Heft 
(1889) 46
Seite
754
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Deutschland.

46.

also, was auch seine Gedichte in Prosa verrieten, während der Taufname für deutsche Ohren entschieden etwas Feminines hatte, wie Ola Hansson sagen würde. Alt dem Tage, an welchem dem jungen Dichter der Bürstenabzug dieser ersten Beiträge znging, vermählte er sich übrigens mit seiner Über­setzerin, der Dentschrnssin L. Marholm. Seine Verbindung mit Deutschland war damit doppelt hergestellt, und im Früh­jahr hatten wir die Freude, den jungen Schweden mit seiner Gattin in Berlin zu begrüßen. Der Frau Hansson ist der geistreiche Schriftsteller sofort anznmerken; ihr schwedischer Gatte ist still, zurückhaltend, scheint nicht zu beobachten, spricht wenig oder gar nicht über Verleger und Redakteure, wird also Wohl ein Dichter sein. Eines aber mußte an ihm besonders auf­sallen. Ohne die deutsche Sprache mit Sicherheit zu beherr­schen, ja, eigentlich im Begriffe, sie erst recht zu lernen, war er mit der jüngsten deutschen Geistesbewegnng innig vertraut. Der Skandinavier stand wie ein Abtrünniger derjenigen Schule seiner Heimat gegenüber, welche im Laufe des letzten Jahr­zehnts wie eine Gewitterwolke vom Norden gekommen war und sich mit den Gewittern aus Frankreich und Rußland ge­rade über Deutschland vereinigt hatte, um hier im ganzen und großen lnftreinigend zu wirken, freilich auch unter furchtbarem Spektakel unfruchtbare Wassermasscn über schöne Gefilde nieder- zngießen. Diese ganze Schule, welche sich für den Norden in Ibsen verkörpert, wird trotz aller Symbolik, welche diese Dichter mitunter in Bewegung setzen, doch dereinst um ihrer Nüchternheit willen überwunden werden müssen. Alle diese Dich­tung grenzt an Wissenschaft. Das war am Ausgange der roman­tischen Zeit und im Kampfe mit der geschminkten Modedich- tnng unserer Tage notwendig und ist noch für lange Zeit recht erwünscht. Es ist eine Poesie in Waffen, mit dem ganzen Rüstzeug moderner Kenntnisse ansgestattet. Neben dieser Kampf­poesie, welche mit ihren cynischen Wahrheiten die hergebrachte Lüge langsam verdrängt, hat dasjenige kaum Platz, was der­einst an die Stelle treten muß, wenn die Poesie wieder ab- gerüstct haben wird. Echte Poesie war immer ein wenig mit echter Mystik versetzt. Dieser wird die nüchterne Wissen­schaftlichkeit wieder Platz machen, wenn ihre Ausgabe erfüllt sein wird. So wenig das Magazingewehr Selbstzweck der Technik ist, so wenig ist der Cynismus das letzte Wort der Poesie. Und ich fürchte, die Abrüstung der literarischen Welt wird früher vollendet sein als die Abrüstung der europäischen Staaten.

Zn den wenigen Dichtern, welche inmitten des gegenwär­tigen Kampfes und trotzdem sie auf der äußersten Linken stehen, den Sinn für Mystik und friedliches Behagen der Darstellung bewahrt haben, gehört Ola Hansson. Er verdankt diesen Vor­zug gewiß zuerst seiner guten Natur; dann aber auch ebenso gewiß seinem Lieblingsphilosophen Friedrich Nietzsche, der mit seinen genialen Gedankenblitzen unsere Gegenwart mitunter so grell beleuchtet, daß wir in ihren litterarischen Kämpfen nicht mehr einseitig Partei ergreifen können. Wer mit Nietzsche denken gelernt hat, der steht auch in ästhetischen Dingen jen­seits von Gut und Böse. Da Ola Hansson jedoch seine ganze Entwickelung unter dem Einflüsse von Ibsen und weiter von Georg Brandes durchlebt hat, so ist er in seinem Schaffen noch nicht auf der Höhe seines Denkens angelangt. In seinen kleinen Novellen übertrifft er die Halbwissenschaftlichkeit der Kampfpoesie nur darin, daß er sie zu übertrumpfen sucht; und in seinem Denken sucht er die Brücke zwischen Mystik und dieser Art von Dichtung in dem verhängnisvollen italienischen Psy­chologen Lombroso. Wir hoffen den verehrten Mitarbeiter uns nur fester zu verbinden, wenn wir auf diesen Irrtum, der leider in der Luft zu liegen scheint, aufmerksam machen.

I.

Friedrich Nietzsche* ist der unglückliche Philosoph, der in Deutschland nur einer ganz kleinen Gemeinde bekannt ist, im

* Friedrich Nietzsche. Seine Persönlichkeit und sein System. Von Ola Hansson. (Leipzig, Verlag von E. W. Fritzsch.)

Anslande aber bereits viele junge Köpfe befruchtet hat. Nietzsche selbst, der mit fünsundvierzig Jahren schon seit Jahr und Tag schwer erkrankt ist und auf dessen Genesung kaum mehr ge­rechnet wird, hat sich eben vor der Welt in seine geliebte Ein­samkeit zurückgezogen, in die stillste Einsamkeit, in die des Wahnsinns.

Auch Hansson vermißt an ihm das System. Ich lasse cs dahingestellt, ob nicht das Wertvollste an jeder bisherigen Philosophie die Gedankenblitze waren, während der systema­tische Teil regelmäßig vom Nachfolger überwunden wurde. Wie dem auch sei, Hansson scheint mir in die Darstellung von Nietzsches Persönlichkeit selbst zu viel System zu bringen, wenn er zwei große Perioden in seiner Schriststellerlansbahn unter­scheidet. Die Sache liegt doch wohl einfach so, daß Nietzsche zuerst recht unselbständig Variationen über die Ideale von Schopenhauer und Wagner schrieb, dann aber plötzlich das Gängelband von sich warf, Richard Wagner mit blutiger Ironie verleugnete und von Schopenhauer nichts mehr hoch hielt und nachahmte als die Meisterschaft der Sprachenbehandlnng. In­folgedessen sind die einzigen zusammenhängenden Schriften Nietzsches objektiv Schülerarbeiten nnd subjektiv von ihm selbst preisgegeben, also für uns durchaus belanglos. Wir haben uns allein an seine Aphorismen zu halten nnd uns vor allem zu hiiten, diese wieder in ein System zu zwängen.

Die Schrift von Ola Hansson hat nun das große Ver­dienst, daß sie uns zwar ans dem Titelblatt ein System ver­spricht, dann aber trotz allem bösen Willen, Ordnung in das ungeordnete Wesen zu bringen, im wesentlichen nichts anderes ist als ein Überblick über Nietzsche's wichtigste Gedanken, für den eigenen Gebrauch des Verfassers, möchte man fast sagen. Und da der Dichter, wenn er für sich selber arbeitet, sich einen Gedanken nur klar machen will, während er oft den andern etwas weiß macht, gerade wenn er für die andern zn schreiben vorgiebt, so ist ein solcher Jdeenanszng nützlicher.

Mit den metaphysischen Arbeiten Nietzsches, welche mit der Zeit seines Wagnertnms zusammensallen, weiß Hansson be­greiflicherweise nicht viel anznsangen. Der Dichter kann sich von einem Philosophen anregcn lassen, wenn er unmittelbar mit ihm in geistigen Verkehr tritt; was aber Nietzsche damals bot, war teils eine Verdünnung, teils eine gequälte Fortfüh­rung Schvpenhanerscher Begriffe, welche durch Mischung mit nebelhaften Wagnerschen Sprachgcbilden nicht anschaulicher wurde.

Was bei Nietzsche ans seine Genesung von Wagner folgte, das erst erregt mit Recht das Entzücken des jnngen Skandi­naviers. Mit der Bilderpracht, welche ihm auch in seinen Gedichten zn Gebote steht, feiert Hansson den Glanz des Gei­stes, den er entscheidend ans sich wirken ließ.Der Mann, der uns jetzt gegenübersteht, hat tiefe Leidensfnrchen in den Zügen, selbst der Glanz seines Lachens ist kalt wie blanker Stahl, nnd in dem durchdringenden Blicke seiner Angen ver­rät sich die Fvrscherlnst, deren Rücksichtslosigkeit viel von Grau­samkeit an sich hat. Er nimmt das Geziefer des unbewußten Seelenlebens unter sein Mikroskop, er spießt es ans an der Spitze seiner Gedanken, wie der Entomologe die Insekten auf seine Nadeln. Jeder kleinste Satz von seiner Hand hat ein unvergleichlich frisches Aroma, eine Freiluftstimmung von Mor­gensonne und jungem Grün."

Nietzsche selbst ist so sehr Dichter, daß es den Genossen wie der Ton einer gleichgestimmten Saite berühren mochte. Das abstrakte Denken Nietzsches jedoch erst, worauf es seinem Bewunderer wohl am meisten ankam, soll den Dichter der Zu­kunft befruchten.Die von Nietzsche verkündeten Grundideen gehören zu denen, die ans allen Gebieten von Leben und Kultur aufgestellt werden können; huldigt ihnen der Dichter, so müssen sie eine ganz neue Litteratnr aus ganz neuen Voraus­setzungen schaffen." Hier treffen wir auf den Punkt, in welchem Hansson theoretisch so sehr irrt, daß er auch in der dichterischen Praxis auf einen Abweg geraten mußte.

Die Geistesthaten Nietzsches gehören nämlich vorwiegend