Issue 
(1889) 34
Page
562
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Seite 562.

Deutschland.

34.

Gerade weil er ruppig ist, helfe ich ihm; von so einem erwartet man auch nichts," sprach der Doktor.Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe; Sie wissen, ich kann das aufgeregte Gethue nicht um mich leiden."

Die Person schloß den Mund, nahm ihren Korb und be­gab sich in die Küche. Sie war eine treue Seele und hatte die guten Zeiten des Herrn Doktor mit erlebt, als noch wohl­habende Patienten bei ihm vorfuhren. Allein er war ein un­ruhiger Kopf, den es von Versuch zu Versuch trieb, und da er sich nie die Zeit nahm, eine Sache gründlich zu betreiben, geschah es, daß er mit jeder neuen Broschüre, die er über seine ärztlichen Experimente in die Welt sandte, in den Augen seiner Fnchgenossen tiefer sank, bis er schließlich ausgelacht wurde. Schnell entschlossen, ließ er seine Praxis im Stich nnd warf sich auf die Chemie; aber auch hier brachte ihn seine nimmer rastende Leidenschaft für Neuerungen und Entdeckungen fort­während um das Errungene und zog auch andere in sein Miß­geschick hinein. Seine Frennde fielen von ihm ab, diejenigen, auf deren Beistand er gerechnet, ließen ihn im Stich, zuletzt blieb niemand übrig, der von seinen ferneren Bestrebungen Notiz genommen Hütte, und er begegnete alleuhalben nur Külte, Hohn und Spott. So unter beständigen Aufregungen, .Hoffnungen und Enttäuschungen zum alten Mann geworden, glaubte er sich vollkommen berechtigt, als verbitterter Menschenfeind der Welt den Rücken wenden zu dürfen. Da geschah es eines Tages, daß er nicht weit von der Stadt im Ackerboden einen Stein entdeckte, der ihm fremd war. Er nahm ihn mit nach Hause, und die Versuche, die er mit seinem Fund anstellte, überraschten ihn derart, daß er sich sofort mit seinen Ent­deckungen an einige Fachleute wandte und sie um ihren Bei­stand anging. Er stieß jedoch auf den Widerstand sämtlicher mineralogischen und geologischen Kapazitäten und beschloß nach diesem vergeblichen Versuche für sich allein die Brauchbarkeit seines Steines zu prüfen. Dies war nicht leicht, denn er be­saß keine Mittel und mußte alles Erforderliche mühselig her­beischaffen und selbst bereiten. Allein er ließ es sich nicht ver­drießen, sondern saß Wochen, Monate und Jahre, kochte und mischte seine Pulver, und Sommer und Winter brannte das Feuer in seinem irdenen Ofen.

In dieser stillen, in sich abgeschlossenen Existenz tauchte eines schönen Morgens die frischgewaschene Physiognomie des roten Buben auf, und der Doktor holte nach einem mürrischen Blick auf dieselbe seine Instrumente herbei und machte sich ans Werk.

Inzwischen fegte die Mutter die Gasse; sie schielte uicht uur auf einem Auge, sondern war außerdem mit einer lahmen Hüfte behaftet. Diese Gebrechen schienen ihr jedoch nicht den geringsten Kummer zu verursachen, vielmehr war sie allen ge­sunden Menschen zum Trotz stets guter Dinge, und fragte sie einmal jemand, wie es ihr gehe, antwortete sie nie anders als mit einem herzhaft fröhlichen:Gut recht gut."

Der Bub kam ihr nach der Operation mit verbundenen Augen entgegen. Die Hand des alten Mannes war nicht mehr so sicher als in seinen jungen Jahren; dies merkte er wohl, und daß es sein Patient dadurch nicht am leichtesten hatte. Dieser muckste jedoch nicht; er hatte überhaupt noch nie ein Wort in des alten Herrn Gegenwart geäußert. Um so ver­wunderlicher war es für diesen, als der Bube plötzlich, nach­

dem er erfahren, daß er kuriert war, sich mit einer wahren Galgenphysiognomie vor seinen Wohlthüter pflanzte, mit der Zumutung:Jetzt machen Sie mir auch noch die roten Haare weg."

Hm, warum?" fragte der Doktor.

Weil ich Fritz heiß' und sie mich in der Schule alle Scheeler, Roter und Judas nennen."

Scheeler wird Dich in Zukunft niemand mehr nennen," meinte der alte Herr;aber die roten Haare, die sitzen fest, die kann ich Dir nicht wegnehmcn. Nun fragt es sich, was es mit dem Judas für eine Bewandtnis hat?"

Vielleicht, weil ich anzeig'," meinte der Bube.

Das ist's," sagte der Doktor,das wahre Jndasge- schüft; lasse es in Zukunft bleiben und mache jetzt, daß Du weiterkommst."

Fritz ging.

Ungefähr vierzehn Tage nach der stattgehabten Operation der Doktor hatte den Buben längst vergessen wurde er eines Morgens durch ein heftiges Gezeter und Geschrei seiner Chri­stine aus seinem Arbeitseifer gerissen. Da die Händel draußen kein Ende nehmen wollten, öffnete er die Thür und streckte den Kopf hinaus. Hier war eine große Schlacht; Christine fehlte nicht uur die Haube, sondern auch der Zopf; sie teilte fortwährend nach rechts und links Hiebe in die Luft aus, und um sie herum hüpfte ein kleines, rothaariges, teuflisch lachen­des Ungeheuer und bearbeitete sie in wohlgezielten Hieben mit ihrem eigenen Zopf.

Hm, hm," machte der alte Herr unter der Thür.Chri­stine!"

Sie schrie laut auf, bedeckte ihren kahlen Hinterkopf und flüchtete in die Küche. Der Bube trat, Christinens schwarzen Zopf nach sich schleifend, bei dem alten Herrn ein.

Sie," sagte er, über die Schulter deutend,hat mich uicht wollen 'rein lassen und Bettelbub geschimpft."

Was willst Du denn?" fragte ihn der Doktor.

Ich Hab' Ihnen nur sagen wollen, daß sie mich doch noch Judas nennen, und ich habe die ganze Zeit nicht angezeigt."

Der Doktor nahm an seinem Tische Platz.Wie alt bist Du?"

Zehne."

Und wie lange gehst Du in die Schule?"

Viere."

Wenn Du vier Jahre laug angezeigt hast, so mußt Du eben gerade so lange nicht mehr anzeigen, daun erst glaubt man Dir, daß Du kein Judas bist."

Auch wenn's der Herr Lehrer gesagt hat?"

Du wirst ihm wohl Veranlassung dazu gegeben haben?"

Vielleicht, weil's mich freut, wenn er vor Zorn grün wird."

Weißt Du, was das ist," fuhr der Doktor aus,das ist häßlich! Und jetzt mache Dich fort; ich habe keine Zeit, und gieb der Person den Zopf da zurück."

Nachdem der Bube die Stube verlassen, erschien Chri­stinens Kopf unter der Thür.Entschuldigen Sie, Herr Doktor, aber hat der grauenhafte Bengel nicht meinen Zopf dagelasseu?"

Der Doktor fuhr herum:Lassen Sie mich zufrieden."

Solche Kreaturen muß man hereinlassen," jammerte sie,