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Deutschland.
Edmund. Und da die meisten modernen jungen Männer von der Sünde Herkommen, wie Du es so salbungsvoll genannt hast, so erklärt am Ende das Überhandnehmen dieser ahnungsvollen Mädchen die Abnahme der Heiratslust bei den jungen Männern!
Albert. Das ist meine Überzeugung!
Edmund (nachdenklich). Weißt Du, was ich Dir raten möchte: veröffentliche Deine Erlebnisse!
Albert. Das will ich auch thun! Und ich will auch den Müttern Ratschläge erteilen, wie sie dieses verhängnisvolle Ahnnngsvermögen ihrer Töchter bekämpfen müssen.
Edmund. Und wie lauten Deine Ratschläge?
Albert. Achtet auf jedes Wort, das Ihr in Gegenwart junger Mädchen sprechet!
Edmund (iranisch). Gebt ihnen keine Zeitung in die Hand!
Albert. Ja! Ganz recht! Führt sie nicht ins Theater!
Edmund (wie oben). Behütet sie sorgfältig vor der Gesellschaft junger Frauen!
Albert. Sehr richtig!
Edmund. Sperrt sie überhaupt in einen eisernen Käfig ein, den ihr zuvor vorsichtig über und über mit einem dicken Tuch bedeckt habt.
Ulbert. Du spottest, und die Frage ist doch so ernst!
Edmund. Sehr ernst! Aber laß den Dingen ihren Lauf. Du vermagst ihn nicht zu ändern. Du willst diese Generation von Ahnfrüulein bekämpfen? Laß ab davon, mein Junge. Die Töchter werden Dich steinigen! Was hast Du dann davon, wenn Dir die Mütter aus den Steinen ein Denkmal errichten?
Aus sibirischen Gefängnissen.'
Bon
WHikipp Stein.
Afin melancholisches, aber nicht neues Bild" — so lautet eine eigenhändige Randbemerkung Alexanders 111-, die der Zar nicht etwa ans eine Petition unzufriedener Gefangener, sondern ans den offiziellen, für ihn vom Generalgouverneur An uschin erstatteten Bericht geschrieben hat, in dem die Lage der politischen Gefangenen als „unerträglich" bezeichnet wird. Mit diesem resignierten Bescheide des Zaren sind dann die von Anufchin gemachten Verbesserungsvorschläge abgethan und es bleibt alles beim alten, die entsetzlichen Zustände in den Gefängnissen und Zwangskolonieen Sibiriens bestehen fort. Zwar wird hin und wieder in Petersburg etwas zur Besserung dieser Dinge unternommen. Irgendwo in Sibirien ist der Neubau eines Gefängnisses nötig geworden, die Baupläne gehen zwischen Petersburg und dem weltentlegenen sibirischen Orte hin und her, wegen kleiner Differenzen und Formfehler wird die Entscheidung von Jahr zu Jahr hinausgeschoben, dann nach fünf, sechs Jahren ist die Sache in Peters-
^ Nach dem soeben erschienenen Buche „Sibirie n. Bon G e v r g e Kennan. Irene Folge." <Berlin, Krvnbach 18V0.) Dieser zweite Band der Kennanschen Schilderung Sibiriens ist rein litterarisch weniger zu loben als der erste; er ist weniger ein Buch, als eine Sammlung einzelner Aufsätze, aus denen man sich, um ein Gesamtbild zu gewinnen, die einzelnen Züge zusammensuchen muß. Die Schilderung' ist aber wieder von großer Anschaulichkeit und Lebendigkeit; wiederum erscheint bewundernswert der Mut und die Zähigkeit, mit der Kennan trotz der größten und widrigsten Hindernisse die Erforschung der Zustände Sibu riens dnrchgesetzt hat. Wie es ihm gelang, überhaupt zu den Gefängnissen Eintritt zu erhalten, haben nur bereits anläßlich des ersten Bandes von „Sibirien" in dieser Wochenschrift (Nummer 16) geschildert. -w.
bürg endlich erledigt, der Bau kann beginnen, das Geld wird angewiesen. Kommt dann wiederum nach Jahren ein hoher Beamter nach dem Orte, um das Gefängnis zu besichtigen, so kann es ihm passieren, daß er nur den leeren Bauplatz findet, trotzdem die Photographie des vollendeten Baues schon längst in Petersburg liegt. Man hat die Photographie eben früher hergestellt als den Bau und inzwischen sind die Baugelder innerhalb der Baukommission verschwunden. 1872 beschloß man in Petersburg, ein neues Gefängnis in Gorni Zerentui zu bauen. Bereits zwei Jahre später wurde ein Bankomitee ernannt, und als sieben Jahre später, also 1881 Galkin Wraskoi, der Präsident der Gefängnisverwaltnng, eintraf, um das neue Gefängnis zu sehen, fand er — zwei Blockhäuser, für deren Ban 74318 Rubel in Rechnung gestellt waren, während das Baukomitee für sich außerdem noch 61000 Rubel eingesteckt hatte. Und wie diese Summen, so verschwindet auch anderes plötzlich in Rußland. Da war in Ust Kara ein kaiserliches Mehlmagazin, in welchem 20000 Pud Mehl enthalten sein sollten. Das Gebäude brannte plötzlich nieder, die sämtlichen Mehlvorrüte aber blieben, wohl entgegen der Absicht der Brandstifter, unversehrt, leider aber waren es nicht 20000, sondern nur 20 Pnd Mehl, und auch diese gehörten nicht dem Magazin, sondern einem Privatmanne, der sie dort verwahrt hatte, lieber den Verbleib der 20000 Pud hat man nichts erfahren können, eine Untersuchung wurde zwar eingeleitet, aber die Untersuchungsakten verschwanden, als in einer dunklen Nacht das Haus des Beamtem, der die Akten in Verwahrsam hatte, ein Raub der Flammen wurde. In Sibirien brennen, wie man sieht, oft zufällig Häuser ab. Da war in Nertschinsk ein Oberst Koronowitsch. Es ist ja wahr, er hatte wenig Evrps geist, in Kara hatte er die Grausamkeiten der Gefünguisbeamten nicht dulden wollen und war deshalb versetzt worden, und nun in Nertschinsk machte er viel Aufhebens davon, daß einige Offiziere sich bei der Aushebung Militärpflichtiger bestechen ließen. Er leitete gegen die Offiziere sogar eine Untersuchung ein — sie konnte nicht zu Ende geführt werden, denn in einer Nacht brannte des allzu gewissenhaften Obersten Hans nieder und die Akten, sowie alle belastenden Dokumente wurden vernichtet. Es war auch eine seltsame Idee von Koronowitsch, gegen die Bestechungen zu eifern. Jeder Jspravuik nimmt Geld und Schnaps als Bestechung. Erstlich kann er von seinem Gehalte nicht leben und zweitens würde, wollte er Bestechungen znrückweisen, er sofort entlassen werden, denn er würde als verkappter Revolutionär gelten, weil er sich anmaßte, ehren werter sein zu wollen als der Vorgesetzte. Nimmt ein Jsprav nik nur Bestechungen an, so gilt er ohnedies schon als sehr ehrenwert, das Haupteinkommen der kleinen und größeren Beamten fließt aus den Erpressungen und Geschäftsspeknlationen. Da verordnet man in Petersburg, daß die Strohdächer der Bauernhäuser im Sommer von Zeit zu Zeit mit einem Brei von Lehm und Wasser bestrichen werden müssen — eine sehr verständige Vorschrift. Der Polizcibeamte, der dies den Bauern mitteilen soll, wartet, bis sie alle in voller Erntearbeit auf dem Felde stehen. Dann läßt er sie kommen und fordert die sofortige, ein paar Tage in Anspruch nehmende Ausführung jener Verordnung. Die Bauern können aber ihre Feldarbeit nicht unterbrechen und fragen ihn, was das kosten würde, wenn er die Ausführung der Verordnung aufschieben wollte. Der Beamte nennt den Preis, den jeder Bauer zu zahlen hat, und kehrt mit dem erbeuteten Gelde in die Schenke zurück. Ein Leichnam wird gefunden; der Beamte läßt ihn ins Dorf schaffen und fordert den reichsten Bauern ans, die Leiche bis zur Erledigung der Untersuchung zu beherbergen. Das kann viele Tage dauern. Der Bauer kaust sich mit ein paar Rubeln von seiner Verpflichtung los, ebenso machen es nacheinander die übrigen Bauern, und wenn die Bauern Manu für Mann bezahlt haben, kommt die Leiche in einen leeren Schuppen — vielleicht bietet sie noch ein andermal gute Erpressungsdienste. Finden die Bauern einen Leichnam irgendwo im Walde, so ivir.d er sofort verscharrt -- dadurch wird zwar die Entdeckung