Heft 
(1889) 29
Seite
483
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^ 20. Deutschland. Seite 483.

bunter Reihe zwischen einigen elegant kostümierten Weibern, die sich bereits alle demaskiert hatten.

Asta erkannte die stadtbekannte Solotänzen:: der Hof­bühne, auch einen als Lebemann und Don Juan berüchtigten alteren Arzt. Neben Stillfried saß eine kleine Blondine, der er eben behutsam einige Veilchen an die ausgeschnittene Taille steckte. Sie lachte halbbetrunken zu seinen ungeschickten Bemühungen; dann stieß sie mit ihm an und sah ihm tief in die Augep. Da konnte sich Asta nicht länger beherr­schen. Sie trat an den Tisch und tippte Stillfried leise auf die Schulter. Der männliche Domino - - fast alle Herren waren nur im Ballanzng erschienen - - wurde mit Hallo be­grüßt. Stillfried fragte ruhig, wer er wäre, und was er von ihm wolle. Aber schon hatte das scharfe Auge eines der jün­geren Leute ein Weib unter der Verhüllung entdeckt, worüber nun ein maßloser Jubel ausbrach. Man wollte sie zum Sitzen nötigen, wollte ihr Geheimnis und ihr Gesicht entschleiern und ihr die Maske gewaltsam entreißen; aber Asta trat empört zurück. Da erriet Stillfried, daß sie es sei, und entfernte sich rasch mit ihr. Und während sie, scheinbar harmlos plaudernd, an seinem Arm im großen Ballsanl promenierte, machte sie ihm leise Vorwürfe, die er ebenso erwiderte. Es wären Be­kannte und Freundinnen seiner Freunde, die sich hier zufällig getrosten. Man Hütte ihn gewaltsam an den Tisch genötigt. Es sei doch Fasching, und er thüte nichts Böses, wenn er sich ganz in der Öffentlichkeit mit einigen jungen Damen unter­hielte, Sie verfolge ihn mit ihrer grundlosen Eifersucht. Er brauche keinen Vormund. Selbst als er verheiratet war, habe ihm seine Fran von Zeit zu Zeit gestattet, sich mit guten Freunden auswärts zu amüsieren, znbummeln," wie sie es selbst nannte. Eine kluge Frau müsse das als ein Sicher­heitsventil betrachten. Um so lieber kehre dann nach solch kleiner Extravaganz der Ehemann an den heimischen Herd zurück.

Asta hörte nur die taktlosen Worte:Selbst als ich ver­heiratet war" ... So betrachtete er sich jetzt nicht als ge­bunden? Auch seinen Entschuldigungen glaubte sie nur halb. An diesem Abend kehrte er zwar nicht mehr an seinen Tisch zurück: aber ein unbestimmter Verdacht, die Eifersucht ans jenes blonde Weib neben ihm, das sie von jetzt ab unausgesetzt suchte, war in ihr rege geblieben. Ihm wurde der Argwohn, mit dem sie nun seine Ausgänge kontrollierte, höchst lästig, noch lästiger aber die Liebe, mit der sie sich verzweifelt an ihn hing. Längst war sie ihm gleichgültig geworden. Nur ein letzter Rest von Scham hinderte ihn, sie zu verlassen. Jetzt wurde sie ihm durch ihre aufdringliche Zärtlichkeit, durch ihr Ansforschen und Spionieren, durch all die Regungen eifer­süchtiger Neigung fast verhaßt.

Bald darauf traf sie ein Schlag, der sie an den Rand der Verzweiflung brachte. Der Wiesbadener Rechtsanwalt, dem sie ihre Vertretung in der Scheidungsklage übergeben hatte, schrieb ihr, sie möge sich in dieser Angelegenheit auf sein Bureau bemühen. Nachdem das Geschäftliche erledigt war, unterhielt sie sich noch einige Zeit mit dem freundlichen Mann, der sie mit höchstem Respekt behandelte, und erwähnte dabei auch ganz absichtslos ihrer Wiederverheiratung. Der Jurist horchte hoch auf und brachte durch einige unverfängliche Fragen heraus, daß sie sich gleich nach ihrer Scheidung mit

Stillfried vermählen wolle. Der Anwalt Hielt es für seine Pflicht, ihr in schonendster Weise die schmerzliche Mitteilung zu machen, daß das Gesetz diese Ehe nicht gestattet. Sie stellte einige matte Fragen, die er sanft beantwortete, und da­bei sah sie ihn mit einem so verzweifelten und tieftraurigen Blick an, daß der menschenfreundliche Mann das innigste Mit­leid mit ihr empfand.

Hatte Stillfried darum gewußt? Sie legte ihm gleich nach ihrer Rückkehr die Frage vor. Er schwor mit tausend Eiden, daß er es erst durch Delarive erfahren, und daß er ihr den Kummer darüber habe ersparen wollen. Was nun werden solle? Er zuckte verlegen mit den Achseln. Als er ihre tiefe Niedergeschlagenheit und Verzweiflung bemerkte, küßte er ihr in einer Regung früherer Zärtlichkeit die Thrünen fort und erging sich in Beteuerungen, daß sie eben so weiterleben müßten. Vielleicht könnten sie später eine andere Nationalität erlangen, etwa in der Schweiz oder in Holland, und damit die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung. Er betrachte sie vor Gott und Menschen als sein rechtmäßiges Weib, und die Welt würde sich wie in ähnlichen Füllen schon daran ge­wöhnen.

Im Februar reiste Delarive nach Berlin zurück. Aber

die Hoffnungen, die sie darauf gesetzt, waren wieder einmal

trügerische. Es blieb alles beim alten. Stillfried brachte seine Tage und teilweis auch seine Nächte wie ehedem auswärts, in dem gewohnten Kreise zu. Die Sorge für den täglichen Unterhalt überließ er ihr; und sie übersetzte unverdrossen weiter und verrichtete Magddienste in stillen: Dulden und Harren auf bessere Zeiten. In ihrer äußeren Erscheinung war sie in diesen wenigen Monaten um Jahre gealtert. Ein paarmal nur, als ihre Kasse gänzlich geleert war, hatte er ihr Geld gegeben. Sie sträubte sich jetzt nicht mehr, es anzunehmen; nicht einmal zu fragen, woher es stamme, getränte sie sich. Sie zitterte jetzt vor ihn:. Bei den geringste:: Kleinigkeiten brach er in

maßlosen Zorn ans und überhäufte sie mit ungerechten Vor­

würfen. Sie schalt sich selbst feige und elend, daß sie es dulde, aber ihr Mut war gänzlich gebrochen, Und sie Liebte ihn noch immer. Einmal aber forderte er Geld von ihr. Statt jeder weiteren Antwort zeigte sie ihn: ihre geringe Barschaft und das Buch, in dem sie die kleinen Schulden und Ausgaben der Wirtschaft verzeichnte. Wortlos zuckte er mit den Achseln und verließ das Zimmer.

Die lustigen Gesellen mochten seine anregende, heitere Ge­sellschaft nicht mehr missen und hatten sich stillschweigend ge­einigt, was er mit ihnen durchbrachte, gemeinschaftlich zu be­zahlen. Als Stillfried es bemerkte, hatte er sich von ihnen zurückziehen wollen, aber er besaß nicht mehr die moralische Kraft des Widerstandes. Der junge Millionär ans der Cham­pagnerfabrik setzte ihn: unter vier Augen auseinander, daß sie ihm seine Schulden bis auf den letzten Pfennig ankreideten; er solle sie später tilgen, wenn er wieder bei Kasse sei. Es wurde auch zuweilen gespielt, und Fortuna lächelte manchmal den: Dichter. Dann bezahlte er hie und da. Wenn er verlor, gab er den Freunden Bons, die ihn: niemand zur Einlösung präsentierte. (Schluß folgt.)