OM MjArM
iE
H^mst.MÜeoatuMssrllSch^
^^unö SPiallsReKen^ ^
Bf'AVM *^»M»
Erscheint Sonnabends
. und ist in der Post-Zcitiingsprcisliste unter Nr. 1738 cingetrngen.
Berlin, den 2^- Mai.
Abomiemciltspreis
bei der Post oder im Buchhandel vierteljährlich 3 Mark.
1890.
Anhalt: Judas. Bon Herniine Villinger. — Das Duell und seine Abschaffung. Von einem Preußischen Richter. — Kompasipflanzen. Von M. Theodor Jaensch. -- Hexenfang, Lustspiel in einem Akt von Hans Hopfen (Schluß). — Sinngedichte von Ludwig Fulda. — „Faust," ein Mnsikdrama von Heinrich Zöllner. Von Ernst Otto Nodnagel. --- Geheimnisse der Spiritisten. Von Hildegard Nilson. VI. — „Eine alltägliche Geschichte." (Theater.) Von F. M. — Kleine Kritik.
Iuüss.
Von
Kerrmine Wiltingen.
s geschah, daß eines Tages ein Weib, einen Besen als Wahrzeichen ihres Berufes nn Arm nnd an der Hand einen Bnben, bei dem alten Doktor Frei eintrat. Er hatte brummig „Herein!" gerufen nnd wandte nun den Kopf von seinem Tisch, ans dem eine Masse Tiegel und Töpfchen hernmstanden; es sah alles wie eingeäschert aus in denn kleinen, von einem mächtigen Ofen überhitzten Raum; das Männlein selber trug einen grauen Rock und ans dem Kopse eine schwarze Perücke, unter der ihm das eigene graue Haar dicht hervorgnoll.
„Was will Sie?" herrschte er das Weib an. „Kommt man nur so herein?"
„Es thnt mir leid, wenn ich verkehrt sollt' hereingekommen sein," lautete die Antwort; „aber es heißt, Sie seien ein Herr Doktor nnd Hütten einmal Angen kuriert; könnten Sie dem Bnben da helfen? — Er ist scheel —"
„Ich praktiziere schon lang' nicht mehr," sagte der Doktor. „Mache Sie sich fort."
„Nun," meinte das Weib, „wenn einer aber so ganz scheel ist, — ich bin's wenigstens nur ans einein Ang', — aber schauen Sie einmal den da an —" Und sie schob ihren Sprößling dem sich ärgerlich ans seinem Stuhl nmdrehenden Mann hurtig zwischen die Beine.
„Hm," machte der Doktor und schaute sich das kleine Exemplar menschlicher Verkommenheit verblüfft an: struppiges rotes Haar, dicht mit Sommersprossen übersüete Wangen und zwei schielende Augen — dies war der Anblick, der sich ihm bot; er bemerkte aber auch zugleich, daß hier mit leichter Mühe geholfen werden konnte, und über seine Miene ging unwillkürlich ein Zug von Interesse — jedoch nur für einen Augenblick,
! schon im nächsten schob er den Bnben von sich weg nnd befahl ! der Frau zu gehen.
^ „Also es ist nicht zu helfen?" fragte sie.
! „Hm, das schon," gab er mißmutig zu, „aber ich habe ! keine Zeit." Damit drehte er sich um und gab sich wieder i seiner Beschäftigung hin.
Eine Stunde mochte so verflossen sein, als dem eifrig Arbeitenden plötzlich war, als höre er noch einen anderen Atem in der Stube, als seinen eigenen. Er wandte sich um; da stand das Weib noch auf demselben Platz mit ihrem Buben.
„Znm Teufel," fuhr der Doktor auf, „was will Sie noch?"
! „Nun, ich Hab' gedacht, ich wart', vielleicht haben Sie nachher ein wenig Zeit."
„Ja, glaubt Sie denn, man macht so etwas im Handumdrehen, Sie obstinate Person? Jetzt geh Sie auf der Stelle und morgen kann Sie mir meinetwegen den Bnben schicken: aber sauber muß er sein, sonst rühre ich ihn nicht an, sauber daß er glänzt."
„Er soll glänzen," versprach die Frau uud zwängte sich mit ihrem Besen und Bnben durch die halboffene Thür, die sie aus Respekt nicht ganz zu öffnen wagte.
Im nächsten Augenblick wurde diese wieder aufgerissen und die Wirtschafterin des alten Herrn, den Marktkorb am Arme, stürzte über die Schwelle.
„Was, um des Himmels willen, will denn die Straßenkehrfrau bei Ihnen, Herr Doktor, — so schmutzige Leut'."
„Wer Hütte sie abweisen sollen; was bleiben Sie so lange aus," brummte er.
„Herr Doktor, es ist Markttag; Sie wissen, Herr Doktor, daß wir in bescheidenen Verhältnissen sind und ich es für meine Pflicht halte, mir die Seele aus dem Leibe zu handeln. Hat sich vielleicht die Straßenkehrfran, dieses Geschöpf, über mich beklagt?"
„Sie hat mich gebeten, ihren Bnben zu operieren," lautete die Antwort.
„Was, den ruppigen Kerl!" kreischte sie auf.