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Deutschland.
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dem Einflüsse Wagners, Liszts nnd anderer Häupter der neu- dentschen Schule wandte er sich nun auch der dramatischen Komposition zu und schrieb die Opern „Gudrnn," „Kriem- hild," „Jngeborg," „Thunar" und „Heimdak," welche in Weimar, Koburg, Strelitz u. s. w. Zur Aufführung gelangten nnd freundlich abgelehnt wurden. Thatkrüftige Forderung fanden Lindemayers Werke namentlich durch den „Allgemeinen deutschen Musikvercin," welcher sie in seinen Konzerten wiederholt, wenn auch mit wechselndem Mißerfolge, zu Gehör brachte. Auch als geistvoller Musikschriftsteller hat sich Lindemayer durch eine Broschüre: „Philosophisch-ästhetische Beiträge zu einer vergleichenden Psychologie des musikalischen Ethos in Wagners Nibelungen" bekannt gemacht. Seit einigen Jahren ist Lindemayer nach Insterburg übergesiedelt, wo er als gefürchteter Komponist und Kritiker eine hervorragende Stellung einnimmt.
II.
Jaegues Anatole Dömaret, geboren im Jahre 1840 in Montlhory (Seine et Oise) als der Sohn eines Gewürz- krämers, kam in seinem fünfzehnten Jahre nach Paris, um sich dort auf das Studium der Rechte vorzubereiten. Seine ausgesprochene Neigung zur Musik ließ ihn aber sehr bald der Jurisprudenz untreu werden, nachdem sein pianistisches Talent in einigen Salons der Hauptstadt Aufsehen erregt hatte. Zum Zwecke gründlicher musikalischer Ausbildung trat er nun in das Konservatorium ein, wo er im Klavierspiel Schüler von Mar- montel wurde und Kompositionsunterricht von Reber und Bazin erhielt. Nachdem er in Besch des pi-erriior- prix cke chano, de tugme et cko eornxomtioi, gelangt war, erhielt er schließlich noch den Arnnck prix de llorno und einige Zeit darauf den piüx de In ville de ILnO und den prix llosmick. 1868 führte er in St. Sulpiee eine iVIosss de« mortK ans, welche ihm die Ernennung zum Ollevrdier de ln lechon ddioimenr eiubrachte. Nun folgte 1869 eine «Ilvinne n llerrrperear,» 1870 «Uviune n ln guerve,» 1871 «ldviune n ln pnix» und 1872 «Ilvinue ä ln >'6j»uI4i<gi6.^ Eine große Oper «Ver- 6iQ»6toiüx» fand bei ihrer ersten Aufführung den Beifall der Kenner, konnte aber nicht zu Ende gespielt werden. Ähnlich erging es den darauf folgenden Opern: «Alarie,^ «(duuNx XII., und «Im reine Vdel^iüe.» Einen ungeheuren Erfolg hingegen erzielten die späterhin im Tliörrtre de ln (Iniete zur Aufführung gebrachten Operetten: «Vnolliir et eliess,» «Im petito Uoux-oule^» «Oe eoloiiel IAt:g,onlZ «Oonee 6t Oie.» Seit 1878 ist Döniaret Otlleier de In le^ion ddwnnenr und lebt gänzlich zurückgezogen auf seinein Gute in Auteuil bei Paris.
III.
Luigi Salvatore Bnttista Amileare Ealdoni erblickte das Licht der Welt in dem kleinen Städtchen Genzauo unweit Roms. Sein Vater betrieb daselbst einen kleinen Gemüsehandel und ertappte eines schönen Tages seinen achtjährigen Sohn, als dieser gerade auf einer dem Vater entwendeten und von ihm zur Mandoline umgestalteten Melone seine Lieb- lingsmelodieen spielte. Die Prügel, welche dem kleinen Amileare für sein Vergehen zu teil wurden, kühlten indessen seine musikalische Leidenschaft nicht ab, und da er nicht mehr Melone spielen durfte, sang er desto mehr und hatte hierbei das Glück, von einem künstlerischer als sein Vater empfindenden Manne, dein Pater Nicvlo, bemerkt zu werden. Diesen frappierte die hübsche Stimme, sowie die reine Intonation des Knaben derart, daß er ihn unentgeltlich in der Musik unterrichtete, wobei sich das Talent Caldonis so überraschend schnell entwickelte, daß der Vater endlich einwilligte, seinen Sohn ernstlich Musik studieren zu lassen. Ealdoni kam nun nach Neapel, wo sich der gelehrte Mazzncato seiner ans das wärmste annahm und seine vollständige Ausbildung leitete. Der jugendliche Maestro schrieb jetzt auf Bestellung des Jmpresa Bambneei die komische Oper „Pimpanello" für den Karneval in Bologna. Diese Oper aber wurde durch die Tücke des dem Komponisten feindlich gesinnten Kapellmeisters bei der ersten Aufführung so ver
hunzt, daß das Publikum sie niederzischte, die Primadonna ans die Straße warf nnd dem Tenoristen zwei Kopfwunden beibrachte. Der Komponist mußte fliehen, brachte aber selbst später die nämliche Oper unter anderem Namen nochmals zur Aufführung nnd entlarvte so den schurkischen Kapellmeister, welcher alsdann vorn Publikum getötet wurde. Ealdoni, dessen Namen durch diese Affaire mit einem Schlage in ganz Italien berühmt geworden war, erhielt nun Bestellungen über Bestellungen und komponierte im folgenden Jahre allein nicht weniger denn acht Opern für Bologna, Venedig, Rom, Florenz, Neapel, Genua, Mailand und Siena. Die bekanntesten unter diesen sind: «I dne Invalidst» «Ileatriee Gorsini» und «II ladro mnoroso.» Als Ealdoni einige Jahre später nach Si- eilien ging, um in Messina die erste Aufführung seiner Oper «ILVlckmte trndito» zu leiten, wurde er ans der Reise von Räubern überfallen, welche ihn nicht eher freigaben, als bis er ihnen sämtlich Billets zur Premiere versprochen hatte. Bei der Aufführung seiner letztgenannten Oper lernte Ealdoni auch die Sängerin Pagliatiti, seine nachmalige Gattin kennen, für welche er alle seine späteren Opern (92 an der Zahl) komponierte, von denen die letzten aber bereits eine Abnahme der Erfindungskraft verraten. Bon der Leichtigkeit des Schaffens Caldonis einerseits, aber auch von seiner grenzenlosen Zerstreutheit andererseits spricht wohl am beredtesten die That- sache, daß er ein und denselben Operntext zweimal komponierte, weil er vier Wochen nach Fertigstellung seiner Arbeit glaubte, dieselbe noch vor sich zu haben. — In den letzten vierzehn Tagen hat der berühmte Maestro übrigens nichts mehr von sich hören lassen und scheint mithin in seiner kleinen Vaterstadt der wohlverdienten Ruhe zu pflegen.
IV.
Alexei Vasilewitsch Ubjastakoff, geboren am 5. Juni 1841 in Kiew, ist der Sohn eines höheren russischen Staatsbeamten. Seine Mutter war eine vorzügliche Pianistin nnd galt namentlich als unübertreffliche Chopin-Spielerin. Ubjastakoff kam mit seinem fünfzehnten Jahre nach dem kaiserlichen Oorp8 d68 UaK68 in Petersburg, NM sich daselbst für seine militärische Carriers vorzubilden. Nach seiner Beförderung zum Lieutenant machte er die Feldzüge in Transkankasien mit, kehrte alsdann nach Petersburg zurück nnd veröffentlichte ein Streichqnintett und eine Ouvertüre „Katschka." Gleichzeitig wurde er Mitarbeiter an der chemisch-physikalischen Fachzeitnng „Uspiech" und lernte in dieser Stellung den als Mathematiker hoch angesehenen Swiatkniatnikoff kennen, welcher auf seine ganze musikalische Richtung einen entscheidenden Einfluß gewann. Ubjastakoff schrieb nun seine sinfonische Dichtung „Igor," welche in der kaiserlich russischen Mnsikgesellschaft mit glänzendem Erfolge aufgeführt wurde nnd den Namen des Komponisten auch im Auslände bekannt machte. Im Jahre 1872 wurde Ubjastakoff als Doeent der Fortifikations-Wissen- schaft nach Moskau berufen, fiel aber beim Kaiser in Ungnade und wurde zu lebenslänglicher Verbannung nach Sibirien verurteilt. Von Alexander III. später amnestiert, kehrte Ubjastakoff nach Moskau zurück und gründete daselbst mit dem Astronomen Pistakiewitsch nnd dem Historiker Wrzewionzow eine Gesellschaft zur Hebung des russischen Volksgesanges, schrieb um dieselbe Zeit auch eine Oper „Babuschka," deren Aufführung jedoch aus politischen Gründen verboten wurde. Großes Verdienst erwarb sich Ubjastakoff namentlich durch eine von ihm publizierte Sammlung kirgisischer Nationallieder nnd eine Denkschrift über die Reorganisation der kamtschadalischen Häsen. Als Komponist gehört Ubjastakoff der extremsten neurussischen Richtung an und hat seine Theorieen hierüber in einer Broschüre niedergelegt, welche den doppelt verminderten Nonen- Aeeord als die tonische Basis der modernen russischen Musik bezeichnet. Im Jahre 1886 wurde Ubjastakoff vom Kaiser zum wirklichen geheimen Staatsrat ernannt und durch Verleihung des St. Annen-Ordens ausgezeichnet.