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Deutschland.
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schlechte Laune mußt' ich entgelten, diese Verstimmungen trafen mich, der ich ihr überhaupt von Anfang an mißfiel. Und als ich dann heranwnchs und wohl auch meinerseits zeigen mochte, daß mir nicht alles gefalle, da war ich vollends nicht auf Rosen gebettet, lind so ging's, bis ich mit neunzehn eintrat und mit zu Felde zog und die Kugel kriegte oder zwei, wovon ich Dir erzählt habe. Da ward' es freilich einen Augenblick besser und ich war ein Vierteljahr lang der .Held und Mittelpunkt der Familie, besonders als auch prinzliehe Telegramme kamen, die sich nach mir erkundigten. Ja, Stine, das war meine große Zeit. Aber ich hätte sterben oder mich rasch wieder zu Gesundheit und guter Carriere herausmanscrn müssen, und weil ich weder das eine noch das andre that und nur so hinlebte, manchem zur Last und keinem zur Lust, da war es mit meinem Ruhme bald vorbei. Der Vater hätt' es vielleicht ändern können, wenn er ein festes Eintreten für mich gewagt und nicht seinen .Hans- und Ehefrieden über mein Glück gestellt Hütte. So könnt' er sich nicht anfraffen und so Hab' ich denn durch viele Jahre hin gelebt, ohne recht zu wissen, was Herz und Liebe sei. Nun weiß ich es. Und jetzt, wo ich es weiß und mein Glück festhaltcn null, soll ich es wieder ans der Hand lassen, lind alles bloß, weil Du von Ansprüchen sprichst, und vielleicht auch daran glaubst, die mir im Blute stecken sollen und die - weil im Blute — gar nicht anfzn- geben seien. Ach, meine liebe Stine, was geb' ich denn auf'? Nichts, gar nichts. Ich sehne mich danach, einen Baum zu pflanzen oder ein Volk Hühner anfsteigen oder auch bloß einen Bienenstock ausschwärmen zu sehen."
Er schwieg und sah vor sich hin, Stine aber nahm seine Hand und sagte: „Wie Du Dich selbst verkennst. Der Tagelöhner- fohn ans Eurem Dorfe, der mag so leben und dabei glücklich sein: nicht Du. Dadurch, daß man anspruchslos sein will, ist man's noch nicht, und es ist ein ander Ding, sich ein armes und einfaches Leben ansmalen oder es wirklich führen, lind für alles, was dann fehlt, soll das Herz anfkommen. Das kann es nicht und mit einemmal fühlst Du, wie klein und arm ich bin. Ach, daß ich in diesem Augenblick so spreche, das ist vielleicht auch schon eine Schwachheit und ein kleines Gefühl; aber ich kämpfe nicht dagegen an, weil ich glaube, daß ans allem, was Du vor hast, nur Unheil kommt, nur Enttäuschung und Elend. Der alte Graf ist dagegen und Deine Eltern sind dagegen (Du sagst es selbst) und ich habe noch nichts zum Glück ausschlagen sehen, worauf von Anfang an kein Segen lag. Es ist gegen das vierte Gebot, und wer dagegen handelt, der hat keine ruhige Stunde mehr und das Unglück zieht ihm nach."
„Ach, meine liebste Stine, Du redest Dich so hinein und kommst mir nun gar mit dem vierten Gebot. Glaube nur, das mit dem vierten Gebot, das hat auch seine Grenze. Vater und Mutter sind nicht bloß Vater und Mutter, sie sind auch Menschen, und als Menschen irren sie so gut wie Du und ich. Nein, ich will Dir sagen, was es ist und warum Du glaubst, so sprechen zu müssen. Ich verstehe mich ein bißchen auf das menschliche Herz, denn sieh, wer jahrelang auf dem Krankenbette liegr, der hat viel Zeit und spürt vielem nach und das Verlockendste sind immer die Schlüngelgänge des Herzens, des eignen und das der andern. Und nnn höre, was es ist. Es ist was Hochmütiges in Eurer Familie, daran drei Grafen
genug Hütten, etwas Trotziges und Herausforderndes, und ein Hang, die Wahrheit zn sagen und mitunter anch noch mehr. Deine Schwester hat es sehr stark und Du hast es anch, hast anch Dein Teil daran. Und sieh, in diesem Deinem falschen Stolze willst Dn nicht, daß ich anch nur einen Augenblick glauben soll, Dn hättest an so was wie eine Stine Haldern gedacht. Das ist Dir gegen Deine Ehre. Hab' ich recht und ist es so?"
„ Nein."
„Gnt. Ich glanbe Dir. Ich weiß ganz bestimmt, daß Dn «ja» gesagt hättest, wenn Dn's hättest sagen können. Und daß Du dies ehrliche «nein» sagen kannst, das ist schön von Dir und läßt mich aufs neue sehen, eine wie gute Wahl ich getroffen. Und nnn soll es an bloßen Einbildungen scheitern. Ich bin ans den Vorurteilen heraus und nnn willst Du sie haben. Ich beschwöre Dich, Stine, mache Dich frei davon, und vor allem entschlnge Dich Deiner Ängstlichkeiten."
Stine schüttelte den Kopf.
„Es soll also nichts mit uns werden?"
„Es kann nicht."
„Und alles soll bloß ein Sommerspiel gewesen sein?"
„Es muß."
„lind es kommt Dir nicht der Gedanke, daß mir dies alles das Leben bedeuten könnte?"
„Um Gottes Nullen, Waldemar!"
„Ich null keine Ausrufe, ich will eine Antwort. Ein «Ja», kurz und bestimmt, nnd dann fort, fort. Sprich, Stine, Dn weißt, was ich bitte. Willst Dn?"
„Nein."
Und sie stürzte weinend an ihm vorüber. Er hielt sie aber fest nnd sagte: „Stine, so wollen wir nicht scheiden. Ein «Nein» soll nicht Dein letztes Wort gewesen sein. Setze Dich nieder nnd sieh mich an. Und nnn sage mir: Hast Du mich wirklich geliebt?"
„Ja-"
„Bon Herzen?"
„Von ganzem Herzen."
Und das Krampfschlnchzen, unter dem sie sprach, ging in eine Ohnmacht über.
Als sie wieder zn sich kam, war sie allein.
(Schluß folgtU
Das Recht in der sozialen Frage.
Von
Robert Schellwien.
behandelt inan die soziale Frage patho- logisch. Man geht davon ans, daß die kümmerliche Lage des Arbeiterstandes in der Natur der Dinge begründet, ein notwendiges Übel sei, das man nicht anfheben, sondern nur abschwächen nnd in seinen nachteiligen Folgen für die Arbeiter mildern könne; man „geht weiter und sagtz daß diese Abschwächnng des sozialen Übels nicht nur Sache der Humanität, sondern anch Pflicht des mit dem Gesamtwohl der Bevölkerung befaßten Staates sei. In dieser Richtung bewegen sich, abgesehen von der der Sozialdemokratie oder doch deren Führern vorschwebenden fundamentalen Änderung der Gesellschaftsordnung, alle sozialpolitischen Vorschläge und Programme nnd alle stantssozialistischen Experimente, alle erstreben sie: nicht Heilung der Krankheit, sondern Fürsorge für