Heft 
(1889) 41
Seite
673
Einzelbild herunterladen

N

^unstMtleratuisMssklisäillW kiHun-saIalesUeLen- ^

LüktAleMINMZ-

iE

j

Nr. 41

Erscheint Sonnatiriids

. und ist in der Post-Zcitnngsprcisliste unter Nr. 1738 eingetragen.

Berlin, den ^2. Juli.

Alilliuiemeiitspreio

bei der Post oder im Buchhandel vierteljährlich 3 Mark.

IM

»

In halt: Staatsraison. Eine Skizze. Bon Eduard Engel (Berlin). Adolf Bastian. Von ldr. Ths. Achelis. Die Rosenindustrie in Bulgarien. Non Merentor. Österreichische Grenzwandernngen. Non Wolfgang Kirchbach. l. Max KlingcrS Tvdcsphantasicen. Von l)r. Alfred Gotthold Mehcr. Das Obseönc vor Gericht. Von F. M. Kleine Kritik.

Vlggtsrgjson.

Eine Skizze.

Von

Köucrrö Knget (Berlin).

möchtest Du wohl Nachsehen, ob der Börsen- kurier ans Berlin noch immer nicht da ist?"

Gewiß, gleich, lieber Karl," und die Frau des Geheimen Kommerzienrats Vollmer, ehemaligen Gruben­direktors, jetzt mehrfachen Berwaltungsrats bei verschiedenen rheinischen Kohlenbergwerken und Hütten, erhob sich vom Früh­stückstisch und ging ins Vorzimmer, um den Briefkasten an der Korridorthür zn leeren. Der Herr Geheime Kommerzien­rat blieb ruhig sitzen und mit gutem Appetit weiter. Er war es gewöhnt, daß andere für ihn aufstanden und er sitzen blieb, und er hatte diese seine Weltordnung auch zur Haus­ordnung gemacht. Lueie hatte nie eine andere gekannt, seitdem der reiche Mann sie, die ehemalige arme Lehrerin an der städtischen höheren Töchterschule des niederrheinischen Städt­chens E., zu seiner Frau gemacht. Man hatte sie allgemein um die großartige Partie beneidet und nie begriffen, was der, damals allerdings noch nicht Geh eime, Kommerzienrat an diesem zarten Persönchen mit den aschblonden Haaren und den furcht­samen wasserblauen Augen Besonderes gefunden. Sah inan sie auch nach ihrer jetzt zwölfjährigen Ehe notwendig als seine recht­mäßige Frau und ihren elfjährigen Knaben Richard als ihr rechtmäßiges Kind an, die Geheime Kommerzienrütin ließ niemand an ihr gelten, und höchstens in Gegenwart ihres all­mächtigen Gatten bekam sie gelegentlich jenen ehrfurchtgebieten­den Titel zu genießen. Sie fand auch das ganz in der Ord­nung; ihr genügte es, die Frau seines Hauses zu seiu, und selbst diese Ehre machte ihr Herz nur selten vor Beseligung höher schlagen. Sie war glücklich, wenn sie ihren prächtigen Knaben bei sich hatte; sie begnügte sich mit ihrer Mutterschaft.

! In der zärtlichen Freude an ihrem einzigen Kinde begegnete ! sie sich mit ihrem Gatten; das war das einzige, was sie wirk­lich Gemeinsames besaßen. Für Richard war auch der Ge­heime Kommerzienrat fähig zuweilen aufzustehen. In ihm sah er die zukünftige Verkörperung eines noch höheren Zieles als des von ihm selber erreichten. Richard sollte sich nicht mit solchen Allerweltspöstchen wie Grubendirektor oder Verwaltnngs- rat begnügen. Ein Krupp, ein Borsig, ein Gruson sollte aus ihm werden; der Generalgewaltige der ganzen rheinischen Hüt­tenindustrie, das Haupt eines wo möglich ganz Deutschland umfassenden Hüttenringes, der absolute Herrscher im Reiche des Eisens und der Kohle! Damit konnte nicht früh genug begonnen werden, und so mußte Richard schon jetzt besondere Zeichnenstunden nehmen.

Frau Lueie hatte den Briefkasten geleert; der Börsen­kurier war noch nicht gekommen. Da hatte sie im Vorgarten einen leichten Kinderschritt zn hören geglaubt uud schnell die Thür nach dem Flur geöffnet; sie hatte sich geirrt: es Mar­der Laufjunge derHarmonia," der den Konzertzettel in den Briefkasten geworfen. Nein, ihr Richard war ja erst vor einer halben Stunde zum Zeichneulehrer am Kaiser Wilhelmsplatz gegangen, wie konnte er da schon wieder zurück sein? Vor ein Uhr war keine Rede davon.

Sie kehrte zu ihrem Manne ins Frühstückszimmer zurück.

Na, jetzt fängt auch noch die Post zu bummeln an!" rief er ihr unfreundlich entgegen, als er sie ohne den ersehnten Börsenkurier iu der Thür sah.Die Bummelei wird jetzt allgemein, sonst Hütten sie es mit unserm verdammten Gruben­streik auch nicht soweit kommen lassen!"

Wie steht es denn damit?" fragte Lueie, um irgend­etwas zu sagen.

Schlimmer als je. Heute kann's zum Äußersten kommen, die 187er sollen bis spätestens mittag einrücken, müssen also schoir hier sein. Weißt Du das denn nicht?" Und er warf einen entrüsteten Blick auf die geduckte Frau, die sich mit der Herrichtung seines Frühstücks emsig weiter beschäftigte.