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Deutschland.
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Darm faßte er mich plötzlich an der Hand, führte mich in die Schreibstube zurück und sagte zu den Herren, die uns unaufgefordert folgten: „Für die Herren kann ich in Reichenberg nichts thun, aber das ist eine geschickte Person, mit der werde ich ein Geschäft machen."
Der Doktor ging beleidigt fort, Eduard aber erklärte sich als mein Mann, mit mir solidarisch, und überzeugte Bilek davon, daß ohne den Mutterverein und die Mutterzeitschrift kein großer spiritistischer Coup gemacht werden könne. Bilek fügte sich darein und teilte uns mit wenigen Worten seinen Plan mit.
Es gab in Deutschland und Österreich mehrere Gegenden, wo geschickte Agenten fast in jedem wohlhabenden Hause, ja selbst bei jedem reicheren Bauer ein spiritistisches Tischchen abgesetzt hatten. Gerade die Umgegend von Reichenberg war aber bisher unzugänglich geblieben, weil man den Fabrikanten dort kannte, und weil niemals das Tischchen in Thätigkeit gesehen worden war. Meine Leistung sei aber so verblüffend, daß er sicher sei, binnen vier Wochen seine dreihundert Tischchen ab- znsetzen. Er bot mir als Gehalt zwei Gulden per Stück, wollte mich bei einflußreichen Personen, die ohnehin schon gläubig waren, selbst einführen und stellte nur eine Bedingung: Wir sollten die ärztliche Praxis sofort aufgeben. Er wolle nichts mit der Polizei zu thun haben. Schreibtischchen verkaufen sei ein ehrliches Geschäft. Er habe noch niemals behauptet, daß in seinen Tischchen eine besondere Kraft stecke. Wenn mit seinen Waren nachher Schwindel getrieben werde, so gehe ihn das nichts an. Er habe auch die Leute nicht totgeschlagen, welche man in seinen Särgen begrabe.
Als ich mit Bilek später näher bekannt, ja sogar — o mein Schicksal! — auf herzlichen Fuß gekommen war, trat er noch mit einer andern Idee hervor. Ich werde darauf zurückkommen müssen. Hier nur soviel, daß er neben seinem offenen Sargmagazin und der verschämten Tischchenfabrik noch eine geheime Werkstatt besaß, in welcher spiritistische Kammern mit voller Ausrüstung für Geistererscheinungen gebaut wurden. Er wollte mich anlernen und mir eine der Kammern unter günstigen Bedingungen auf Abzahlung überlassen.
An diesem ersten Tage war aber davon noch nicht die Rede. Wir konnten uns auch nicht sofort entschließen, den Doktor treulos zu verlassen und auf die einträgliche Praxis zu verzichten, und gingen von Bilek hinweg, ohne uns fest verpflichtet zu haben. Auch verlangte Eduard einen beträchtlichen Vorschuß und eine Garantie, wozu Bilek sich nicht sogleich verstehen wollte.
Zwei Tage warteten wir vergebens auf die Gewährung des Vorschusses; am dritten waren wir bereits entschlossen, die unwürdige Stadt zu verlassen, als ein lauge erwartetes aber darum nicht minder furchtbares Ereignis alle unsere Pläne über den Haufen warf. Der Doktor wurde ohne jede vorhergegangene Warnung ganz rücksichtslos verhaftet, glücklicherweise nicht wegen der Geschichte in O . . ., sondern wegen einer alten, beinahe schon verjährten Dummheit, welche mich nichts anging und über deren Einzelheiten ich mit echt weiblichem Zartgefühl hinwegschlüpfen will. Eduard bewies aufs neue seine bedeutenden Anlagen, indem er bereits eine Viertelstunde nach der Verhaftung, bevor das Gerücht noch zu Bilek gelaugt war, mit dem Fabrikanten einen recht günstigen Vertrag mit Vorschuß und Garantie abschloß.
Wir waren nun Handlungsreisende in spiritistischen Tischchen. Es brachte nicht ganz soviel ein, wie Bilek erwartet hatte, aber immerhin konnten wir unser Leben schlecht und recht damit fristen, und die mannigfache Abwechselung sagte meinem romantischen Temperament vortrefflich zu. Wir erlebten kein einziges großes Abenteuer, aber fast jeder Tag brachte irgeud ein Vorkommnis, welches entweder Stoff znm Lachen gab, oder doch durch kleine Aufregungen die Langeweile fern hielt. Ein Pfarrer aus der Umgegend der Stadt verpflichtete sich, ein Tischchen zu kaufeu, wenn es einen Brief Luthers, aus der Hölle datiert, zu schreiben vermöchte. Ein Bauer nahm uns gleich zwei Stück ab, weil das Tischchen für den Herbst hohe
Getreidepreise voraus prophezeit hatte. Der Besitzer einer Spinnfabrik, der sich übrigens über den Spiritismus weidlich lustig machte, stellte das Zauberding neben der Wollwage auf und erklärte den Arbeitern, daß es setbstthätig jeden Dieb notiere. In einem reichen Dorf am Gebirge wurden wir vom Gendarm angehalten und gewaltsam nach Neichenberg zurückgebracht, weil der Ortsgeistliche unfern Handel für altkatholische Propaganda erklärte. Ein Landarzt brachte zwei Tage nach dem Ankauf das Tischchen in die Stadt zurück und erpreßte dem Bilek die Kaufsumme wieder zurück, weil das Holz unter seinen plumpeil Häuden nicht schreiben wollte.
Dieser Fall aber wiederholte sich nicht. Unsere Kunden waren damit zufrieden, daß sie das berühmte Medium aus Berlin schreiben gesehen hatten, glaubten der Versicherung, daß sich schon einmal an einem Mitgliede der Familie spiritistisches Fluidum zeigen und der Apparat dann wie geschmiert schreiben würde. Sie machten dann viele Wochen lang Versuche, indem sie bald einzeln, bald Ketten bildend das Tischchen bearbeiteten, lind ermüdeten in ihrer Geduld nicht, solange wir uns in dieser Landschaft aufhielten.
Unbequem war es nur, daß die guten Leute von meinem Tischchen wohl Schreibversuche verlangten, aber, mit dem spiritistischen Geistesfluge unbekannt oder durch mangelnde Bildung verhindert, nur selten Nachrichten von großen Toten verlangten. Für die meisten Bauern und Herrschaften sollte ich verstorbene Anverwandte eitieren, was immer eine lästige Aufgabe ist. Ich will lieber zwanzig Briefe von Alexander dem Großen verfassen, als einen einzigen Gruß von der alten verstorbenen Müllerin an ihren Sohn. Namentlich die Helden sind viel leichter als die einfachen Leute.
Die Schwierigkeit selbst führte aber bald zu einem glücklichen Ausweg. Eine brummige alte Bäuerin, der wir ein Tischchen ausschwatzen wollten, rief heftig, sie wollte das teure Geld daran wenden, wenn die Hexerei im stände wäre, ihr die Nummern der nächsten Lottoziehung voraus zu verrateu. Da ich kein Verlangen abzulehneu gewohnt war und die Neuheit der Sache mich reizte, so zögerte ich nicht, ihr im Namen von Aristoteles zu Diensten zu sein. Den aber kannte sie nicht, und trotzdem ich ihr versicherte, er sei der größte Rechenkünstler der ganzen Welt gewesen, war er ihr doch nicht zuverlässig genug. Sie verlangte zuerst einen Heiligen als Bürgen, und wir einigten uns schließlich auf deu verstorbenen Gemeindehirten, der schon bei Lebzeiten mehr wußte, als er laut werden ließ. Ich setzte also dessen Namen Waezlnwik unter die drei Ziffern, welche schon Aristoteles angeraten hatte. Dann ging ich meiner Wege.
Vierzehn Tage später begann ein wahrer Wetttauf um meine Hilfe. Es war zwar nur eine von den drei Nummern herausgekommen, und diese nicht in der Prager, sondern in der Brünner Ziehung, aber das machte nichts. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich im ganzen Bezirke das Gerücht, mein Tischchen wisse die Nummern des kleinen Lotto voraus.
Da begann eine angestrengte Thätigkeit, welche für meinen Geschmack sehr lustig war, wenn auch Eduard über die geringen Einnahmen die Nase rümpfte. Die Agentur ging nur wenig lebhafter, aber in allen Orten, welche ich aufsuchte, drängten sich die kleinen Leute, welche den Kaufpreis des Tischchens nicht erschwingen konnten, an mich heran, um von mir die Nummern der nächsten Ziehung zu erfahren. Ich that jedermann seinen Willen und nahm für eine einzelne Nnmmer zehn Kreuzer, für zwei Nummern (ein Ambo) zwanzig Kreuzer, für drei Nummern (ein Teruo) fünfzig Kreuzer Honorar. Ich habe durch diese Thätigkeit dem österreichischen Staate binnen wenigen Wochen die Ersparnisse der ganzen Gegend zugeführt. Es wurde überhaupt nur noch gespielt, nnd ich habe eine gewisse Behörde stark in Verdacht, daß sie unserer neuen spiritistischen Kunst darum mit wohlwollenden Augen zusah.
Mir machte dieser Erwerb, wie gesagt, viel Spaß. Ich war selbst neugierig auf deu Erfolg meiner Prophezeiungen, und als nach jener ersten vereinzelten Nummer viele Wochen lang