Heft 
(1889) 46
Seite
741
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Erscheint Sonnabends

. und ist in der Post-Zcitungsprcisliste unter Nr. 1738 eingetragen.

Berlin, den ^6. August.

Aboimrmentspreis

bei der Post oder im Buchhandel vierteljährlich 3 Mark.

1896

Inhalt: DasSopyicchen." Novellettc von Hermine von Preuschcn. Zur Urgeschichte der Familie. Von Prof. Im. Ludwig Stein (Ziirich). Blitzschlag und Blitzgefahr. Von I>r. Julius Laug. Pantomime. Von Hermann Bahr. Wilde Rosen. Stimmungsbild Vvn Heinz Tovotc. Lebensgemeinschaften. Von vr. Theodor Jacusch (Fort­setzung). Oka Houstons Schriften. Von F. M. Fraucnzimmcrgcdankcn über die Natürlichkeit unseres Lebens, unserer Bücher und unserer Theaterstücke. Kleine Kritik.

DssSophierhen."

Novellettc

von

Hermine von Preuschen.

Himmel spiegelt sich auch in Pfützen. An einem lauen Spütherbsttag ging ich mit dem Sophiechcu in den heimischen Buchenwald, der wie ein gvldroter Dom sich zu unfern Hüupten wölbte. Es hatte vor kurzem geregnet, in den tief eingefahrenen Geleisen der Waldschneiscn stand das Wasser. Knöcheltief fast wateten wir im Schlamm. Aber leuchtend, sieghaft stand über uns die Sonne, wie in Glorienschein die Feuerpracht der Blätter tauchend. Wo sie in zitternden Strahlen durch das Astwerk huschte, das welke Laub des Vorjahres auf dem dichten, feuchten Moosteppich mit rotem Schimmer überhauchend, da drang auch ein Lichtstrahl auf die großen Wnssertümpel des Fahrweges, der blaue Him­mel spiegelte sich in den Pfützen.

Seit Jahren hatte ich das Sophiechen nicht mehr ge­sehen. Wir waren Nachbarskinder gewesen. Unsere frühe­sten Erinnerungen fuhren uns zusammen.

Sie war die älteste Tochter eines nur an Kindern reichen, pensionierten Generals; denke ich an unsere Jugend, ertönt mir stets dabei wüster Lärm einer sich balgenden, schlecht beauf­sichtigten kleinen Rotte. Der Vater war von altem Adel, die Mutter vou noch älterem, aber aller Stolz oder Hochmut ihres Standes vertrugen sich nicht mit dem wenig vornehmen Trei­ben in dem schlecht geleiteten Haushalt. Der General war ein Stückchen Poet, ein Stückchen Don Juan ein Stückchen Musiker uud Hans in allen Gassen, aber gar kein sparsamer Familienvater. Ein zu allem beanlagter, nichts gründlich be­treibender Mensch. Die Mutter einstmals hübsch, mit den Jahren immer apathischer werdend, gutmütig und unbedeutend, alles weniger als eine tüchtige Hausfrau. Es erstanden, wie die Orgelpfeifen, zehn Kinder, acht Töchter und zwei Söhne, !

und wuchsen in dem kleinen Hänschen außerhalb der Stadt, in Freiheit dressiert, schlecht und recht empor. Als heranwachsen­des Mädchen verhandelte mir das Sophiechen, wie es iu der ganzen kleinen Stadt von hoch und nieder seit frühester Kind­heit bis auf den heutigen Tag genannt wird, um seinen Lecker­begierden frönen zu können, für wenige Pfennige gar manches Buch seiner kleinen, ihm von einem gütigen Onkel geschenkten Sammlung. Aber die Leihbibliotheken verschlang es nichts­destoweniger in seinen zahlreichen Mußestunden, schlüpfrige Bücher am liebsten; selig war es eines Tages bei Erlangung des Boccaccio. Dann ward es, zur Vollendung seiner Er­ziehung, in eine standesgemäße Pension ins Ausland gebracht. Aber die Sehnsucht nach der ungebundenen Freiheit seines Fa­milienlebens trieb das Mädchen zur heimlichen Flucht. Eines Tages langte es, mit geliehenem Geld, wohlbehalten wieder in der Engstraße Nr. 16 an. Von da ab galt das Sophie­chen für erwachsen. Das Jahr darauf besuchte es mit mir und anderenFreundinnen" seinen ersten Hofball. Eine hübsche Ge­stalt hatte es bekommen und begehrliche, unruhige Augen. Eine vornehme oder bedeutende Erscheinung war es nicht. Und es fühlte sich auch nicht allzuwohl in der Geselligkeit, sondern eher beengt und unfrei. Es konnte sein Wesen nicht gehen lassen wie andere, weil es sonst die Schranken zu leicht vergessen hätte. So bekam es etwas Scheues und Linkisches, und trotz­dem es eine geübte und graziöse Tänzerin war, ward es nie und nirgends hervorragend gefeiert, weit eher übersehen oder zurückgesetzt.

Manches Jahr war inzwischen vergangen. Ich war hinaus in die weite Welt gezogen, dem Drang der inneren Stimme folgend, Kunst und Ruhm und Glück zu suchen. Nur selten, auf Umwegen, tönte eine Kunde von den Kindern aus. der Engstraße an mein Ohr. Die acht Mädchen waren mittler­weile alle herangewachsen, der jüngste der zwei Brüder eben zum Lieutenant avanciert, das Sophiechen noch immer unver­heiratet im Vaterhaus. Seit seiner verunglückten Pensionsreise war es nicht mehr hinaus iu die Welt gekommen, es fühlte