.
Nun sagt man mir ganz entrüstet: Ohnet hat doch auch Tendenz! Wie treffend ist der „Hüttenbesitzer" gegen die Emancipation der Frau gerichtet, wie scharf geißelt er in «Oise lUeuron» das liederliche Theaterleben, die Börsenjobberei, die Abenteuersucht, wie schön läßt er in «VolonG» die Standhaftigkeit und Liebe einer reinen Frau den Sieg über tausenderlei Ränke davontragen n.s. w.! Ja, mein Verehrtester! Wenn der Mann das nur auch alles selbst gemacht hätte! Wenn die Stiche, die er in seinen Werken führt, nicht bloße Fallstaffstiche wären! Wenn nicht andere längst vor ihm diese Arbeit gethan Hütten! Und wenn die Art, wie er seine Stiche ansteilt, nur auch wirklich verdienstvoll wäre!
Ich könnte thatsächlich, wenn zu einer Analyse sämtlicher Ohnetscher Schriften mir nicht der Raum fehlte, fast bei jeder einzelnen Figur Nachweisen, daß sie schon einmal existiert. Bald da, bald dort. Ich muß mich aber auf einige Beispiele beschränken, und ziehe hauptsächlich einen Roman bei. Man braucht nur ein Werk Ohnets zu lesen und man kennt auch die andern.
In «Volvntö» sind es vor allem vier Figuren, mit denen mau auch sonst Bekanntschaft gemacht hat. Zuerst die ehrsame, tugendhafte Frau, die mit dem Aufgebot aller Kräfte ihre Nebenbuhlerin zu besiegen, ihren Mann dauernd an sich zu fesseln sucht. Dann der Mann selbst, gewöhnlich ein schwachgeherzter Schurke, bei Ohnet ein so entsetzlicher Lumpenjümmer- ling, daß man gar nicht begreift, wie seine Frau sich so um ihn wehrt. Dann ein schöner, reicher, gebildeter, nicht mehr zu junger Lebemann, allen Frauen gefährlich, ein bißchen bös, ein bißchen gut, wie es gerade die Situation erfordert, im allgemeinen von einer bezaubernden Liebenswürdigkeit und Ritterlichkeit, was ihn aber schließlich doch nicht abhält, auf die „tugendsnme Frau" einen eines Bauern würdigen Angriff zu machen. Diesem seltsamen olair-odsonr steht die Figur einer englischen Abenteurerin zur Seite. Blendende Schönheit (natürlich kleines Füßchen, schneeige Haut, ausgezeichnet feiner Knöchel u. s. w.), etwas Talent und Geist, Hang zur Jntrigue Haupterfordernisse. Offenbar kann dies Geschöpf auch lateinisch, denn es hat die Devise: «ocki et :mw>!» Ich muß bei der Schilderung dieser Figur noch einen Augenblick stehen bleiben, denn sie ist bei den französischen Romanschriftstellern, Zola nicht ausgenommen, fast typisch geworden. Freilich wird sie niemals so jämmerlich dargestellt wie bei Ohnet. Man vergleiche nur einmal die Ohnetsche Lady Olisaunt mit Elo- rinde Balbi in Zolas «8on oxosllcmee ckin^tzne UouAon,» oder der Felicia Ruys im „Nabob" von Daudet; man wird dann sehen, wie Zola und Daudet, auch wenn sie sich ans solch zweifelhaftes Gebiet wagen, doch immer bleiben, was sie sind,
während Ohnets englische Abenteurerin daneben wie ein schwacher, mißratener Abklatsch erscheint. Ich kann mich nicht enthalten, eine Stelle ans «Volontö» hierherzusetzen, woselbst die Vergangenheit der Lady Olisaunt geschildert wird:
„Sie haben sie im Jahre 1870 in London entdeckt; sie war in einer Schenke der Chaneeray Laue Kellnerin, hieß Kate Brown und versah die Advokatenschreiber mit Butterbrot, Ale und andern guten Dingen, dabei war sie außerordentlich unwissend, aber von bezaubernder Schönheit. Ein Zufall führte Sie in das Lokal, wo sie diente. Sie flößte Ihnen Bewunderung und Mitleid ein. Ein Künstler wie Sie konnte nicht gleichgültig zusehen, daß ein solches Wunder von siebzehn Jahren sich seine Hände mit Glüserwaschen verdarb und seinen Verstand mit Schreibersgesellen vertrank. Obgleich es Ihr Prinzip ist, sich niemals das Leben durch eine Frau verkümmern zn lassen, so haben Sie sie doch mitgenommen und von heute ans morgen ihre Lage nmgestaltet. Sie war nun keine Dienerin mehr, sondern Ihre Geliebte. Die Jagdsaison hatte eben begonnen, Sie reisten von Schloß zu Schloß, jagten in Aorkshire und in den schottischen Mooren, und zwischen jeder derartigen Expedition brachten Sie einige Tage bei ihr zn. Weil es für Ihr ästhetisches Gefühl unerträglich ist, Menschen in Ihrer Umgebung die Grammatik mißhandeln zn hören und imorthograp'hische Briefe zn empfangen, ließen Sie das Mädchen unterrichten; diese wußte Ihre Großmut zn nutzen und hatte sich in wenigen Monaten dergestalt verwandelt, daß die früheren Geführten ihres Elends oder ihrer Freuden sie nicht wiedererkannt hätten. Ihrem Gesichte nach war sie noch die alte Kate, in ihrem Benehmen und ihrem Wesen jedoch eine junge Dame geworden, die alles Ungehobelte und Rohe in ihrem Wesen vollständig abgelegt hatte. Um diese Zeit machten Ihnen Ihre Verhältnisse die Rückkehr nach Paris nötig: mit einer Tansendpfnndnote und einem Kuß gaben Sie Kate Brown ihre Freiheit zurück. Sie hieß jetzt Diana, von einer Lady Olisaunt war noch nicht die Rede, doch besaß sie alles, was die galante Laufbahn erfordert, eine wunderbare Schönheit, eine tiefe Sittenverderbnis und keinerlei Gewissens- skrnpel."*
Kann ein ernsthafter Leser solche Rodomontaden lesen, ohne in Lachen ausznbrechen? Was ist da nun für ein Unterschied zwischen Clanren und Ohnet? Dort fünfzig Champagnerkörbe, ebensoviele Hundert Austern, eine prächtige .Hochzeit, Braut schwanenbnsig, Bräutigam schmachtlockig. -- Hier eine Größe, die vom n der Kellnerin den sanften Flug einer Bombe bis zum x der Salonheldin, Lady Olisaunt, verfolgt. Was ist dazwischen für ein Unterschied? Beides imponiert, beides ist Speise für den Koloß, den «moll.»
Wir haben die Hauptfiguren des Ohnetschen Romans «Volontö» kennen gelernt. Die Handlung ist sehr einfach. Ehebruch, das alte Thema, variiert, leider ohne viel Kunst oder Geschick, ohne irgend eine erschütternde Wirkung hervorzubringen. Die französischen Schriftsteller unterscheiden sich von den dent scheu besonders in einem Punkte: sie fangen mit der Heirat an, wir endigen damit. Der ganze Roman, den Ohnet mit so vielem Pomp und so unendlicher Selbstgefälligkeit ansgeführt hat, läßt sich sehr kurz znsannnensassen: Ein liederlicher Pariser- Junge besitzt die Liebe einer Frau, die mit einem unerschütterlichen Willen begabt ist. Sein Freund, der oben beschriebene Ritter ohne Furcht und Tadel, sucht die Frau zn verführen, während programmmäßig Lady Olisaunt den liederlichen Ehemann verführt. Da die junge Frau sehr sittsam ist und, wie gesagt, einen starken Willen besitzt, so widersteht sie allen Anfechtungen des fnnkensprühenden Thanziat, weiß ihren Waschlappen von Mann der Engländerin zu entreißen, nachdem er seine Frau durch seine kostspielige Liebschaft nebenbei ruiniert hat. Thanziat greift schließlich ihre Ehre an; die Folge ist, daß die Willensstärke Frau ihren Mann ins Duell mit Thanziat
* Ich siliere absichtlich die deutsche Überschau^.