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Nr. 48
Erscheint Sonnabends
und ist in der Post-ZeitungsprciSliste uittcr Nr. 1738 eingetragen.
Berlin, den 30. August.
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MV.
Anhalt : Licbcstäuschnng. Novelle von Ola Hansson (Fortsetzung). — Der neueste religiöse Spleen. Von Hans Werner. — Franenstndinm. Von Otto Neninnnn-Hofcr, — Dagoberts Traum. Eine Skizze von Anna Bock. — Ursprung und Entwicklungsformen des Eigentums. Von Prof. l)r. Ludwig Stein (Zürich). — Das geistige Leben in der Bukowina. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Österreichs. Von Moriz Stckel. — Die hydraulische Gleitbahn. Von Leo Sicherstem. — Der Fall Paul Lindau. Von F- M. — Kleine Kritik.
Lrebestsusrhung.
Novelle
von
^ I vr el. PL ^ ^ o lNl. (Fortsetzung.)
III.
Doktvrwohmmg lag zwischen dem Kirchdorf und der Eisenbahnstation. Ein paarmal am Tage gingen die Fränlein Holm nach der Post des Pastorats auf die Station, und gewöhnlich begleitete sie ihr Sommergast. Alle zusammen pflegten dann beim Doktor vorznsprechen, und die Jugend verbrachte gewöhnlich den Rest des Tages zusammen, bald hier, bald da in den beiden Familien. Während dieses fast stündlichen Verkehrs entwickelte die Intimität zwischen Sigrid und Björkman sich unmerklich durch alle die ineinander übergehenden Phasen, die eine zunehmende Anziehung durchmacht und durch die sie einer Pflanze ähnlich wird: man sieht wohl, daß sie heute höher ist als gestern, sieht wie die Knospe sich bildet und die Blume sich erschließt; aber man hat nicht zu unterscheiden vermocht, wie die eine Zelle sich aus und aus der andern erbaute.
Als sie eines Abends spät auf dem Heimweg vom Pastorat waren, schlug jemand vor, auf die Tannenhöhe zu gehen. Aus dem Terrain der Doktorwohnung, ganz nahe am Wege, lag nämlich ein kegelförmiger Hügel, mit Nadelwald bewachsen. Es war eine ungewöhnlich dunkle Sommernacht; der Himmel war wolkenlos und besät mit Sternen; aber der Mond war noch nicht aufgegangen. Unter der Tannengruppe war es so finster, daß man nicht die Hand vor Augen sehen konnte; die weißen Kleider schimmerten undeutlich in der Dunkelheit. Man tastete sich auf dem Fußpfad vorwärts, der sich den Abhang zwischen den Bäumen hinaufschlüngelte; es knisterte und raschelte unter den Füßen, die auf den glatten Tannennadeln ausglitten, von denen der Boden bedeckt war. Schließlich kam
man an eine Grotte, die durch Unterhöhlung eines Vorsprungs gebildet war und an deren Seiten man Sitzplätze aus Rasen- büuken gemacht hatte. Hier ließ mau sich nieder, die Kreuz und Quer.
Sigrid und Björkman waren zusammen gegangen; sie setzten sich nebeneinander. Rund um die kleine Gruppe war es so finster und still, als gäbe es kein Licht in der Welt und als sei alles Leben ansgestorben. Der Himmel war nicht sichtbar, die Bäume standen unbeweglich, kein Tier regte sich; sie selbst konnten einander nur ganz schwach unterscheiden und saßen alle schweigend; bloß dann und wann ließ jemand ein einsilbiges Wort fallen, raschelte ein Kleid, scharrte ein Fuß.
Er war zu ihren Füßen niedergeglitten, und sein Kopf lehnte sich leicht au ihr Knie; sie neigte sich vor und sah sein Gesicht dunkel unter dem ihren. Woran dachte er, was fühlte er? Traurige Gedanken, wunde Gefühle mußten es sein, und in verborgenen Kanälen schienen sie hinüberzugleiten in ihre Seele; denn weshalb war ihr wohl sonst so wunderlich zu Mut, so weich und traurig, weshalb standen Thrünen in ihren Augen, und weshalb schwoll ihre Seele wie unter einem Misereregesang voll kranken Wohllauts? Wie er einsam sein mußte, er, der niemals froh sein konnte wie die andern; und was das für eine süße Erquickung war, selbst gut zu sein; und sie, die glücklich war, sie wollte gut, immer gut gegen ihn sein-—
Es leuchtete weiß unter ihren Augen, und sie beugte sich nieder im Dunkel und drückte einen langen Kuß auf die Stirn des jungen Mannes.
Was bestimmt Sym- und Antipathieen zwischen Mann und Weib? Sicherlich physiologische Bedingungen, von dem andern Teil ganz unaufgelöst, unbewußt, instinktiv empfunden, vielleicht bloß in der einen oder anderen unbedeutenden äußeren Eigentümlichkeit sich verratend. In der eigentümlichen Struktur der individuellen Urmaschine wohnen, verborgen und unwahrnehmbar, die Kräfte, die zwei Räderwerke so verketten, daß sie mit ihren Zähnen ineinandergreifen, ebenso wie das intimste