Heft 
(1889) 40
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^ 40. Deutschland.

drein und trifft freilich Ursn. Ein reines Spiel des Znfnlls

daß dieser gerade im Bereiche des Säbels saß.

Schließlich erlaube ich mir noch, Sie ans einen hoch­wichtigen Umstand aufmerksam zu machen.

Sie, geehrte Herren, die unsere freiheitliche Verfassung dazu bestimmt, unbekümmert um den starren Wortlaut des Gesetzes nach bestem Wissen und Gewissen, Recht zu sprechen, müssen sich vor allem die Frage stellen, ob die Gesellschaft als solche durch den Wegfall Ursus einen Schaden erlitten hat oder nicht.

Wenn Sie nun erwägen, daß Ursn, dieser verabscheuungs­würdige Typus des Geldprotzeutums, auf seinen Reichtum pochend ein braves Bauernmädchen zur Treulosigkeit verleitet hat, so werden Sie zugeben müssen, daß es nur als eine glück­liche Fügung des Himmels erscheint, wenn dergleichen Unkraut aus unserem schönen Heimatsboden herausgerissen wurde, daß weder der Staat noch die Gemeinde Mineschti durch den Tod Ursns etwas verloren haben. Im Gegenteil, dieser Vorfall wird auf die Dörfler nur bessernd wirken können, die darin einen Fingerzeig der Vorsehung, eine Strafe des Bösen sehen werden. Wo also kein Schade ist, kann von Strafe nicht die Rede sein, und so zweifle ich nicht daran, daß Ihre Gefühle der Gerechtigkeit und des Patriotismus es Ihnen eingeben werden, den schneidigen Voien, den Helden von Plewna frei- znsprechen, ans daß er, wenn wieder einmal die Kriegsfanfare in unserer teueru Heimat erschallt, in bewährter Tapferkeit mit unserer Trikolore zu siegreichem Kampfe ausziehe."

Hierauf machte der Advokat eine bescheiden thuende Ver­neigung vor dem Gerichtshöfe und sandte beifallbettelnde Blicke gegen den Zuschanerranm, woher auch alsbald stürmischer Applaus ertönte. Die Jury sprach Voien nach kurzer Be­ratung des ihm zur Last gelegten Verbrechens frei, da erwiesen war, daß er thatsächlich völlig unzurechnungsfähig gewesen war.

Zamfira war seit jenem blutigen Vorfälle nicht mehr ge­sehen worden. Einige glaubten zu wissen, daß sie Nonne im Kloster zu Z. sei; andere wieder behaupteten, daß sie sich als liederliches Frauenzimmer ans den Bnkarester Boulevards nmhertreibe.

Voien ist dermalen Wachtmeister in einem Kavallerie­regiment und wird nicht anders alsVoien, der Schneidige" genannt.

Die Schenke wurde seit dem blutigen Ereignisse von den Mineschtier Bauern gemieden und die Geschäfte gingen schlecht. Dimitriadi wurde immer trübseliger, je mehr die Hoffnung schwandes" zu erlangen. --

Seit der Zeit ist er auch ein Gegner des Krieges. Jüngst sprach der Gemeindeschreiber bei ihm vor, der mit großem Be­hagen verzehrte, was der ewig seufzende Dimitriadi vorsetzte.

Seht Ihr, Herr Sekretär," sagte da Dimitriadi -Pa­triotismus, Krieg, Mut das alles ist ja sehr schön, aber es verwildert doch den Menschen. Der rumänische Bauer war früher doch friedlicher und sanfter. Seit dem Kriege aber, wo er mit Waffen hantieren gelernt hat, wo er dafür ausgezeichnet wurde, daß er Menschen, die er nie gesehen ich meine die Feinde - und die ihm nie etwas zu Leide gethan haben konnten, getötet hat, seitdem ist"

Mein lieber Grieche," siel ihm der Gemeindeschreiber ins Wort,ich weiß, warum Du den Krieg jetzt verabscheust.

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Weil seit der Ermordung Ursns Deine lieben Schnapskunden ausgeblieben sind und kein neuer Krieg in Aussicht ist. Sage einmal, warst Du auch damals derselben Ausicht, als 1877/78 so viele Truppen vorbeizogen und bei Deinem Wirtshanse Halt machten? Woher stammt denn Dein Vermögen, wenn nicht vom Kriege? Nun?"

Als Dimitriadi die Antwort hierauf schuldig blieb, ent­fernte sich der Gemeindeschreiber majestätischen Schrittes, indem er seinerseits dem Griechen die Zeche auch schuldig blieb.

Das Gewissen und seine Ersatzmittel.

Von

M«aX H'crrvtc>rv6y. (Schluß.)

kl.

UN steht es so unumstößlich fest,, wie ein Erfahruugs- satz feststehen kann, daß die Überlegung ans einen Trieb die Wirksamkeit dieses Triebes aufhebt. Bei­spiele dieser Aufhebung des sittlichen Triebes haben sich in allen Ländern Europas gezeigt. Einst sah ich auf einer belebten Straße einen Arbeiter zusammenbrechen und in Krämpfe fallen. Es war ein bitterkalter Abend und ein schneidender Wind fegte das Pflaster. Trotzdem besser gekleidete Leute den Unglücklicheil in Menge umstanden, dachte nur einer daran, ihm beiznstehen und wenigstens seinen Kopf vor dem Aufschlagen zu bewahren; endlich sprangen zwei vorübergehende Arbeiter hinzu, trugen den Kranken in den nächsten Hausflur und sorgten für sein Nach- Hausekommcn. Sie folgten einfach dem Triebe, der sie helfen hieß, einerlei, wo und wie und mit welchem Anfwande an Zeit, Kosten und Arbeit; die Gaffer dachten nur an die Unbequem­lichkeiten, denen sie sich durch die Hilfeleistung aussetzen könnten. Ein geschichtlich beglaubigtes Zeugnis dieser Aufhebung gewährt die Erscheinung, daß die übertriebene Gcwissensprüsnng der katholischen Beichte diese Auflösung des Pflichtgefühls beschleu­nigt; eine Wirkung, deren Verlauf Paul Bourget in seinem jüngsten Roman:Do Disostlle" eingehend geschildert hat. Daher läßt schon Spinozas Ethik nur solche Antriebe zu, die vor dem Richterstnhle der Vernunft bestehen und setzt an die Stelle des Hochgefühles der Pflichterfüllung die Seelenruhe des Weltweisen, der nur nach Maßgabe seines vernünftigen Ermessens gehandelt hat. Es wird eine Zeit kommen, wo das Pflichtgefühl der Überlegung nicht mehr das Gleichgewicht zu halten vermag; sollte darum die Menschheit der Antriebe zum sittlichen Handeln gänzlich verlustig gehen, oder wird sie andere finden, die mit dem Vorzüge des Bewußtseins die Ziele des verschwundenen Pflichtgefühles verbinden?

Nun, eines bleibt vor 'allen Dingen: jene Notwendigkeit der Mitteilung überschüssigen eigenen an bedürftiges fremdes Leben, das Können als letzte Berechtigung des Solleus. Die Nächstenliebe, entsprungen aus dem Bedürfnis des Mitsühlens, -denkens und -Handelns, ist so ewig und so alt wie die Mensch­heit, sie wird nie schwinden, und die zersetzende Wirkung der Reflexion macht nur die zeitlich und örtlich verschiedene, durch die bloße und wechselnde Notwendigkeit geordneten Zusammen­lebens entstandene Verpflichtung dauernd zu schänden, obwohl eine zeitweilige Trübung nicht ausbleiben kann. Ja, die Nächstenliebe rückt immer mehr an die Stelle der Gerechtigkeit, der höchsten aller gesellschaftlichen Pflichten. Der wahre Glaube des neuen Bundes, der Geist der Duldung und Milde, verdrängt immer mehr den Glauben des alten Bundes, den Geist der Rache und unbeugsamen Strenge. Unter dem Ein­flüsse der wissenschaftlichen Weltanschauung der Neuzeit be­ginnen sich die Rechtsbegriffe in der Richtung der Nächsten-