Heft 
(1889) 37
Seite
611
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Deutschland.

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farbig, eindrucksvoll. Mit heimlichem Triumphe beobachtete ich, wie dieses jungfräuliche Wesen unbewußt dem Einfluß meines Geistes erlag . . . Schau war jener süße Rapport zwischen unseren Stimmungen hergestellt, der die erwachende Neigung ankündigt. Ein ernster Zug in meinem Gesicht, und sie wurde nachdenklich, ein Lächeln meinerseits und die froheste Laune strahlte auf ihrem Antlitz. Ich war gerade im besten Zuge, mich selbst zu übertrefsen . . .

Edmund. Ah!

Albert. Thatsache! Ich demonstrierte ihr gerade in herzbeweglichen Worten, wie auch Rubens, diese größte Be­jahung des Lebens, welche die Geschichte kennt, dem Weltschmerz seinen Tribut gezollt habe . . .

Edmund. Rubens?

Albert. Ja! . . . Überall dort, wo er auf seinen Bil­dern Schwarz verwendet, da steckt unzweifelhaft sein Welt­schmerz drin . . .!

Edmund. Haha! Ausgezeichnet! Und das dummdreiste Gesicht, das er dazu macht! Stell Dich damit einem Pro- fessoren-Kollegiuin vor, und Du erhältst sofort die vauia legendi als Privat-Doeent der Ästhetik! Nun, und sie verstand das?

Albert. Das sollte sie gar nicht! Mit dem Augenblick, wo man von einer Frau ganz verstanden wird, hört man auf, ihr interessant zu sein . . . Wenn man sie dagegen ahnen läßt, daß es irgendwo in unserer Seele eine ihr unverständ­liche Ecke giebt . . . das fesselt sie . . .

Edmund. Eaanova! Sie blickte also mit Schaudern in diese unverstandene Ecke . . .

Albert. Nein!

Edmund. Nicht?

Albert. Nein. (Seufzend» Sie bemerkte sie gar nicht...! Ganz im Gegenteil. Statt jener hilflosen, ängstlich fragenden Miene, die mir in solchen Füllen immer meinen Sieg im Kampf unserer Gehirne verkündigt, ging zu meinein Erstaunen in ihrem Gesichtsausdruck wieder die Wandlung vor, von der ich Dir schon erzählte: Wieder senkte sie ein wenig die Augen, wieder trat ein leicht spöttischer Zug um ihre Mundwinkel hervor, wieder traf mich jener vielsagende Seitenblick und wieder sagte sie:Man weiß schon, warum die Herren so gern die Gale- rieen besuchen ..."

Edmund. Sonderbar . . . Oder . . . Halt . . .!

Albert. Nun?

Edmund. Dieses Mädchen hat Dich mit ihrer unschulds­vollen Miene düpiert . . .

Albert. Du meinst?

Edmund. Sicherlich! Sie hat eben bei einem Besuch der National-Galerie bemerkt, daß dort Damen in etwas luf­tigem Morgen-Neglige konterfeit sind und kombiniert nun . . .

Albert. Sie war gar nie dort! Aber in mir stieg der gleiche Verdacht ans. Und um der Sache auf den Grund zu kommen, sprang ich von Rubens zu dem neuesten Ballet über...

Edmund. Und da?

Albert. Das gleiche Mienenspiel, die gleichen Worte...!

Edmund. Und das nennst Du ein Mädchen, das ahnt! Du bist naiv! Dieses Mädchen hat den Baum der Erkenntnis gesehen . . .! Sie ist vielleicht mit seinen Früchten in nähere Berührung gekommen, als Du glaubst . . .

Albert. Aber Edmund!

Edmund. Jedenfalls ist es nicht mehr ein Mädchen, das ahnt, sondern eins, das weiß!

Albert. Nichts weiß sie!

Edmund. So? Du glaubst? Daun hättest Du sie direkt fragen sollen:Mein Fräulein, warum besuchen denn die Herren nach Ihrer Ansicht gar so gern das Ballet?" Sie wäre rot geworden bis über die Ohren.

Albert. Ich habe sie gefragt!

Edmund. Und?

Albert. Sie blieb unbefangen!

Edmund. Ah!

Albert. Ja, sie blieb unbefangen, und als ich sie den­noch mit sehr verhüllten Anspielungen, die sie aber hätte ver­stehen müssen, wenn sie eine Wissende gewesen wäre, sondierte, da starrte sie mich mit einem Gesicht voll so überzeugender Verständnislosigkeit an, daß ich meinen Verdacht anfgab. Nein, sie ist keine Wissende! Ebensowenig wie das halbe Dutzend anderer, die ich nach ihr kennen lernte lind mit denen ich ähn­liche Erfahrungen gemacht habe.

Edmund. Ein halbes Dutzend?

Albert. Ja, ich sagte Dir ja, die erste war bloß der Typus!

Edmund. Und sie alle gehörten nicht zu den Wissenden?

Albert. Nein. Aber unvorsichtige Äußerungen, die in ihrer Gegenwart fielen, Bücher, die in ihre Hände gerieten, haben in ihnen die dunkle Vorstellung erweckt, daß es draußen ... in der Welt, ... die ihnen so unbekannt ist und die sie so gerne kennen lernen möchten . . . etwas Gewaltiges, Rätsel­volles giebt, das die Männer in seinen Banden hält, das mall Leidenschaft, Sinnlichkeit, Sünde nennt. Da sie nicht wissen, wo es zu suchen, suchen sie es überall. Darum unterlegen sie jeder Äußerung eines Mannes einen verborgenen Sinn, wittern in allem, was er thnt, eine geheimnisvolle Beziehung zu jenem großen Unbekannten, das man ihnen zu verbergen bestrebt ist. Und weil sie dieses Bestreben merken, affektieren sie eine Kennt­nis, die sie nicht besitzen, indem sie mit weiblicher List darauf rechneu, daß der Wissenden gegenüber die Geheimthuerei ein Ende haben wird . . .

Edmund. Also bloß die Grimasse der Frivolität und Unschuld, sehr viel Unschuld im Herzen?

Albert. Ja!

Edmund. Und wie ist's mir den übrigen Eigenschaften, die Dein Ideal anfwies; Sanftmut, Intelligenz n. s. w.

Albert. Mehr oder minder habe ich sie bei allen diesen Mädchen gefunden . . .

Edmund. Du Glücklicher! Und trotzdem hast Du Deine Absicht, Dir unter den Töchtern des Landes ein Weib zu suchen, anfgegeben?

Albert. Ja.

Edmund. Aber das ist ja unlogisch. Da diese jungen Damen doch alle wirklich so nnschnldsvoll waren, wie Du es nur immer wünscheu mochtest ...

Albert. Ich konnte über die Grimasse der Frivolität nicht hinweg! Und ich glaube, den meisten ergeht es so, allen jenen wenigstens, die von der Sünde Herkommen. Ihnen ist die Ehe Neuland, in dem sie ihre alte Heimat vergessen möch­ten. Diese Grimasse der Frivolität erinnert sie aber daran, und darum kehren so viele um, ohne den Fuß ans Land zu setzen!