Heft 
(1889) 46
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Deutschland.

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in das crkenntnistheoretische Gebiet; wenn er dieUmwertung aller Werte" vorzunehmen verspricht und die alte Moral in eine Herrenmoral und in eine Sklavenmoral scheidet, wenn er in erster Linie die Begriffegut" undböse" in ihrer alten Bedeutung nicht mehr gelten läßt, so treibt er dabei haupt­sächlich Sprachphilosophie. Er deckt zuerst die Wertlosigkeit dieser Begriffe in ihrer heutigen Anwendung ans und giebt dann eine geistreiche Erklärung für die historische Entwicklung dieser Wortwcrte. Für denjenigen, der sich von Nietzsche über­zeugen ließ, sind damit die Wortegut" undböse" ans dem allgemein verständlichen Sprachschätze ausgelöscht; der Dichter aber ist auf die gemeine Sprache, auf das Verstündignngs- mittel des ganzen Volkes, angewiesen, er kann ans der ge­heimen Philosophensprache keine Menschen bilden.

Nun glaubt Hansfon aber, daß die erkenntnistheoretische That Nietzsches in ihrer Bedeutung Zusammenfalle mit den Untersuchungen Lombrosos, der den Unterschied zwischen dem Normalmenschen und der oft genialischen Verbrechernatur auf­gestellt hat, und der den Wert vongut" undböse" dadurch zu tilgen versuchte, daß er gestützt auf die Lehre von der Unfreiheit des menschlichen Willens dem Sünder die Ver­antwortung für seine Thaten nahm. Aber Nietzsche und Lom- broso sind wenig mit einander verwandt. Nietzsche nimmt den ethischen Begriffen kurzweg ihre alte Bedeutung; Lombrvso läßt die Bedeutung bestehen und predigt nur Mitleid mit dem unschuldigen bösen Menschen. Nietzsche ist hart und aristo­kratisch, Lombrvso weich und demokratisch. Nietzsche fordert

eine neue fürchterliche Herrenmoral, Lombrvso bildet die Sklaven­moral weiter. Lombrvso steht auf dem Boden des Christen­tums, wenn er auch nicht gläubig ist; Nietzsche ist der neueste Antichrist.

Ola Hansson aber wirft die Lehren der beiden zusammen und schreibt fast sin Dienste der neuen Gedanken sein Buch Parias".

VllKuenzimmergeüKnken

über die Natürlichkeit unseres Lebens, unserer Bücher und unserer Theaterstücke.

sie naturalistische Litteratur selbst hat es auf dem Gewissen, daß eine Frau es wagt, ihre Stimme in dem Streite der Parteien zu erheben.

Jeder Mann, wes Berufs er sei, ob Gelehrter, Advokat, Arzt oder Staatsmann, ist in seinem Privatleben Mensch. Unsere Schuld ist es nicht, daß wir ihn nicht im Hörsaal, im Parlament, in der Klinik als seinesgleichen gegenüberstehen; daß wir ihn nie in seiner beruflichen, stets nur in seiner mensch­lichen Gestalt kennen lernen. Und daß ihm in diesen ver­schiedenen Lebenslagen zwei ganz verschiedene Seelen inne­wohnen. In seinem Beruf verdammt er die eitlen, launen­haften, leichtsinnigen, unnatürlichen Frauen, -- als Mensch umwirbt er sie, vorausgesetzt, daß sie hübsch und jung sind, und ein gewisses Etwas haben, das zu den Sinnen spricht. An der eigenen Frau sucht er andere Eigenschaften. Sie soll sanft, häuslich, bescheiden sein. Vielleicht als Schutz gegen das Begehren anderer vielleicht um der Entschuldigung halber, wenn der Gatte anderswo sucht, was er Zu Hause nicht findet. Wenn es dafür einer Entschuldigung überhaupt be­darf! Durch das gesamte Männergeschlecht geht in diesem Punkte ein geheimes Einverständnis. Den Vater ausge­nommen, der des Sohnes Gesundheit und Zukunft bedrohende Verirrungen strenger verurteilt als die Mutter, hat ein Mann nie ein verdammendes Urteil für die Liebesabenteuer seines Nebenmenschen. Der Gewissenhafteste, dessen beruf­licher Ehrenschild klar wie Gold, betrügt ohne Gewissensbisse

ein vertrauendes Mädchen, der Weichherzigste, vielleicht berufen die Thrünen der Waisen und Witwen zu trocknen, zerschneidet durch seine Untreue das Herz seiner Frau mit tausend Dolchen.Wir sind nun einmal so, die Natur hat uns so geschaffen." Und hundertfach wiederhallt das Echo dieser Worte in der naturalistischen Litteratur mit ihren mensch­lichen Dokumenten. Sie ist wie ein Trinmphgesang der männlichen Übermacht und ihre Verherrlichung. Alles, was man sonst sich scheute ausznsprechen, wird auf offenem Markt verkündet, die schamloseste Offenheit als Sieg der Wahrheit gepriesen, dem Instinkt, der Sinnlichkeit werden Altäre gebaut. Und wagt es ein Leser, ein Kritiker, der es noch mit der heimlichen Sünde hält, dieses allzuöffcntliche Verfahren zu tadeln, welcher Zorn im Lager der Angegriffenen. Alle Geschütze der Wissenschaft und Philosophie werden aufgefahren, um die bedrohte Lebens- und Schreibfreiheit zu verteidigen. Da müssen alle großen Geister herhalten, vor allem immer Goethe, dieser Riese an Poesie und Sinnlichkeit. Es wird bewiesen, daß unsterbliche Werke und Liederlichkeit denselben Nervencentren entspringen, und zügellose Sinnlichkeit ein Vor­recht bevorzugter Gehirne sei. Schade nur, daß jeder be­liebige Hausknecht dieses Vorrecht teilt. Daß also, wenn es Liederlichkeit ohne Genialität giebt, Genialität ohne Liederlich­keit vielleicht auch denkbar wäre das ist natürlich gegen alle Wissenschaft und Philosophie das ist nur so ein dummer Frauengedanke.

Die weiblichen Leser werden in diesem Kampfe kurz ab­gefertigt.Litteratur wird nicht für Backfische und Müdchen- pensionate geschrieben." Mit Verlaub sie wird aber da gelesen, wenn auch heimlich. Und auch einem reiferen Lebens­alter dürfte sie nicht ungefährlich sein. Ein unreines Buch oder Theaterstück wird auf die meisten Frauen wirken wie Mephistos Schmuck auf Grellsten, - es bereitet sie zur Sünde vor. Es giebt eine Klasse von Frauen, Künstlerinnen und Damen der guten und besten Gesellschaft, deren Wert durch die Sünde nicht verringert, sondern noch erhöht wird, für die große Mehrheit der Frauen jedoch ist die Überreizung der Sinne eine Gefahr. Denn auch das Weib ist sinnlich. Auch das ist ein Naturgesetz, das durch keine Frauenbesceiung aus der Welt zu schaffen ist. Mag man durch bessere Lohn- Verhältnisse Tausende armer Geschöpfe davor bewahren, sich aus Not zu verkaufen, mag man Bemittelteren durch eine verwendbare Bildung denselben Dienst erweisen, und Gott weiß welcher Segen daraus erwüchse, dienatürliche Frauenfrage" wird darum immer die gleiche bleiben. Jedes Mädchen, auch das wohlhabende und selbständige, sehnt sich die Freuden der Liebe zu genießen, die Eigenschaften kennen zu lernen, die sich nur in der Hingabe, in dem Verkehr mit dem Manne entwickeln. Mit dem Manne, denn dem sittlich gesunden Weibe genügt ein Mann, der ihre. Er genügt ihr nicht nur, sie kann sich keinen andern an seine Stelle denken. Was ihr mit ihm eine Wonne, wäre ihr mit einem andern ein Greuel. Das ist unanfechtbar. Tausende von Franen können es bestätigen. Wenn die Bücher das Gegenteil be­haupten, so ist dem Verfasser der eigene Wunsch Gedanke, oder er hat an sittlich Kranken seine Studien gemacht. Daß die Zahl derselben wächst wer wollte es leugnen. Und sicher ist die naturalistische Litteratur mit Schuld daran. Im Vereine mit der übertriebenen Geselligkeit. Dieser unaufhör­liche Verkehr der Geschlechter bei Musik, Theaterspiel, Tanz

und Gelage, dieses Entschleiern von Körper und Seele. Denn wovon wird in den Gesellschaften am meisten gesprochen? Von den neuestenpsychologischen" Büchern und Theaterstücken. Das erste Werk dieser Art liest die Frau zögernd. Sie sieht errötend die Scheidewand fallen, die ihr innerstes Leben, oft vor ihr selber, verdeckte. Hat sie sich erst soweit abgehärtet,

daß sie sich mit einem Fremden darüber unterhalten kann,

dann hat sic von der sittlichen Gesundheit, deren Hauptsymptom die Schamhaftigkeit ist, schon viel eingebüßt. Das gilt von

den schlechten Büchern. Ünd oft noch mehr von den söge-

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