Heft 
(1889) 21
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handeln. Dabei ließ ich den Aristoteles zufälligerweise sagen, er rede die schöne Sprache Schillers so geläufig wie seine lateinische Muttersprache. Das erregte bei den Lehrern Heiter­keit. So ein Unsinn! Als ob im Altertum nicht alle Men­schen lateinisch gesprochen Hütten! Mich machte das Lachen nervös : denn ich hatte es bei spiritistischen Sitzungen nur sel­ten, in O . . . noch nie vernommen. Ich wurde unsicher, und weder meine leisen Zuckungen noch die langen Pausen, welche ich in wirklicher Erschöpfung machte, konnten verhindern, daß ich mir namentlich bei der inneren Untersuchung des Patienten arge Blößen gab. Der Amtsrichter hatte viele medizinische Werke gelesen und wollte alles besser wissen, als seine Ärzte. Er sprach mit Harveh von der Farbe seines venösen und arte­riellen Blutes, und Harveh gab konfuse Antworten. Die Stimmung der spiritistischen Elite wurde entschieden unge­mütlich.

Da näherte sich mir, die ich mit offenen Angen im Traum­zustande dasaß und vor Aufregung ganz unästhetisch transpi­rierte, ein mir unbekannter jüngerer Herr, der ans der Nase einen Kneifer und unter dem Kneifer über die Nase und die linke Wange eine große Schmarre sitzen hatte. Es war der neue Amtsrichter. Er fixierte mich scharf und sagte in einer ganz abscheulichen Berliner Tonart:Na, meine schöne Geister­beschwörerin, wo befinden sich denn die toten Herren, welche alle einen so hübschen sächsischen Dialekt sprechen?"

Eine atemlose Stille entstand. Mir war gräßlich zu Mute. Anstatt aber in Ohnmacht zu fallen, die Sitzung da­durch zu schließen und den Störenfried der allgemeinen Ver­achtung preiszugeben, ließ ich mich von dem allgemeinen spiri­tistischen Geiste O . . .s verwirren und erwiderte dumpf:Un­gläubiger, wir sprechen zu Dir aus den Schranbengängen der vierten Dimension."

Ein Gemurmel des Beifalls ging durch den Saal. Der neue Amtsrichter aber ließ den Kneifer fallen, blickte sich iro­nisch um, setzte ihn wieder auf und sagte recht schnarrend: Merkwürdig! Der Aristoteles und der andere selige Geist mögen ja in den Schranbengängen der vierten Dimension sitzen und dort so schwitzen, wie Sie, schöne Frau. Aber Pasteur, wie ich zu Nüssen glaube, lebt frisch und gesund in Paris. Wußten das die Herrschaften nicht?"

Ich war starr vor Schreck. Aber noch einmal siegte der gute Genius der gastfreundlichen Stadt. Während ich nicht ein und nicht ans wußte, und der Doktor neben mir seinen grünlichen Schimmer bekam, erhob sich gegen den ungläubigen Amtsrichter ein Sturm der Entrüstung. Alle kleinen Unglücks­fälle der Konsultation waren vergessen. Die Ehre des Mediums wurde von allen wie von einem verteidigt. Ein Lehrer bewies sofort die Möglichkeit, auch unverstorbene Geister zu eitlerem Die Erscheinuug sei bekanut und heiße Telepathie.Hinaus!" schrie der Chorus, uud zwei unabhängige Rentiers forderten den Eindringling ans, die wissenschaftliche Manifestation nicht weiter zu störeu.

Der neue Amtsrichter fügte sich achselzuckeud der über­wältigenden Mehrheit, und die Konsultation konnte zu Ende geführt werden. Ich befand mich aber in einer solchen Exal­tation, daß ich sofort ohnmächtig wurde, als ich das gemein­same Rezept von Aristoteles, Harveh und Pasteur niederge­schrieben hatte; der Doktor, ebenfalls furchtbar aufgeregt, glaubte, ich hätte nur einen spiritistischen Krampf, und ließ mich hilf­los liegen.

Er schrieb das denkwürdige Rezept in diesem Seelen­zustand ab, und zwei Tage später war der gute alte Amts­richter tot. Ich kann heute uoch uicht glaubeu, daß eine zu starke Dosis von irgend einem Mittel aufin daran schuld war. Der neue Amtsrichter jedoch behauptete es, lind ohne den Schutz des Herrn Bürgermeisters hätte es uns schlecht gehen können. Ans den Rat dieses würdigen Freundes aber, der in der Abschiedsstunde ehrliche Thränen der Liebe und der Trauer vergoß, verließen wir das undankbare O... plötzlich und be­gaben uns über die Grenze nach Böhmen, und zwar nach

Reichenberg, wo uns schon seit Wochen ein wohlhabender Spiritisten-Verein erwartete. Ach, wie oft sollten wir uns dort nach den Fleischtöpfen von O... zurücksehnen.

(Fortsetzung folgt.)

Ein französischer Romancier.

Ungeschminkte Bemerkungen.

Von

A. A.... 17.

(^X^^an hat in neuester Zeit einen sehr scharfen Feldzug gegen den Idealismus unternommen. Selbst Größen, wie Schiller, sind mit gelegentlichen Seilenhieben und Verkleinerungsversuchen, oft in recht pietätsloser Weise, be­dacht worden. Ich muß gestehen, daß die Gefahr, welche uns von einem überschwenglichen Idealismus gedroht hat, mir bei weitem nicht so schlimm erscheint, wie eine andere, die uns immer stärker bedroht: die Gefahr der geistigen Versumpfung, des philisterhaften Quietismus, der Selbstzufriedenheit in der Litteratnr. Diese Selbstzufriedenheit ist eben jener Schlaf des Kolosses; aber auch zugleich der Todesschlnmmer aller edeln, freien und wahren Bestrebungen. Nicht gegen den Idealis­mus, der in seinen Auswüchsen längst sich überlebt hat, in seinem wahren Wesen aber nie sich überleben wird, gegen die Versumpfung durch die Selbstzufriedenheit, gegen der:phi­listerhaften Optimismus," gegen diese Gefahr sollte man zu Felde ziehen. Fort mit den Lügenpropheten, die den Koloß mit ihren behaglichen Schlummerliedern in den Schlaf singen, fort mit ihrem Treiben, das die jungen und frischen Blicken des Realismus zu ersticken droht. Ist das erst beseitigt, daun mögen die paar Schreier und Verfechter eines krankhaften und veralteten Idealismus sich die Kehlen wund reden.

Ohnet und Mnrlitt. Man könnte allenfalls auch noch Clanren und van der Velde nennen. Clauren und van der Velde ruhen im Grab, die Generation, deren Abgötter sie waren, mit ihnen. Das Unheil, welches sie angerichtet haben, war dennoch groß genug, um jetzt noch mit Schrecken davon zu reden. Die Marlitt ist auch hinüber. Ihre Wirkungen zucken noch in dein gesamten Kreis der Nähmamsellen nach. Die berühmte Werner hat sie nicht ersetzest können; mit Sehnsucht richtete man seine Blicke nach einem Ersatz! Nach einem neuen Koch für den .Koloß. Und siehe da, er fand sich, er verstaud's, er kochte gute Speisen, prickelnd, reizend, herrlich zu essen: es war Ohnet.

Ohne meine Leser mit biographischen Notizen ermüden zu wollen, kann ich ihnen verraten, daß dieserMann des Vol­kes" in Paris lebt, also ein Franzose ist. Er sollte^ daher eigentlich nur ein Manu seines Volkes seilt, aber er ist auch ein Mann unseres Volkes geworden. Und was für einer! Er ward unsere zweite Marlitt. Ehre, wem Ehre gebührt. -- Womit aber hat sich Ohnet diese Stellung errungen? Die Mittel sind alt. Sie wurden stets angewendet, wo es galt, das Publikum zu ködern.

Mein Freund, die Kunst ist alt und neu,

Durch drei und eins und eins und drei,

Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.

Ich erinnere mich hier der Kontroverspredigt, die ein ge­wisser Hauff gegen Clauren geschrieben hat. Er legt darin die Hilfsmittel bloß, die der berüchtigte Vielschreiber angewendet hat. Sie haben mich lebhaft daran gemahnt, wie's Ohnet macht. Vor allen Dingen muß ein Prinzip festgehnlten sein: der ^verfolgten) Tugend muß zum Siege geholfen werdeiU Dann muß da eine blendende Atmosphäre herrschen. Geld muß in Strömen fließen. Der .Held oder die Helden müssen Men­schen edelsten Charakters sein. Ein Paar wohlwollende Neben­figuren müssen vorhanden sein, worunter besonders die Groß­mutter itl «Voloickä» an den Hofrat Berner in Hauffs Parodie