Heft 
(1889) 21
Seite
357
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^ 21 . Deutschland. Seite 357.

Fehler der Naschhaftigkeit; Eduard dagegen war von nüchterner ' und sparsamer Art, und ich glaube, er hat damals, so wie früher und später, kleine Ersparnisse ans die Seite gebracht, ! und er hätte bei dieser glücklichen Anlage sogar als Spiri­tist ein wohlhabender Mann werden können, wenn eine un- still bare Neigung zu jeder Art von Spiel ihn nicht immer aufs neue in die gemeinen Sorgen kleiner Geister gestürzt I hätte. '

Unser Einkommen war in den verschiedenen Städten sehr! ungleich und hing hauptsächlich von der Dauer unseres Anfent- i Haltes ab. Wenn uns barbarische Polizeiwillkür schon nach wenigen Tagen zwang, den Staub von unfern Sohlen zu schütteln und unsere Hütten nach einer neuen Heimat zu tragen, so konnte es passieren, daß wir sogar mit Verlust arbeiteten. Anfangs mußten wir an einer Stelle vier Wochen warm wer­den, bevor es Geld regnete; später kämpften wir die falsche Scham mit Erfolg nieder, und die Ernte konnte schon nach acht Tagen beginnen. Es will alles gelernt sein.

Der Verlauf der Sache war gewöhnlich der: Wir stiegen in einem minder hochgeachteten Gasthof ab, und Eduard machte sich sofort ans den Weg, um den kleinen spiritistischen Verein des Ortes in die Höhe zu trommeln; wo kein Verein bestand, da hatte er vor dem Schlafengehen einen gegründet, indem er die einzelnen am Orte lebenden Spiritisten, die oft gar nichts voneinander wußten, mit seinem Besuche beehrte und sie fin­den Abend in unser Wirtshaus zu einer Seance einlnd. Er­halte sich dazu in Berlin mit dem Katalog der Zweigvereine und mit der Liste der Abonnenten unserer Zeitschrift versehen. Eduard war eben ein organisatorischer Kopf, und wir mußten j froh sein, daß wir ihn mitgenommen hatten.

Als Sekretär des Berliner Mutter-Vereins, lvie er sich ! nannte, genoß er überall in wissenschaftlicher und sozialer Hin­sicht ein sehr nutzbares Ansehen, welches sich unmittelbar auch ans den Doktor und mich übertrug. Dabei war es für mein! nachdenkliches Gemüt ein ewiges Rätsel, daß Männer der ' Wissenschaft, welche meinen: Eduard mit ihrem Vertrauen: be- ! ehrten, den Doktor doch mitunter gerade un: seines Titels willen ! über die Achsel ansahen. Aber in: allgemeinen hatten wir nicht ! zu klagen, da wir fast ausschließlich mit Wirtslenten und Spiri- ^ tisten verkehrten.

Wenn Eduard einen: genügend großen Kreis von potenten Spiritisten: un: sich versammelt hatte, rückte er, zumeist in späterer Nachtstunde, mit den: Geheimnis heraus, daß ich das berühmte ärztliche Medium sei, von welchem in der Zeitschrift z so viel die Rede gewesen war. Diese Berichte bezogen sich ! zwar alle noch auf Frau B..., aber ich konnte sie mit gutem ! Gewissen für mich verwenden, denn meine Fähigkeiten ent- ! wickelten sich schon in den ersten Wochen unseres Unternehmens so rasch, daß der Doktor mich mit Lobsprüchen überhäufte. Ich übte auf dem Tischchen, welches während der Eisenbahn­fahrt immer bei dem Handgepäck lag und an Ort und Stelle nicht von meiner Seite wich, so andauernd wie ein Artist, der täglich im Cirkns ans dem Trapez zu arbeiten hat. Auch das ist kein leichtes Brot; das Schicksal eines solchen Artisten hatte einst «nein Leben gestreift und mich tiefe Blicke auch in diese Welt des Scheins thun lassen.

Konnte ich jetzt mit meinem reizenden Tischchen beinahe so gewandt schreiben wie ein achtjähriges Kind mit einem ge­wöhnlichen Federhalter, so lehrte mich der Doktor, als er erst meine feine Bildung würdigen gelernt hatte, meinen Beruf mit wissenschaftlicher Gründlichkeit anffassen. Frau B... hatte im ganzen fünf Arzneimittel in: Kopfe behalten und dadurch den Doktor gezwungen, alle Ärzte, von Hippokrates bis auf die jüngst verstorbenen, mit einer gewissen Eintönigkeit Rezepte schreiben zu lässen. Und es war in der Stadt der Intelligenz einmal recht übel vermerkt worden, daß der alte Galenns gegen die Schlaflosigkeit einer hysterischen Spiritistin das neu er­fundene Ehloralhydrat verschrieb. Die Versicherung, daß die berühmten toten Ärzte des Altertums im Jenseits mit dcr Wissenschast sortschritten, entsprach zwar völlig den spiritistischen

Glaubenslehren, aber Galenus verlor durch den Vorfall trotz­dem an Ansehen.

Ich mußte das Ding viel ernster ansassen. Der Doktor- Hütte irgendwo ein kleines lateinisches Rezeptierbuch aus den: 17. Jahrhundert aufgetrieben; daraus mußte ich zehn kurze Rezepte auswendig lernen, wohl gemerkt in lateinischer Sprache, und sie jedesmal benützen, wenn ein griechischer, römischer, arabischer oder überhaupt mittelalterlicher Arzt vom Patienten verlangt wurde. Einmal wollte ein reicher Spiritist aus Bres­lau durchaus einen Ägypter konsultieren und sich da mit Latein nicht zufrieden geben. Er hatte den Namen des großen Natur­forschers in einen: neuen Roman gefunden nnd wünschte Hiero­glyphen. Da er hundert Mark zahlte, malte ich ihn: Hiero­glyphen. Aber so etwas passierte mir nicht oft; Latein reicht ans. Dazu kamen noch zehn moderne Rezepte, die zwar auch mit lateinischen Abkürzungen geschrieben werden mußten, die aber jeder Apotheker verstand, nnd die ich binnen kurzem selbst übersetzen lernte. Für die homöopathischen Patientei: kamen noch zwei Verordnungen hinzu, so daß ich im ganzen zweiund­zwanzig schöne Rezepte schreiben konnte. Dazu hatte ich mir nur noch je einen Buchstaben des Alphabets zu merken. Der Doktor, der wie ein ganz Unbeteiligter daneben saß, während der Patient dem Geiste eines verstorbenen großen Arztes seine Krankheitsgeschichte erzählte, sprach dann einen gleichgültigen Satz, dessen Anfangsbuchstabe mir das Rezept angab, das ich zu schreiben hatte. So bedeutete z. B.Es ist heute warn:" eine lateinische Theriak-Verschreibung;Heute ist es warn:" befahl mir eine Rhabarber-Tinktur, undIst es hier nicht zu warm?" eine Chinin-Geschichte. Der Doktor geriet dnrch die Einfältigkeit seiner Zwischenbemerkungen in den Ruf der Dumm­heit, aber er machte sich nichts daraus.

Die Verwaltung der Kasse nnd die Verrechnung nnter uns hatte manche Schwierigkeiten, weil fast jede Bezahlung heimlich geleistet wurde. Aber wie uns das gemeinsame Band einer höheren Lebensauffassung zusammengeführt hatte, so trotzten wir auch in unentwegter Treueallen Gefahren, welche den: edel:: Dreibund aus den kleinen Übervorteilungen zu erwachsen drohten. Eigentliches Honorar empfing auch jetzt nur der Doktor, nnd zwar für seine Mühe, die Rezepte seiner ver­storbenen Kollegen zu entziffern, abznschreiben und durch seine Unterschrift zu beglaubigen. In: Spiritisten-Verein von L... wurde freilich eine Petition an den Reichstag beschlossen, dahin­gehend, daß im Interesse der leidenden Menschheit auch die Rezepte verstorbener Ärzte in den Apotheken dispensiert werden sollten; aber diese echt spiritistische Forderung ist bis heute nicht Gesetz geworden. Der Doktor also nahm für jedes Re­zept Geld ein, für die Herren aus den: Altertum zehn bis zwanzig Mark, für jüngere Namen drei bis zehn Mark. Weniger als einen Thaler nahm er nie, außer wenn der Kranke arm war oder sonst nicht so viel zahlen wollte. Umsonst ordinierte der Doktor grundsätzlich nicht; das litt, wie er sagte, die Würde des ärztlichen Geistes nicht. In Städten, wo unser Ruf Zeit hatte, über den Kreis der richtigen Spiritisten hinaus ins Volk zu dringen, ging das Geschäft vorzüglich; in H... gestand der Doktor einmal selbst zu, einmal an einem Tage über dreihundert Mark eingenommen zu haben. Wir waren aber auch herzlich müde davon, denn wir zwei mußten immerzu schreiben, während die Geister miteinander abwechselten.

An starken Arbeitstagen gab es noch Nebeneinkünfte für Ednard und mich; so sorgte die Vorsehung dafür, daß die Willkürlichkeiten ausgeglichen wurden, welche der Doktor sich bei der Verrechnung ganz gewiß zu Schulden kommen ließ. Was Eduard und ich persönlich empfingen, das konnte man nicht Honorar nennen, es war ein Geschenk, ein Douceur, und nur ganz ungebildete Leute konnten es als Trinkgeld bezeichnen. Ich bekam sehr anständige Geschenke jedesmal, wenn ich Zuckungen kriegte und erklärte, den Verkehr mit Geistern nicht länger aus- halten zu können; da schoben mir bessere Patienten oft einen Thaler aus die Tischplatte nnd wunderten sich gar nicht dar­über, wenn ich den in meinem Tranmznstande einsteckte; denn