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Deutschland.
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einmal über den Staketznnn in den Garten zurück. Da war wieder die Musik-Estrade mit den wackeligen Notenpulten und gleich dahinter das primitive Büffett mit den eingeschnittenen Querhölzern, daran zahllose Weißbierdeckel wie kleine Schilde hingen. Und dicht daneben und halb überwachsen von einer Kngelakazie stand der eben von ihn: verlassene Tisch, auf dessen grüner Platte jetzt die Lichter und Schatten tanzten. Er konnte sich nicht losreißen von dem allen und prägte sich's ein, als ob er ein bestimmtes Gefühl habe, daß er's nicht Wiedersehen werde. „Glück, Glück. Wer will sagen, was du bist und wo du bist! In Sorrent, mit dem Blick auf Capri, war ich elend und unglücklich, und hier bin ich glücklich gewesen." Und nun ging er weiter flußabwärts bis au die Moabiterbrücke, weil er vorhatte, den Rückweg am andern Ufer zu machen. Als er aber drüben war, nahm er langsam und unter gelegentlichem Verweilen seinen Weg auf den Humboldtshafen und zuletzt auf den Jnvalidenpark zu. Dort blieb er stehen und musterte das gegenübergelegene Haus. Stine stand oben am Fenster. Er grüßte mit der Hand und stieg dann in ihre Wohnung hinauf.
Stine empfing ihn schon an der Thür, glücklich ihn zu sehen, aber doch mit einem Anfluge von Sorge, weil er sonst nie vor Dämmerstunde kam.
„Was ist?" sagte sie, „Du siehst so verändert ans."
„Möglich. Aber es ist nichts. Ich bin vollkommen ruhig."
„Ach sage nicht das. Wenn man sagt, man sei ruhig, ist man's nie."
„Woher weißt Du das?"
„Ich glaube, das lernt jeder, dafür sorgt das Leben. Und dann weiß ich es von Pauline. Wenn die zu mir sagt: «Stine, nun bin ich wieder ruhig,» dann ist es immer noch schlimm genug. Aber nun sage, was ist?"
„Was ist? Eine Kleinigkeit. Eigentlich nichts. Ich stand immer einsam unter den Meinigen und nun soll ich noch etwas einsamer dastehn. Es wirkt einen Augenblick, aber nicht lange . ."
„Du verschweigst mir etwas. Sprich!"
„Gewiß, deshalb bin ich hier. Und so höre denn. Ich war bei meinem Onkel, um ihm zu sagen . . . ja, was Stine? um ihm zu sagen, daß ich Dich lieb Hütte . ."
Stine kam in ein Zittern.
„ . . Und daß ich Dich heiraten wolle . . Ja, heiraten, nicht um eine Gräfin Haldern aus Dir zu machen, sondern einfach eine Stine Haldern, eine mir liebe kleine Frau, und daß wir daun nach Amerika wollten. Und zu diesem Schritt crbüt' ich seine Zustimmung oder doch eine Fürsprache bei meinen Eltern."
„ Und?"
„Und diese Fürsprache hat er mir verweigert."
„Ach, was hast Du gethan?"
„Sollt' ich nicht?"
„Was hast Du gethan?" wiederholte Stine, zugleich hinzusetzend: „Und ich Ärmste bin schuld daran. Bin schuld, weil ich's habe gehen lassen und mich nie recht gefragt habe: was wird? Und wenn mir die Frage kam, so Hab' ich sie zurückgedrängt und nicht aufkommen lassen und nur gedacht: freue dich, solange du dich freueu kannst. Und das war nicht recht. Daß es nicht elvig dauern würde, das wußt' ich, aber ich
rechnete doch auf manchen Tag. Und nun ist alles falsch gewesen und unser Glück ist hin, viel, viel schneller als nötig, bloß weil Du wolltest, daß es dauern solle."
Waldemar wollte widersprechen; aber Stine litt es nicht und sagte, während ihre Stimme mit jedem Augenblick beschwörender und eindringlicher wurde: „Du willst nach Amerika, weil es hier nicht geht. Aber glaube mir, es geht auch drüben nicht. Eine Zeitlang könnt' es gehn, vielleicht ein Jahr oder zwei, aber dann wär' cs auch drüben vorbei. Glaube nicht, daß ich den Unterschied nicht sähe. Sieh, es war mein Stolz, ein so gutes Herz wie das Deine lieben zu dürfen, und daß es mich wieder liebte, das war meines Lebens höchstes Glück. Aber ich käme mir albern und kindisch vor, wenn ich die Gräfin Haldern spielen wollte. Ja, Waldemar, so ist es, und daß Dil so was gewollt hast, das macht nun ein rasches Ende. Vor Jahren, ich war noch ein Kind, Hab' ich mal ein Feenstück gesehn, in dem zwei Menschen glücklich waren; aber ihr Glück, so hatte die Fee gesagt, würde für immer hin sein, wem: ein bestimmtes Wort gesprochen oder ein bestimmter Name genannt werde. Siehst Du, so war es auch mit nils. Jetzt hast Du das Wort gesprochen und nun ist es vorbei, vorbei, weil die Menschen davon wissen. Vergiß mich; Du wirst es. Uud wenn auch uicht, ich mag keine Kette für Dich sein, an der Du Dein Leben lang hernmschleppst. Du mußt frei sein; gerade Du."
„Ach, meine liebe Stine, wie Du mich verkennst. Du sprichst von einer «Kette» und daß ich frei sein müsse. Freiheit. Nun ja, mein Leben war frei, was man so frei sein nennt, seit ich aus meiner Eltern Hanse ging und in manchen Stückeil auch früher schon. Aber wie verlies es trotzdem? Wie war es von Jugend an? Wir haben soviel davon geplaudert und ich habe Dir von meinen Kindertagen erzählt und von dem langweiligen Hauslehrer, der den Frommen spielen mußte nach Anweisung lind mich mit Sprüchen und Geboten und dem ewigen «was ist das» quälte lind mit dem Glaubensbekenntnis, das ich nie verstand und er auch nicht. Aber der arme traurige Mensch, der Ich sollte vielleicht nicht spotten, gerade ich nicht) immer einen Katarrh und eine Liebschaft hatte, war lange nicht der schlimmste. Das Schlimmste war, daß ich im Hanse selbst, bei meinen eignen Eltern, ein Fremder war. Und warum? Ich habe später darauf geachtet und es in mehr als einer Familie gesehn, wie hart Eltern gegen ihre Kinder sind, wenn diese ganz bestimmteil Wünschen und Erwartungen nicht recht entsprechen wollen."
Stine, die dieselbe Wahrnehmung auch in ihrer bescheidenen Sphäre gemacht haben mochte, nickte zustimmend, und Waldemar, der sich dieser Zustimmung freute, fuhr deshalb fort: „Es wird wohl überall so sein, und jedenfalls war es so bei uns. Und dazu die Launen und Verstimmungen einer Frau, weil ihr ein Großfürst einmal ein Billet geschrieben, das beinah ein Liebesbillet war, und die sich nun einbildete, nicht viel was andres als eine Mißheirat geschlossen zu haben. Da hast Du das Bild meiner Stiefmutter. Den Sommer über war sie verstimmt über das langweilige Landleben und über die Damen der Nachbarschaft, die gar keine Damen waren, wenigstens nicht in ihren Augen, und wenn sie dann Winters zu Hofe giug, so war sie noch verstimmter, weil Schönere oder Vornehmere da waren und ihr den Rang abliefen. Und diese