Heft 
(1889) 48
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er notorischüber die Puppen" lobte. Über Punkt eins und zwei könnte ich mich hinwegsetzen, über Punkt drei nicht.

Die Bedrohung des Fräulein Else nämlich ist entweder eine Nötigung im Sinne des Strafgesetzes, und dann hatte der Staatsanwalt seine Pflicht zu thnn und nicht die Presse, oder es ist eine reine Privatangelegenheit zwischen zerzankten Liebesleuten. Und daß ich nur mein ganzes Herz entdecke: mir sind Lindaus Dummheiten ans diesem Anlasse sympathisch. Offenbar war sein Herz lebhaft beteiligt, als er sich soweit vergaß, einen lebendigen Menschen in die Acht zu erklären und ihm wie ein römischer Machthaber Wasser und Feuer zu ent­ziehen und Brot und Salz dazu. Aus kalter Bosheit Hütte Lindau sich niemals solche Blößen gegeben; und Temperament scheint mir immer erfreulich, selbst wenn es Fehler begeht. Also: Lindau, der in der ersten Aufregung kompromittierende Briefe schreibt, ist in diesem Punkte besser als Fräulein Else, welche diese intimen Briefe gegen ihren ehemaligen Freund be­nützen läßt. Wenigstens ein deutsches Gretchen hätte anders gehandelt; freilich hat niemand das Recht, von Fräulein Elfe zu verlangen, sie solle Gretchen sein oder spielen.

Die angreifenden Zeitungen machen aber aus dieser Boy­kottierung des Fräulein Else eine Staatsaktion, bringen sie mit dem System Bismarck in Verbindung und fordern als Sühne den Zusammenbruch der ganzen gegenwärtigen Gesell­schaft. Mit Verlaub, mit solchem Pathos wird Lindau zu viel Ehre erwiesen und dadurch eben unrecht gethan. Lindau wird als der gegenwärtige Litteratur-Papst dargestellt, nur um nachher aus seinen Sünden eine Verdammung der ganzen Bonrgeois-Litteratur" folgern zu können. Aber so liegt die Sache doch nicht. Wenn man die besten Namen der deutschen Dichtung nennt, wird Paul Lindaus Name kaum genannt. Der angesehenste, beliebteste Journalist ist er jedoch nicht, wie das so hingeschrieben wird, durch Gemeinheit und Cliquenwesen geworden, sondern zuerst durch sehr solide Kämpfe, durch Fleiß und durch Fähigkeiten. Daß er seine seltenen Fähigkeiten von welchen wir Schriftsteller unter fünfzig Jahren alle das eine oder das andere gelernt haben mit großem Fleiße mißbraucht hat, ist nicht schön, aber für uns keine Neuigkeit. Daß ein Mann, wenn intime Beziehungen aufgehört haben/ das Weib aus seiner Nähe zu entfernen sucht, ist ebenfalls weder schön noch neu. Bleibt also als ungewöhnlicher Vor­wurf bestehen, daß Lindau seinen Einfluß als Schriftsteller gegen das Fräulein ansgespielt hat. Der Knecht prügelt seine Geliebte, wenn er sie los werden will, der Bankier schickt ihr Geld, der Journalist bedroht die Schauspielerin mit seinem Einfluß. Ich brauche nicht erst zu versichern, daß ich die Handlungsweise des Journalisten für schlimmer halte, als die des Knechts und des Bankiers. Aber mein Gerechtigkeitsgefühl verbietet mir, Paul Lindau wegen einer Lebensanschauung einen Schurken zu nennen, welche nenn Zehntel aller Zeitungsge- schüftslente mit ihm teilen, daß nämlich die Feder eine Waffe sei, die man auch zu seinem persönlichen Vorteile führen dürfe. Ich habe meine Meinung über diese Dinge vor zwei Jahren in einem winzigen Büchlein,Schmock" genannt, dargelegt, und es ist darum ebenso totgeschwiegen worden, wie anfangs die Anschuldigung Lindaus. Ich kann dieses Büchlein keinem meiner Leser empfehlen; denn es stehen darin bittere Dinge, und da ich keine Namen nenne, so fehlt der pikante Reiz. Nach dieser meiner unverändert gebliebenen Meinung begehen die meisten Theaterkritiker täglich das Unrecht, welches nun Lindau allein begangen haben soll und welches ihm znm Ver­brechen gemacht wird. Ich frage diejenigen Kollegen, welche ebensowenig wie ich in einem Glashause wohnen: wie viele freundliche Kritiken oder Notizen mögen jährlich geschrieben werden, um einer hübschen Schauspielerin für einen flammen­den Blick oder für brutalere Liebkosungen zu danken? und wie viele böse Notizen werden niedergeschrieben, um die hübsche Schauspielerin erst freundlich zu stimmen? Hundert nichts­würdige Buben treiben ohne ertappt zu werden dieses Handwerk. Und darum empört es mich, daß Paul Lindau,

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der im Grunde ein guter Kerl ist und der sich in der Leiden­schaft hat ertappen lassen, plötzlich unter den Rang dieser schlauen Buben geworfen wird.

Ich bin hier etwas ausführlich geworden, weil ich nicht gern mißverstanden werden wollte. Ich finde den Mißbrauch literarischer Amtsgewalt so strafbar, daß ich dem dankbar bin, der ein Exempel statuiert hat; ich bin aber überzeugt, daß das Exempel an einem statuiert worden ist, der besser war als viele andere.

Der zweite Punkt, daß Paul Lindau sich nämlich bei seinen Arbeiten von Fräulein Else helfen ließ, das geht die Öffentlichkeit ganz und gar nichts an. Hat er sich mit dem völlig talentlosen Hugo Lubliner zur Abfassung eines Schauspiels vereinigt, so darf doch auch das begabte Fräulein Else seine Mitarbeiterin werden. Ob deren Name auf dem Zettel stand oder nicht, das ist allein ihre Sache. Und Ge­schmackssache wiederum ist es, ob man sich lieber Hand in Hand mit Lubliner oder mit Fräulein Else vor dem Publikum zeigt. Nun rufen aber die Ankläger entrüstet, Lindau habe auch die Theaterstücke, welche er im Dienste des Deutschen Theaters zu prüfen hatte, von Fräulein Else lesen und begutachten lassen. Auch hierin kann ich leider nichts erblicken, was uns etwas angeht. Wenn L'Arronge Lindau dafür bezahlt, daß Lindau die Stücke Prüfe, die bei L'Arronge eingereicht werden, und wenn Lindau aus Faulheit diese Thätigkeit auf einen anderen abwülzt, so liegt eben nur eine Pflichtwidrigkeit gegen den Leiter des Deutschen Theaters vor. Denn Herr L'Arronge darf die bei ihm eingereichten Stücke lesen lassen, von wem er will, von seinem Dramaturgen oder von seinem Portier, von Paul Lindau oder von Paul Lindaus Köchin. Für die Ge­schäfte des Deutschen Theaters ist die Wahl des Lektors sehr wichtig, auch die Entwickelung des deutschen Dramas kann einmal davon beeinflußt werden, ob ein neues Talent beizeiten zu Worte kommt oder nicht. Aber weder L'Arronge noch Paul Lindau sind verpflichtet, bei ihrer Thätigkeit an das deutsche Drama zu denken. Wenn Lindau beauftragt wird, mit seiuem eigenen Verstand zu urteilen, und läßt einen frem­den Verstand für sich arbeiten, so hat nur sein Auftraggeber das Recht zu klagen. Ein ähnlicher Fall lüge z. B. vor, wenn Paul Lindau etwa von einem Weltblatte gewonnen würde, um für dasselbe Berliner Briefe zu schreiben; versähe Lindau nun einmal die billige Arbeit eines andern mit seinem Zeichen, ich meine mit einer witzigen Einleitung oder mit seiner Unter­schrift, so wäre ebenfalls nur das Weltblatt geschädigt, am Ende vielleicht auch noch Paul Lindau selbst, keineswegs aber die deutsche Literatur. Anders lüge der Fall, wenn das Welt­blatt oder der Theaterdirektor eine Ahnung davon gehabt haben könnten, daß sie ihren Mitarbeiter für fremde Arbeit bezahlten.

Und hier komme ich zu dem dritten Punkte, welcher wirk­lich ohne Pathos und ohne Übertreibung an die Ehre der Berliner Theaterkritiker rührt. Als Pauk Lindau von dem Blatte, dessen erster Feuilletonist er ist, der Welt als Mitar­beiter verkündet wurde, hielt man es für selbstverständlich, daß der im Dienste eines Theaters stehende Dramaturg nicht zugleich der Kritiker dieses Theaters sein dürfe, und das Blatt hat in einer redaktionellen Feuilletonnotiz zu diesem Zwecke ausdrücklich er­klärt, daß Lindau aufgehört habe, Dramaturg des Deutschen Theaters zu sein. Die Briefe an Fräulein Else aber scheinen mit Bestimmtheit zu ergeben, daß Lindau nach wie vor dieses Amt bekleidete, daß Adolf L'Arronge ihm etwas zu sagen hatte. Er schreibt einmal:Das beifolgende Stück lies gleich! Und schreib' mir unverzüglich Dein Votum. Adolf hat es schon dringend reklamiert!" Diese Worte scheinen einen Be­weis zu liefern. Man fragt sich, wer da gefoppt wurde? Der Direktor, die Zeitung, das Publikum oder alle zusammen? Immerhin ist aber jede Anklage einseitig, und wir wollen den Beweis noch nicht gelten lassen, solange Lindau nicht geant­wortet hat. Hütte Lindau aber in der That heimlich ein Ho­norar als Dramaturg sei es unter diesem oder jenem Titel von demselben Theater bezogen, welches er jahrelang

Deutschland.