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Deutschland.
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lung für diese litterarische Taglöhnerarbeit; so konnte sie denn vom Schreibtisch zum Kochherd und wieder von der Braten- schüssel zu ihren Manuskripten eilen. Sehnsüchtig weilten dann ihre Gedanken bei ihm, und freudig erzitterte sie, wenn sie seinen Schritt, seine Stimme hörte. Sie fühlte, daß ihr sein Herz allmählich verloren gehe. In tausend kleinen Zügen offenbarte sich ihr das; es erfüllte sie mit einem tiefen Weh, das ihr Dasein langsam untergrub. Sie magerte zu einem Schatten ab. Die Anzeichen einer starken Nervenab spannnng stellten sich ein: Herzklopfen, Kongestionen, plötzliche Atemnot! Der Arzt verordnte fleißiges Spazierengehen, aber sie mußte rastlos arbeiten. Sie peinigte sich mit Selbstvorwürfen, daß sie ihn seinem Dichterbernf entrissen habe. Das entfremdete ihr sein Herz, glaubte sie. Wenn er wieder leicht und freudig schaffen könne, würde er sie auch wieder lieben.
Ihre ganze Hoffnung setzte sie deshalb auf die Scheidung, die ihre eheliche Verbindung und damit die Rückkehr nach Berlin zur Folge haben würde. Allmählich würden sie sich hier wieder eine Position erringen können. Sobald sie seine Gattin war, war ja jede frühere Schuld in den Augen der Welt gesühnt und getilgt. Und so kochte, schrieb und weinte sie sich denn durch ihr ödes Dasein, das weder durch Umgang und Abwechselung, kaum durch spärliche Liebkosungen Stillfrieds verschönt wurde-- immer mit dem Ausblick auf eine hellere Zukunft.
Das Weihnachtsfest war traurig für sie verlaufen. De- larive hatte Stillfrieds Einladung abgelehnt: er Hütte bereits bei einem höheren Beamten zugesagt, der zu seinem Chefredakteur in engen Beziehungen stehe. Dem lustigen Gesellen schauderte vor der trübseligen Weihnachtsfeier in dem engen Stübchen mit der ewig verweinten Asta. Auch dein Dichter graute heimlich davor. Er hatte einige Geschenke für ihre Ausstattung gekauft, die einer Aufbesserung dringend bedurfte. Hatte ersieh doch eines Tages ihrer geschämt, als sie ihm in ihrem ärmlichen, schwarzgranen Kleide mit dem dünnen Jäckchen, das sie sich selbst znrechtgeschneidert, in Gesellschaft seiner eleganten Freunde begegnet war. Er blickte plaudernd zur Seite, und sie war, einem ähnlichen Gefühle folgend, still und unerkannt an ihm vorübergeschritten.
Sie hatte ihm einige Kleinigkeitei: gestickt, die ihn heimlich sehr überflüssig dünkten, für die er ihr aber mit einem Schwall von Worten dankte. Auch ein kleines Bäumchen hatte sie mit Lichtern und Konfekt ansgeputzt. Und nun saßen sie stumm vor der brennenden Tanne, und jedes dachte der vergangenen, besseren Zeiten. Dann hatte sie das Essen auf- getragen, das ebenso still verzehrt wurde. Wovon sollten sie auch sprechen, da kein gemeinsames Ziel, keine gemeinsamen Interessen sie mehr verbanden? Der Dichter vertiefte sich in einen englischen Roman. Seitdem er nicht mehr arbeitete, las er viel, angeblich „um seinen Geist zu befruchten." Aber er verschmähte jede wissenschaftliche Lektüre und griff zur seichtesten Unterhaltnngslitteratnr. Wenn er sich nicht auswärts mit seinen Freunden nmhertrieb oder einige Briefe schrieb, lag er faulenzend ans der Chaiselongue seines Arbeitszimmers.
Asta zog sich darauf still in das Schlafzimmer zurück, nachdem sie ihm den verlangten Glühwein gebracht. Und hierin der Einsamkeit weinte sie heiße, bittere Thränen der tiefsten Verzweiflung, die sie in ihrem Kissen erstickte, um den lesenden Stillfried nicht zu stören oder gar eine Scene herbeiznführen.
Hatte er sie doch eines Tages, als er sie in Thränen fand, barsch angefahren: „Warum weinst Du? Gebe ich Dir vielleicht Grund dazu? Kann ich dafür, daß ich jetzt nicht arbeiten kann?! Mißgönnst Du mir den Umgang mit meinen Freunden? Da wir Familienverkehr nicht haben können — warum, weißt Du selbst am besten! -- bin ich auf die Junggesellen angewiesen, lauter ganz harmlose, anständige Leute! Wir thun nichts Böses! Ich brauche Zerstreuung! Übrigens sammle ich neue Eindrücke!"
Asta hatte keine Ahnung davon, daß auch „Damen" zu jenen: „harmlosen" Freundeskreis gehörten. Ebensowenig wußte sie etwas von der kleinen, blonden Emmy. Doch ging ihr plötzlich eine Ahnung davon ans. Zur Faschingszeit finden fast jede Woche jene großen Maskenbälle in: Kurhaus statt, die eine Specialitüt Wiesbadens bilden. Ein echt rheinischer, karnevalistisch-übermütiger Geist herrscht auf ihnen. Trotzdem sie öffentlich sind, verkehrt hier die wirklich gute Gesellschaft, noch im echten, alten Maskenstile intriguierend und kokettierend; denn niemand ist zur Demaskierung gezwungen. Aber neben diesen sind natürlich auch die weniger guten Elemente vertreten, da eine Kontrolle unmöglich ist. Hier streift wirklich noch, was anderswo längst zur Mythe geworden, die Gräfin ihre Näherin; der Lieutenant weiß nicht, ob er von einer Dame seiner Gesellschaft oder von einer kleinen Hand- schuhverküuferin geneckt wird. Bald nach Mitternacht ziehen sich die besseren Kreise zurück und überlassen den anderen das Feld. Stillsrieds Freunde blieben mit ihren „Damen" bis Tagesanbruch; und niemals kehrte der Dichter von einem solche:: Ball vor den: grauenden Morgen heim. Asta hatte ihn gebeten, sie doch auch einmal mitznnehmen. Endlich willfahrte erden: Wunsche. In einen schwarzen Domino gehüllt, betrat sie den glänzenden Saal, in dem eine bunte Menge lärmend, plaudernd und lachend auf und ab wogte. Der maskenlose Stillfried wurde bald von einigen Freunden entführt und überließ sie dem Schutze Delarives. Sie tanzte einigemal mit diesen:, später auch mit Stillsried, der sie dann nach Mitternacht in einen Wagen setzte und nach Hans schickte, da um diese Stunde, wie er ihr versicherte, sich die anständigen Frauen nach und nach zurückzögen. Er müsse noch hier bleiben, da er von Delarive und einigen Bekannten zu einen: kleinen Souper eingelnden sei. Sie blickte ihn flehend an und bat ihn, sie doch nicht allein heimkehren zu lassen. Lachend antwortete er ihr, daß sie hoffentlich nicht eifersüchtig sei; er würde sich schon zu hüten wissen. Sie solle ruhig nach Haus fahren. Und nach einen: flüchtigen, kalten Kuß schlug er die Wagenthür klirrend zu. Sie kan: in Thränen aufgelöst zurück. Schon begann sie sich anszukleiden, als die Eifersucht auf ein unbekanntes Wesen, von dessen Existenz sie aber felsenfest überzeugt war, sie fast wahnsinnig machte. Und kurz entschlossen legte sie einen dunklen Anzug Stillfrieds an, der ihr zur Not paßte, bedeckte das Haupt mit einen: roten, türkischen Fes, unter dem sie den Haarknoten geschickt verbarg, und so eilte sie stracks ins Kurhaus zurück. Dort lieh sie sich einen Münnerdomino, und dann betrat sie mit ängstlich pochenden: Herzen auss neue den großen Saal. Vergeblich suchte sie ihn hier. Sie durcheilte die Nebensüle des Restaurants. Endlich fand sie ihn inmitten eines Kreises lustiger Champagnerzecher. An einen: großen Tisch, von dem lautes Gelächter und übermütiges Gekreisch hertönte, saßen jüngere und ältere Herren in