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Deutschland.
Seite 383.
Stine kein Unthätchen is. Un dabei bleib' ich. Und da wir nn mal davon reden, dabei bleib' ich mich, daß ans Gräfliche öfter so was is, als an unserem, un nu gar erst an Stinechen. Ich weiß nich, wie die Dokters es nennen, aber das weiß ich, es giebt Unthätchen schon von'n Urgroßvater her. Un die Urgroßväter, was so die Zeit von'n dicken König war, na, die waren schlimm. Und die Halderns werden woll auch nich anders gewesen sein als die andern."
„Es ist gut," sagte der alte Graf mit wiedergewonnener Ruhe. „Was Du gleich zuerst gesagt hast von dem Schlosser drüben und seinem Neffen, das ist die Hauptsache, das hat mich überführt. Ich glaube jetzt, daß Du unschuldig an der Sache bist und muß auch einränmen, es sieht Dir nicht ähnlich. Du bist viel zu klug und zu verständig, um solchen Unsinn in Gang zu bringen. Denn Du sagst es ja selbst, ein Unsinn ist es und ein Unglück dazu. Und noch dazu für alle beide."
Panline nickte znstimmend.
„Also ein Unglück sag' ich. Und nun laß uns überlegen, wie Nur da 'rnnskommen oder es wenigstens eingrenzen und wieder Schick in die Sache bringen. Waldemar ist eigensinnig falle Kranken sind es) und wird von seinem Vorhaben nicht lassen wollen, davon bin ich überzeugt. Es ist also nur dadurch etwas zu machen, daß wir ans den andern Part, auf Deine Schwester einen Einfluß gewinnen."
Die Pittelkow zuckte mit den Achseln.
„Du willst sagen, es fehlt auch ihr nicht an Eigensinn. Und ich glaub' es beinah. Außerdem ist alles Zureden umsonst, solange noch die Möglichkeit für Stine bleibt, Waldemar zu sehn und zu sprechen. Den wird sie natürlich lieber hören als uns. Jeder hört am liebsten, was ihm schmeichelt und wohlthut. Ich seh' also nur ein Mittel: sie muß fort. Und ich stelle Dir alles dabei zur Verfügung. Überlege. Sie wird doch irgendwo in der Welt, in der Priegnitz oder Uckermark, eine Freundin oder Anverwandte haben, und wo nicht, so müssen wir so was erfinden. Da muß sie hin. Nur weg von hier, weg. Zeit gewonnen, alles gewonnen. Und ist erst eine Trennung da und haben beide vierzehn Tage lang eingesehn, daß sich auch ohne Mondscheinkuß immer noch leben läßt, so haben wir wenigstens einen guten Anfang geinacht. Und dann sehen wir weiter."
Die Pittelkow war im wesentlichen damit einverstanden und fiel, als ihr Haldern auch erzählt hatte, daß Waldemar uach Amerika wolle, rasch wieder in ihren Alltags- und Gemütlichkeitston. „Ich war von Anfang nn dagegen. Und nu will er auch noch nach Amerika! Du mein Gott, was will er da? Da müssen sie scharf 'ran un bei sieben Stunden in Stichsonne, da fällt er um. Erst heute früh haben sie hier einen vom Bau vorbeigebracht un war noch dazu ein Lteintrüger mit Schnurrbart und Svldatenmütze, was immer die stärksten sind. Un nu solch armer Invalide. Graf, ich werd' es schon machen un will gleich zu Wauda, die muß mir eiue Geschichte zurecht lügen. Un wenn ich die habe, dann packen wir Stinen ein, nach Alt-Laudsberg oder nach Bernau mit's Storchnest oder nach Fürstenwalde. Sie will immer beistehn un helfen und wir müssen ihr so was Vorreden von Beistand un Hilfe."
Der Graf war erfreut und so trennten sie sich.
14. Kapitel.
Die Pittelkow, als der Graf fort war, warf sich in Staat, nahm ihren Umhang und ging in die Tiekstraße, um mit Wanda zu beraten, was zu thun, und in welchem märkischen Neste Stine wohl am besten unterznbringen sei. Wanda, dessen ent- sann sie sich, hatte eine ältere nach Teupitz hin an einen Schlächtermeister verheiratete Halbschwester; vielleicht wenn man sagte, daß da was Kleines angekommen und der Mann, samt seinen vielen Kindern, eines Beistands in der Wirtschaft bedürftig sei? „Ja, so muß es gehn. Und is erst wer in Ten- pitz, so kommt er sobald nich wieder weg. Und die Frau wird sie schon festhalten, — soviel wird sie doch woll von Wanda'n haben, daß sie nich gleich locker läßt. Und wenn jrade geschlachtet wird, kann Stine ja zusehn un hat en bißchen Zerstreuung."
In dieser Richtung gingen die Gedanken der Pittelkow, j die, während sie diese Pläne machte, nicht ahnen konnte, daß ziemlich um eben diese Zeit bereits Entschlüsse gefaßt und Entscheidungen getroffen worden waren, die jeden weitern Klugheitsplan unnötig machten.
Waldemar, als er den Onkel verlassen hatte, hatte seinen Weg erst bis Schloß Bellevue hin und von dort aus nach einem um ein paar hundert Schritte weiter flußabwärts gelegenen Sommerlokale genommen, das er für gewöhnlich an jedem Spätnachmittag, eh' er zu Stine ging, aufzusuchen pflegte. Dort im Schatten alter Bäume niederzusitzen und zu sinnen und zu träumen, war das, was er liebte. Wirt und Wirtin in diesem Lokale kannten ihn längst, ebenso war er Intimus der dort zahlreich ansässigen Spatzen, die, sobald er Platz ge- ! nommen, den Tisch nmhüpften und die Brocken und Krümel ! des eigens für sie bestellten Stück Kuchens aufznpicken pflegten. Das alles war heute gerade so wie sonst und nur die ihre Köpfe neugierig zusammensteckenden Kellner beschäftigten sich augenscheinlich mit der Frage, was ihren regelmäßigen Spätnachmittagsgast heute schon zu so früher Stunde hierher geführt haben könne. Denn es war erst zwei. Waldemar hatte seine Freude daran, diese kleine Neugier zu beobachten und las ^ ans den Mienen der Kellner den Gang ihrer Unterhaltung ! mit einer Sicherheit heraus, als ob er sie vom nächsten Baum ' her Hütte belauschen können. Überhaupt entging ihm nichts und wenn er eine Zeitlang die Ounlmwolken aus dem gerade l gegenübergelegenen Borsigschen Eisenwerke hatte hervorquellen ^ und nach der Jungfernheide hin abziehen sehen, so gab er ! seinem Blick mit einem Male wieder eine Seitwärtsrichtung ! und zählte dabei die Brückenpfeiler oder die Spreekühne, die von der Stadt her den Fluß herunter kamen. Er war ohne jede Spur besonderer Erregung und beschäftigte sich, was übrigens seinem Eharakter entsprach, kaum noch mit dem Gespräche, das er eben erst mit seinem Onkel gehabt hatte. Wenn er den Frieden nicht haben konnte, so war es schon viel für ihn, ihn seinerseits ehrlich und aufrichtig gewollt zu haben, llnd das war ja der Fall. Ans diesem Bewußtsein erwuchs ihm etwas wie Trost und Ergebung, und wenn Ergebung auch nicht das absolut Beste, nicht der Friede selbst war, so war es doch das, was dem Frieden am nächsten kam.
Er blieb wohl eine Stunde. Dann erst erhob er sich und ging auf den Ausgang zu. Von draußen her aber sah er noch