Seite 382.
Deutschland.
2 .
R
Eine halbe Stunde später hielt die Droschke vor dem Eingänge znm Jnvalidenpark. Der alte Graf stieg ans und ging, über den Damm fort, auf das ihm wohlbekannte Hans zn, das im grellen Scheine der Mittagssonne wie nnsgestvrben da lag. Pauline stand am Feilster und erkannte den Grafen, als er hastigen Schrittes auf ihre Wohnung znstenerte. „Jott," sagte sie, „nn schon bei Dage!" Dabei rückte sie aber doch den Kragen zurecht und warf ihre Küchenschiirze hinter den Ofen. Und jetzt hörte sie's klingeln.
„Mama zn Hans?"
Olga wollte „Nachsehen," aber der Graf war nicht in der Laune, sich auf seinem eigensten Territorium allerlei lächerlichen Anmeldeförmlichkeiten zu unterwerfen, und trat also, während er Olga folgte, gleichzeitig mit dieser in das Norderzimmer ein.
„Guten Tag, Witwe."
Die Pittelkow sah, daß er schlechter Laune war und erwiderte deshalb, ohne sich vor: ihrer Fensterstelle zn rühren, im gleichgültigsten Tone: „Guten Tag, Graf... Eine schmähliche Hitze ..."
Der alte Graf bezeugte keine Lust, sich in ein Wetter- gesprüch einzulassen, warf sich vielmehr ohne weiteres ins Sofa und sagte, während er sich mit dem Taschentuch etwas frische Luft zufüchelte: „Komme heut in einer ernsten Sache, Pnn- linc. Was ist das mit der Stine?"
„Mit Stine?"
„Ja. Sie hat da mit meinem Neffen angebändelt. Und nun ist er verrückt geworden und will sie heiraten. Und wer ist schuld daran? Du, Pauline. Du hast mir dies eingebrockt. Du, nur Du. Stine macht nicht drei Schritte, geht nicht von hier bis ans Fenster, ohne Dich zu fragen; sie hat nie was andres gethan, als was Du gewollt oder gutgeheißen hast, und auf Dich fällt dieser Skandal. Ich frage Dich, ob ich Anspruch auf solche Behandlung habe? Nun, wir wollen sehen, was wird. Wolle Du, was Du willst, ich will was ich will. Die Welt ist verrückt genug geworden, aber soweit sind wir noch nicht, daß die Häuser Hnldern und Pittelkow Arm in Arm ihr Jahrhundert in die Schranken fordern. Nein, Pauline. Solchen Unsinn verbitt' ich mir, und was ich von Dir fordre, ist das, daß Du dieser Kinderei ein Ende machst."
„Kann ich nicht."
„Weil Du nicht willst."
„O, ich will schon. Ich habe schon gewollt, gleich als
ich die Geschichte kommen sah. Es ist ein Unglück für meine
Stine."
„Was?"
„Es is ein Unglück für meine Stine. Ja, Graf. Oder denken Sie, daß ich so dumm bin, so was für'n Glück zu
halten? Ach, du meine Güte, da sind der Herr Graf mal
wieder aus Jrrlaud, un gauz gehörig. Und nu hören Sie mal ein bißchen zu. Hier drüben wohnt ein Schlosser, ein Kunstschlosser, und hat 'neu Neffen, einen allerliebsten Menschen, der bei den «Maikäfern» gestanden, — aber jetzt is er wieder ins Geschäft. Nn, der war letzten Sommer immer um die Stine Tum, un wenn der das Mächen nimmt, dann geh' ich nächsten Sonntag in'n Dom oder zu Büchseln und weine mir aus und danke dem lieben Gott für seine große Gutthat un Gnade, was ich nu schon eine gute Weile nich gedhan habe. Ja, Graf, so steht es. Meine Stinechen is kein Mächen, das
sich an einen hängt oder mit Gewalt einen rankratzt, Gras oder nich, un hat's auch nich nötig. Die kriegt schon einen. Is gesund un propper un kein Unthätchen au ihr, was nich jeder von sich sagen kann. He?"
„Komme mir nicht damit. Das sind Ausweichungen und Redensarten, bloß um von der Sache loszukommeu. Darum handelt sieh's nicht. Unthätchen! Was heißt Unthätchen? Ich habe der Stine nichts aus den Leib gered't, ich weiß, sie ist ein gutes Kind. Aber was soll das mit Deinem «Unthätchen» und «was nicht jeder von sich sagen kann-. Meinst Du mich? Meinetwegen. Mir thut's nichts; ich bin drüber weg. Aber Du meinst meinen Neffen und das reizt mich und ärgert mich, weil's mal wieder Deinen schlechten Charakter zeigt. Oder wenn nicht Deinen schlechten Charakter, so doch, daß Du hart bist und ohne rechte Güte. Was soll das mit dem anzüglichen Vorwurf und Deinem spöttischen Gesicht dabei? Waldemar ist ein armer, unglücklicher Mensch und kann freilich keinen Degen verschlucken oder sich einen Amboß ans die Brust legen lassen. Und wenn Du das ein «Unthätchen» nennen willst, nun so thn's. Aber seine Krankheit und sein Elend, das ist es ja gerade, was ihm vor Gott und Menschen zur Ehre gereicht. Denn woher hat er's? Ans dem Krieg her hat cr's. Er war noch keine neunzehn und ein schmächtiger dünner Fähnrich bei den Dragonern und sah aus wie 'ne Milchsnppe, das muß wahr sein. Aber ein Haldern war er. Und weil er einer war, war er der erste von der Schwadron, der an den Feind kam, und vor dem Karree, das sie sprengen sollten, ist er znsammen- gesunken, zwei Kugeln und ein Bajonettstich und das Pferd über ihn. Und das war zn viel für den jungen Menschen. Zwei Jahre hat er gelegen und gedoktert und geqnient und nun drückt er sich schwach und krank in der Welt herum, und weil er nicht weiß, was er machen soll, besucht er Stine und will sie heiraten. Das ist ein Unsinn. Aber komme mir nicht mit allerlei Spitzen und Anzüglichkeiten, die für den armen Jungen nicht passen. Er hat das Eiserne Kreuz lind ich will, daß Du mit Achtung von ihm sprichst."
Pauline lachte. „Jott, Graf, wenn das einer hört, so muß er ja wahr und wahrhaftig denken, ich wollt' einem einen Spott draus machen, daß er ein braver Junge gewesen. Aber das is auch so eine von Euren Marotten, daß Ihr immer denkt, wir verstünden nichts davon und wüßten nichts von Vaterland und knappzn von Courage. Aber wie steht es denn? Alle Wetter, ich bin auch fürs Vaterland und für Wilhelm, und wer seine Knochen zn Markte getragen hat, vor dem Hab' ich Respekt un brauche mir nich erst sagen zu lassen, daß ich Respekt vor ihm haben soll. Un denn, Gras, man nich immer jleich mit die Halderns. Ich habe welche gekannt, die waren auch erst neunzehn und keine Halderns und saßen nich zn Pferde, nein, immer bloß aus Gebrüder Benekens, un mußten auch immer vorwärts. Un zuletzt, als es bergan ging nn sie nich mehr tonnten, da hielten sie sich an die Kusseln, weil sie sonst rücklings runter gefallen wären, nn immer die verdammten Dinger dazwischen, die so quietschen un sich anhören wie 'ne Kaffeemühle. Ne, ne, Graf, die Halderns haben es nich alleine gemacht un der junge Graf auch nich. Aber er hat seine Schuldigkeit gethan un seine Gesundheit drangegeben un da werd' ich ihm doch nichts anreden — i, da biß ich mir ja lieber die Zunge ab. Ich habe bloß sagen wollen, daß nn