Seite 610. Deutschland. 37.
Albert. Ich fiel nicht aus der Rolle . . . sie warf mich.
Edmund. Eine angenehme Nachmittags-Beschäftigung! Aber die kann Dich doch nicht ganz ausfüllen?
Albert. Ich sammle Material zu einer Naturgeschichte des modernen Mädchens ...
Edmund. .Kurz, Du hast Deine Absicht wieder aufge- geben?
Albert. Ja.
Edmund. Und warum?
Albert. Urteile selbst. Ich werde Dir meine Erlebnisse erzählen. (Sie setzen sich.)
Edmund. Ich höre.
Albert. Nachdem ich jenen Entschluß gefaßt hatte, schritt ich sofort daran, meine gesellschaftlicheil Beziehungen zu den Familien, mit denen ich bekannt war, wieder enger zu knüpfen .. . Ich muß gestehen, ganz leicht wurde mir dieser Verkehr im Anfang nicht!
Edmund. Kann mir das lebhaft vorstellen! Habe noch eine ganz deutliche Erinnerung, daß da die Tante als gesellschaftliche Großmacht gilt, und die Witze eines Onkels die geistigen Bedürfnisse ganzer Generationen bestreiten! Nicht wahr? Es giebt doch noch immer Tanten?
Albert. Leider! Aber schließlich, man gewöhnt sich an alles. Ich lavierte nach einiger Zeit ganz geschickt um diese Untiefen, immer mein Ziel im Auge, und eines Tages ... es war bei einem jener Diners ... Du weißt ... wo die Unterhaltung sich zumeist ans die Erwähnung von Namen beschränkt...
Edmund. Ach ja! Onkel Fritz war da . . . Vetter Bruno war dort . . .
Albert. Ja . . . was oft rätselhafte Heiterkeitsstürme entfesselt . . . Also bei einem dieser Diners blickte ich zufällig einmal von meinem Teller auf — ich thue das nicht gern . . . und sehe zu meinem Erstaunen rechts von meiner Seezunge ein entzückendes Geschöpf!
Edmund. Brünett? . . . Blond?
Albert. Natürlich blond! Eine prächtige Haarkrone, ein blendend weißer Teint und Augen, so unschuldig, so fromm . . . Man sollte gar nicht glauben, wie viel Tugend zwischen den Wimpern eines Müdchenanges Platz hat . . .!
Edmund (ungeduldig;). Weiter . . .!
Albert. Man sieht, in der Tugend bist Du nicht Sachverständiger .. . sonst würde Dich diese Schilderung interessieren!
Edmund (resigniert). Wenn Du vielleicht eine Philosophie der Geschichte der Unschuld schreiben willst — ich kann warten!
Albert. Na, ich fahre fort. Das Mädchen machte ans mich den tiefsten Eindruck nud ich faßte sofort den Entschluß, im Leben dieses Engels Epoche zu machen!
Edmund. Du warst immer ein ehrgeiziger Mensch!
Albert. Es ist gar nicht so leicht, wie Du glaubst . . . Bis nnserciuer den Ton findet, in dem man mit so Rem jungen Mädchen sprechen muß . . . diese einfachen Gedanken, diese harmlosen Gefühle, für die allein so ein unverdorbenes Menschenherz Verständnis hat . . .
Edmund. Tugend mit Schlagsahne . . . Allerliebst . . .! Ich hätte Dich doch gern hören mögen . . .
Albert. Man kann alles, was man will. Es gelang . . . eine Weile ganz gut . . . bis . . .
Edmund. Bis? (Lachend.» Bis Du auf einmal ans der Nolle fielst . . .?
Edmund (erstaunt). Sie? Wer?
Albert. Nun, die junge Dame . . .
Edmund. Der Engel . . .? Haha!
Albert. Ja, der Engel. Ich war da zufällig ans einen der modernsten Müdchentypen gestoßen . . .
Edmund. Nämlich?
Albert. Auf das Mädchen, das ahnt!
Edmund. Das Mädchen, das ahnt? Was meinst Du damit?
Albert. Höre. Ich hatte nach reiflicher Überlegung dafür entschieden, die kleine Person von meiner Begeisterung für Schiller zu unterhalten . . .
Edmund. Komödiant!
Albert. Im Krieg und in der Liebe sind alle Listen erlaubt . . . Ich begann ihr daher von Schiller vorzuschwärmen . . . vorsichtig natürlich, soweit meine etwas schadhaft gewordene Belesenheit es überhaupt gestattete . . . Eine Zeitlang hörte sie mich geduldig an . . . Plötzlich, ich hatte mich schon in eine Stimmung hinciugeredet, die aus einer gewissen Entfernung wirklichem Enthusiasmus täuschend ähnlich sah . . . ich hielt, wenn ich nicht irre, bereits bei den Kaninchen . . . nein, den Kranichen des . . . des . . . Wie heißt denn nur ge schwind der junge Mann, in dessen Leben dieses Geflügel eine solche Rolle spielte . . .?
Edmund. Ah . . . Mr. Polykrates . . .
Albert. Nein . . . Signor Jbykus . . . Also, ich hielt bei den Kranichen des Jbykus ... als sich plötzlich ihr Gesichtsausdruck ganz merkwürdig veränderte. Sie senkte ein wenig die Augen, um die Lippen trat ein leicht spöttischer Zug hervor, dann warf sie mir einen eigentümlich vielsagenden Seitenblick zu und sagte: „Man weiß schon, warum die Herren gar so sehr für Schiller schwärmen!"
Edmund (verwundert». Warum die Herren für Schiller... schwärmen . . .? Ja, warum . . .?
Albert. Ich wunderte mich über diese Äußerung ebenso wie Du . . . Um Klarheit zu gewinnen, stellte ich ein paar vorsichtige Fragen. Aber es war nichts weiter herauszubrin gen. Ich ließ dieses Thema fallen und wandte mich einem anderen zu.
Edmund. Du hast Ressourcen! Ich wäre in Verlegenheit gekommen!
Albert. In solchen Fällen muß man sich immer erinnern, daß es Museen und Galerieen giebt. Irgend einen Zweck müssen die doch haben . . .
Edmund. Gewiß: die Verfasser von Reisehandbüchern zu ernähren!
Albert. Oder seine Tischnachbarin zu unterhalten! Ich brachte also die National-Galerie aufs Tapet. Ich kann sie Dir für solche Gelegenheiten wärmstens empfehlen. Sie hat so viel Nummern, daß Du, wenn Du sparsam umgehst, selbst einer Tischnachbarin in sechzehn Gängen ruhig entgegensehen kannst. Ganz entzückt darüber, daß mir der Einfall zur rechten Zeit gekommen war, entwarf ich in Gedanken sofort meinen Operationsplan: Fisch — Tizian, Rafael; Braten mit Salat oder Kompott — Rubens, Rembrandt; Dessert — Moderne Schulen. Das Bewußtsein, daß meine Zukunft gesichert war, gab mir Selbstvertrauen, gab mir Schwung. Ich sprach gut,