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Deutschland.
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keine wieder so herauskam, wie ich es geschrieben hatte, wunderte ich mich nicht wenig über die Bevölkerung, die an mir nicht irre wurde. Der begreifliche Wunsch aber, den wackern freunden gefällig zu sein und wieder einmal die Wahrheit prophezeit zu haben, verführte mich zu einem verhängnisvollen Schritte.
Es war anfangs September, als ich, vorsichtshalber an verschiedenen Orten, für die nächste Prager Ziehung immer wieder drei verschiedene Nummern angab, bis ich endlich ziemlich sicher sein konnte, die eine oder die andere richtig getroffen zu haben. Ich hatte mich nicht getäuscht, und zwar ereignete es sich, daß die Bauern einer kleinen Ortschaft, der ich das Demo 58, 6, 37 empfohlen hatte, wirklich dieses Demo und damit beträchtliche Summen gewannen. Sechzehn andere Ortschaften, denen ich grundsätzlich andere Ziffern prophezeit hatte, waren leer ansgegangen. Als nun am Abende des Ziehnngs- tages die Nummern vor der Reichenberger Hauptkollektnr her- ansgesteckt wurden und meine Kunden ans den nächsten Dörfern sich vor der Thür ansammelten, als da die glücklichen Gewinner mich und mein Tischchen priesen und die Käufer der schlechten Nummern erfuhren, daß ich gegen fünfzig verschiedene Zahlen für diese eine Ziehung ausgeschrieben hatte, da gab es einen förmlichen Aufstand. Dem Hanptkollekteur und dem unschuldigen Bilek wurden die Fenster eingeworfen, und das Militär mußte eiuschreiteu. Tags darauf wurde meiu armer Eduard in dem kleinen Flecken, in welchem wir eben Geschäfte machen wollten, furchtbar verhauen, und ohne das Dazwischentreten eines Gendarmen wäre auch meine edle Weiblichkeit in der brutalsten Weise mißachtet worden. Der Gendarm rettete uns vielleicht das Leben; aber er führte uns nach der Stadt, wo uns ganz gemütlich geraten wurde, unverzüglich Stadt und Land zu verlassen, wenn wir uns nicht strengeren Maßregeln aussetzen wollten. Wir schwankten keinen Augenblick und rüsteten uns zur Abreise. Aber während wir unseren großen Koffer packten, gestand mir Eduard auf einmal, daß er unsere alten Ersparnisse und unsere hiesigen Einnahmen bis auf den letzten Kreuzer — im kleinen Lotto verspielt habe. Er hatte in Gedanken, es könnte vielleicht doch möglich sein, jedesmal auf meine Nummern gesetzt und das letzte Mal den ganzen Rest der Barschaft verbraucht, um wenigstens dreißig von den achtundvierzig Nummern zu besetzen. Es folgte zwischen uns ein Auftritt, au welchen auch ich wegen der ungebildeten Wahl meiner Worte nur mit Scham zurückdenkeu kann. Aber es half nichts, wenn ich ihn auch noch so laut einen Dummkopf nannte; wir mußten Hilfe schaffen.
Da wir uns nicht ans dem Hause trauten, in welchem wir wohnten, schickte ich den Hausknecht zu Bilek mit der Bitte, uns außer den wenigen Gulden, die gerade noch nicht verrechnet waren, eine bescheidene Summe als Darlehn zu übersenden. Er aber ließ zurücksagen: Was noch nicht verrechnet sei, behalte er als Ersatz für die zerbrochenen Fensterscheiben zurück, auch wolle er, wenn wir auf der Stelle verdufteten, unsere letzte Wirtsrechuung begleichen; er gäbe uns aber keinen Heller bares Geld. Er habe verrückterweise zu seinem eigenen Tischchen Vertrauen gefaßt und ein Heidengeld an unfern Nummern verloren.
Später habe ich ans dieser Erfahrung die Lehre gezogen, daß die klügsten Männer genau ebenso dumm sind wie die dümmsten. Aber an jenem Tage war ich zu unglücklich, um philosophischen Gedanken nachznhüngen. Arm und hungrig verließen wir in der Dämmerung Stadt und Land und zwar — ich darf es nicht verschweigen -- in der Begleitung eines uniformierten Staatsbeamten. <Fortscvimg
Larl Srenzel als Dichter.
M. M-
or mir liegen zwei, einander seltsam widersprechende Bnchhündleranzeigen. In der einen kündigt eine der größten deutschen Handlungen ganz harmlos an, daß bei ihr Romane, Novellen und Studien von Carl Frenzel, im ganzen 42 Bünde, anstatt für den Ladenpreis von 163 Mark für nur 20 Mark zu haben seien; der ganze Band käme also dem Liebhaber noch nicht auf 50 Pfennig zu stehen. Gleichzeitig kündigt eine bekannte Verlagsbuchhandlung die Ausgabe der „Gesammelten Werke vou Earl Frenzel" in halbmonatlichen Lieferungen ü 1 Mark an; es handelt sich da und dort so ziemlich um dieselben Bücher.
Ich schütze Carl Frenzel, wofern er sich von der Beurteilung lebendiger Strömungen fern hält, als einen geschmackvollen und gescheiten Fcnilletonisten; als Dichter habe ich ihn niemals ernsthaft nehmen können. Als ich aber nun lesen mußte, daß zwei Buchhändler so verschieden über seine Beliebtheit urteilen, entschloß ich mich, seine neueste Novelle zu lesen, um meine eigene Meinung zu berichtigen. Leider ist mir das nicht gelungen.
Die meiste Ähnlichkeit zeigt Earl Frenzel mit einigen Erscheinungen, welche vor hundert Jahren von der mittleren deutschen Leserwelt sehr geschützt wurden. Damals war der Typus der schriftstellerndeu Damen ein anderer als heute, vielleicht nur deshalb, weil die herrschende Mode so ganz anders aussah. Genug, es lebten und schrieben damals die Schwägerin von Schiller und die Mutter von Schopenhauer, Damen also, welche sich bedeutenden Geistern verwandt fühlen durften. Es waren im Geschmacke jener Zeit schöne Seelen, welche ihre Fabeleien sehr gebildet in einer Sprache vortrugen, die den neuesten Schöpfungen Goethes nachgebildet war. Sie hatten Erfolge und verdienten wirklich einige Beachtung; gerade ihr Mangel an eigenem Geist und an eigener Beobachtung popularisierten das damalige Ideal Goethes, welches mit seiner Fülle der geistvollsten Beobachtungen den Zeitgenossen nicht recht verdaulich war. Inzwischen hat die Welt sich verändert und mit ihr das Ideal und die Mode; und wie die Nachahmer vor hundert Jahren dachten und schrieben, das wüßten heutzutage nur noch die Litterarhistoriker, wenn nicht als ein ziemlich lebendiger Anachronismus Carl Frenzel Novellen schriebe, wohl der letzte Typus der schriftstellerndeu Damen vom Ende des vorigen Jahrhunderts.
Auch seine letzte Dichtung, welche er mit dem Pathos älterer Jungfrauen „Wahrheit"* betitelt, zeigt uns den geschwätzigen, feinen Kopf von keiner neuen Seite. Wieder berührt er einige Schlagworte des Tages ganz vernehmlich, als ob sie es ihm angethan Hütten, aber in Wahrheit hat er nur die Worte gehört, ihre Bedeutung begriffen, aber ihr Sinn ist ihm nicht lebendig geworden. So wie er modern genug ist, um nicht mehr die Orthographie des vorigen Jahrhunderts anznwenden, so hat er sich auch dazu verstanden, Strömungen der letzten Jahrzehnte hier und da beim Namen zu nennen; aber modern wird er dadurch ebensowenig, wie ein Bild von Grenze es etwa durch moderne Bekleidung der geschminkten Menschen würde. So weiß er zum Beispiel, daß Wissenschaft und Kunst der Gegenwart sich viel — zu viel vielleicht — mit der Frage der Vererbung beschäftigen; eilfertig bemüht sich Frenzel, seine theoretischen Überzeugungen auf diesem Gebiet in die Novelle hinein zu korrigieren und scheitert klüglich. Was Zola und Ibsen anftreben, wenn sie auf Grund darwiuistischer Lehreil ans der Vererbung ein neues Schicksal für die Menschheit herausspinnen wollen, was an diesen Bestrebungen künstlerisch und wissenschaftlich, groß und bleibend, was daran unwahr und vergänglich sei, das versteht er nicht und glaubt
* Berlin, Verlag der Gebrüder Paetel