Heft 
(1889) 21
Seite
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Deutschland.

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es ist notorisch, daß auch das Fluidum durch die Berührung von Metall gekräftigt wird. Kleinere Geschenke empfing Eduard jedesmal, wenn er lärmte und schrie, er lasse seine arme Frau nicht durch stundenlangen Verkehr mit Geistern zu Grunde richten. Es ist mir eine schmerzliche Pflicht, eingestehen zu müssen, daß wir nun gegen unsere Kunden nicht immer ehrlich verfuhren; Eduard lärmte zu häufig, und ich kriegte meine Krämpfe zu oft. Und so kann der freundliche Leser auch aus diesem Beispiele lernen, daß selbst edle Naturen durch den Glanz des Goldes sich mitunter zu kleinen Unredlichkeiten ver­führen lassen.

Ein herrliches Leben führten wir ein ganzes Vierteljahr lang in O..., einer Stadt von zwanzigtausend Dummköpfen, drei spiritistischen Vereinen und zwei Medien, die an uns und an sich selber glaubten. Ich lasse diesen Satz stehen, trotzdem innige Dankbarkeit mich zur ewigen Schuldnerin aller Spiri­tisten der Welt machen sollte; aber der plötzliche Abschied von O... hat einen Stachel in meinem Herzen zurückgelasseu.

O... war damals so durch und durch spiritistisch, daß das irdische Leben dort nur wie im Traume geführt wurde und erst abends im Verkehr mit den Geistern aus dem Jen­seits das wahre Leben zu beginnen schien. Den einen der Spiritisten-Vereine leitete durch die Hand seines Küsters ein Pastor, in dein zweiten wirkte der Herr Bürgermeister, im dritten waren fast alle Lehrer des Ortes vereinigt; die drei Mittelpunkte des spiritistischen Lebens befehdeten einander häufig, aber im Glauben an meine Sendung waren sie einig. Wenn die Leute in O... von sechs Uhr morgens bis sieben Uhr abends nicht ganz pünktlich gegessen und getrunken hätten und ihren Geschäften nachgegangen wären, man Hütte O... für ein großes Tollhaus halten müssen. Doch auch in ihrer vernünftigen Zeit machten sie alle so komische Gesichter wie die Schauspieler auf einem Liebhabertheater; sie schienen einander fortwährend zu sagen:Was bist du für ein schäbiger Kerl! Heute abend bin ich mit Nero, Sokrates, der schönen Helena oder mit Kolumbus zusammen." Jawohl, es wäre ein Vergnügen, Medium zu sein, wenn es überall so wäre und bliebe.

Der Herr Bürgermeister war nicht nur ein eifriger Spi­ritist, er sah auch in einem Liebesverhältnis zu einem Medium die Krönuug seines strebsamen Daseins und huldigte mir in meiner freien Zeit so treu, daß nur mein gestählter Charakter und die Wachsamkeit meines Eduard mein Leben vor einem neuen Schicksalsschlage bewahrte. In dieser guten Stadt wur­den wir von der Polizei nicht verfolgt, und nur unser Glück voll zu machen, wandte sich der alte Amtsrichter, trotzdem er nicht aktiver Spiritist war, an meine Hilfe. Seit vielen Jah­ren leidend, hatte er erst selbst an sich herumgedoktert, hatte dann nicht nur die Ärzte, sondern auch die Systeme der Be­handlung gewechselt und setzte jetzt auf mein wackeres Schreib­tischchen seine letzte Hoffnung.

Mit der Geschichte unseres Erfolges in O . . . könnte ich Bünde füllen; und der Doktor sagte oft, daß eine Mitteilung über die Wirkungen unserer zweiundzwanzig Rezepte einen bemer­kenswerten Beitrag zur Geschichte der Medizin abgübe. Die Einwohner waren an den Verkehr mit seligen Geistern so sehr gewöhnt, daß das regelmäßige Geschäft sich schon nach wenigen Tagen schwungvoll entwickelte. Dafür waren sie freilich wie­der anspruchsvoller als anderswo, und sowohl der Doktor als ich mußten unsere eigenen Geisteskräfte fest zusammenhalten, um allen Anforderungen gerecht zu werden; besonders lästig war es für uns, daß sie sich mit unseren vier bis fünf be­währten Geistern nicht begnügten, vielmehr, ein jeder nach seiner Laune, von den berühmten Ärzten aller Zeiten und Völker behandelt werden wollten. Der Doktor mußte mehr als ein­mal in dem alten Konversationslexikon des Herrn Bürgermei­sters nachschlagen, um rafch wenigstens das Jahrhundert des citierten Geistes zu erfahren. Dabei passierte es uns dennoch, daß wir einmal den Engländer Brown für einen deutschen Braun hielten und den alten Vesal ein ganz modernes Rezept schreiben ließen. Allmählich aber wandte sich doch das Zu­

trauen der O . . . er bestimmten Modegeisteru zu. Hippokrates verlor z. B. durch einen peinlichen Todesfall alles Ansehen; dagegen vollführte Eclsus eine Reihe von Wunderkuren, Para­celsus siegte in inneren Krankheiten über alle Konkurrenten, und von den neueren erfreuten sich Boerhave und Bichat des größten Rufes. Selbstverständlich machten wir auch hier bei den Homöopathen mit Hahnemann das größte Geschäft; auch mir war er der liebste Geist, weil er sich immer lange bitten ließ, nur viele Geschenke eintrug und anstatt langer Rezepte immer nur ein Wort diktierte. Außer diesen fünf großen Heil­künstlern wurde während der zweiten Hälfte unseres Aufent­haltes fast niemand mehr gefragt. In O . . . gewöhnte ich mich auch daran, die Krankheitsgeschichte im Traumzustande abzufragen; die großen Toten durch meinen Mund sprechen zu hören, das war für die O ... er eine unumgängliche Zugabe. Es machte mir besonderes Vergnügen, die Geister zu indivi­dualisieren, wie der Doktor es verlangte. Eelsus war wort­karg, Paracelsus ein Schwätzer; Boerhave hatte seine glänzend­sten Eingebungen, wenn er in einem kleinen Rausche citiert wurde, und er durfte darum schließlich nur in diesem Zustande erscheinen; Hahnemann wirkte durch Grobheit und Bichat durch leichten Humor. Bichat insbesondere habe ich ganz allein aus- gearbeitet. Wenn er sein Rezept geschrieben hatte, gab er dem Patienten immer noch eine kleine Lebensregel mir ans den Weg, wie z. B.: Trinken Sie nicht zu viel! Ihnen sind die Frauen gefährlich! Essen Sie weniger Kuchen! Solche Worte sagte ich dann sehr elegant in französischer Sprache und machte da­durch den guten Bichat znm allerbeschäftigtsten von allen un fern Geistern.

Leider wollte sich der Gesundheitszustand des alten Amts­richters nicht bessern, und wir waren thöricht genug, die Be­deutung dieser traurigen Thatsache zu unterschätzen. Ohne uns zu fragen, hatte der unzuverlässige Mann um feine Pensionie­rung nachgesucht; er war in den Ruhestand getreten, und sein Nachfolger, ein unangenehmer junger Herr aus Berlin, Mar­in O . . . eingetroffen, ohne daß uns von diesen Verände­rungen auch nur Mitteilung gemacht worden wäre. Wir be­handelten den alten Amtsrichter nach wie vor mit der größten Änszeichnung und gingen trotz meiner bösen Vorahnungen ans sein Verlangen ein, ihm eine Konsultation von drei ärztlichen Geistern ersten Ranges znsammenznrnfen. Ich war wie gesagt dagegen, weil ich von Natur sehr ordnungsliebend bin und das Durcheinanderreden verschiedener Geister mich leicht aus der Fassung bringt. Aber der Doktor wollte das versprochene Honorar von hundert Mark nicht fahren lassen, und die O .. - er­freuten sich schon unbändig ans die auserlesene Geistermani- festation; so mußte ich gute Miene zum bösen Spiele machen. Es war im Februar 1880, gegen fünf Uhr nachmittags, sofort nach Sonnenuntergang, daß die unglückselige Konsultation be­gann. Die Elite der O ... er Spiritisten, über sechzig Per­sonen, war eingeladen. Es durfte nicht geraucht werden, weil Eelsus hustete. Der Amtsrichter aber wollte diesmal von unfern fünf beliebten Größen nichts wissen. Er verlangte für- fein stattliches Honorar seine Vertrauensärzte. Diese waren: Aristoteles, Harvey und Pasteur. Aristoteles sollte ihn äußer­lich untersuchen, Harvey Zusammensetzung und Kreislauf seines Blutes studieren, Pasteur ihn endlich ans die Möglichkeit von Infektionskrankheiten prüfen. Bei so gründlicher Arbeit mußte das wahre Leiden des Ämtsrichters entdeckt werden.

Gleich zu Anfang der Konsultation gab es einen kleinen Unfall. Der Amtsrichter war so unverschämt, zu verlangen, jeder der drei großen Herren sollte in seiner Mutterfprache reden: denn natürlich mußte eine mündliche Konsultation stattfinden, erst zum Schluffe sollte aus der Beratung ein Rezept hervor­gehen, welches denn auch vom Doktor für den besondern Fall entworfen worden war. Da ich nun aber wohl etwas fran­zösische Konversation machen konnte, im Englischen aber sehr- mangelhaft und in den alten Sprachen ganz fremd war, lehnte ich im Namen von Aristoteles die Vielsprachigkeit ab und er­klärte mich bereit, mit den geehrten Kollegen deutsch zu ver-