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Deutschland.
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nachgepreßt werden mnß. Dieser Verbrauch ist recht groß, einen Liter pro Tonne Last in der Sekunde, so daß man für längere Strecken Wasserstationen errichten müßte, um die Kessel des Tenders von Zeit zu Zeit nachfüllen zu können.
Die neue Eisenbahn läuft also gewissermaßen auf Schlittschuhen. Der Widerstand ihrer Reibung ist ein so erstaunlich geringer, daß, um tausend Kilogramm zu befördern, eine Kraftanwendung von einem halber: Kilogramm genügt. Ein Kind könnte diese Last den Schienenstrang entlang ziehen, ohne sobald zu ermüden. Auch gestattet das sanfte Dahingleiten ohne Stöße und Erschütterungen einen viel leichteren Bau der Fahrzeuge, so daß es uns nicht schwer wird zu glauben, was uns Barre, der Mitarbeiter Girards, vorrechnet. Einer unserer gewöhnlichen Eilzüge, der an Personen und Gepäck zweiundzwanzig Tonnen befördern soll, ist gezwungen, außer diesem noch an Lokomotive und Waggons eine unnütze tote Last von Hundertels Tonnen mitzuschleppen. Das Ganze erfordert hnu- dertviernudneunzig Pferdekräfte.
Wie ganz anders die hydraulische Gleitbahn! Dieselbe Ladung von Personen und Fracht soll nur einunddreißig Tonnen toter Wagenlast bedürfen und von zwölf Pferdekräften fortgetrieben werden. Und dem entsprechend ist auch der Unterschied des stündlichen Kohlenverbranchs von dem ersten znm zweiten Fall: vierhnndertzwanzig Kilogramm gegen vierundzwanzig Kilogramm. Freilich stehen diese Vorzüge vorläufig noch auf dem Papier: aber es ist wahrscheinlich, daß die Praxis sie zum größten Teil bestätigen wird.
Dieser leichte, billige Betrieb erschöpft nicht die Güte der Erfindung, welche uns noch zwei andere wertvolle Seiten bietet: Raschheit und Sicherheit. Der schnellste amerikanische Zug, der neunzig Kilometer in der Stunde macht, wird weit über- trossen von der Gleitbahn, welche in derselben Zeit zweihundert Kilometer zurücklegt, ohne zu befürchten, daß die Radachsen sich erhitzen, da sie eben keine besitzt. Und dabei gleitet sie ohne lästigen Lärm, ohne Rauch und Staub dahin, sanfter und angenehmer, als selbst der „Fliegende Schotte," der vormittags zehn Uhr von London nach dem Norden abgeht und als der beste Eilzug der Welt bekannt ist, in welchen: man gemütlich und ungerüttelt seine Partie Skat spielen kann.
(Schluß folgt.)
Der Ksul Lmüsu.
Von
I. M-
^>?7^aul Lindau, der es so gern hat, wenn auf ihn mit -NA Fingern gezeigt wird, hat schon einigemal in seinen: bewegten Leben empfinden müssen, wie bitter es ist, unfreiwillig der Gegenstand der allgemeinen Beachtung zu sein. Es ist aber nur die Kehrseite der etwas zu lauten Popularität, welche er sich unermüdlich zu erwerben gewußt hat, wenn seine kleinen Unglücksfülle ebensoviel beklatscht werden, wie seine Erfolge.
Seit einigen Wochen nun giebt wieder einmal der Fall Paul Lindau den Gesprächsstoff für alle Kreise Berlins, welche sich für die Litteratur oder für deren Coulisfen interessieren. Die Berliner „Volks-Zeitung," ein ernstes Blatt, den: bisher niemand Skandalsucht zum Vorwurfe machen konnte, hat in einer Reihe von Aufsätzen gegen den bekannten Schriftsteller Vorwürfe der schlimmsten Art erhoben und hat ihre Behauptungen durch Abdruck äußerst kompromittierender Briefstellen bewiesen. Die zahlreichen Freunde Lindaus suchen die Geschichte totznschweigen; der ganze Streit ist uns zu schmutzig, sagen sie mit einigem Schein von Recht. Schmutzig ist freilich vieles an der Sache; da aber die Ehre und die Würde des Berliner Schriftstellerstandes, insbesondere der Berliner Theaterkritik in
Frage gestellt worden ist, so sollte doch auch der vornehmste Journalist nicht verschmähen, in seinem Blatte zu dem Fall Paul Lindau Stellung zu nehmen. Nicht als ob ich den groben Ton der „Volks-Zeitung" oder die beginnende Lindau- Hetze boshafter kleiner Lindau-Nachahmer gut heißen würde. Derjenige, der in einem Glashause wohnt, soll freilich nicht mit Steinen werfen; damit ist aber noch nicht gesagt, daß ein jeder sofort mit Steinen werfen müsse, der zu seinem Glücke ein gutes Gewissen besitzt. Betrachten wir doch einmal die Sachlage ehrlich und milde wie Leute, denen die Persönlichkeit Paul Lindaus trotz der Vergeudung seines Talents, trotz seiner Charakterschwächen und trotz alledem nicht gerade unsympathisch geworden ist. Und den Klatsch wollen wir so viel als möglich vermeiden.
Paul Lindau also stand etwa zwei Jahre lang in nahen Beziehungen zu Fräulein Else v. S., einer jungen Russin, welche als deutsche Schauspielerin recht mittelmäßig, als deutsche Schriftstellerin sehr begabt, jedesfalls in der Unterhaltung ausländisch anregend ist. Fräulein Else, welche eine ebenso nützliche Freundin wie rachsüchtige Feindin zu sein scheint, unterstützte den berühmten Mann bei seinen „schriftlichen Arbeiten." Sie las fiir ihn die Theaterstücke, über welche er dem Deutschen Theater zu referieren hatte, und Paul Lindau lieferte Abschriften von Elses Urteil in der Kanzlei ab; sie half ihm, was allein allerdings nicht sehr für ihre Begabung sprechen würde, bei der Abfassung seines Schauspiels „Der Schatten," und zwar half sie da sowohl bei der Fertigstellung des Plaues wie bei der Ausführung einzelner Scenen. Für so viele Dienste zeigte sich Lindau unter anderem auch dadurch dankbar, daß er Fräulein Else beim Direktor des Berliner Residenz-Theaters „protegierte." Die Beziehungen zwischen Lindau und Fräulein Else nahmen aber ein jähes Ende. In seinem Zorn vergaß sich der verabschiedete Schriftsteller soweit, Fräulein Else ans- zufordern, daß sie Berlin augenblicklich verlasse, widrigenfalls er sie mit seiner gefährlichen Feindschaft bedrohte. Die Schauspielerin, welche inzwischen noch durch Lindaus Vermittelung ein Engagement bei Barnay gefunden hatte, trotzte jedoch ihren: einflußreichen Gegner. Das hatte für sie zur Folge, daß sie außer einem einzigen Male nicht wieder auftreten durfte; und die „Volks-Zeitung" deutet an, daß es auch Lindau war, der die Aufführung eines Schauspiels von Fräulein Else verhinderte, eines Schauspiels übrigens, welches wenigstens in der Charakteristik seiner Titelfigur — das Stück heißt „Ein berühmter Mann" — eii: hervorragendes Talent verrät.
Die „Volks-Zeitung" hat das Verdienst, einer ernsten Sache zuliebe den Vorwurf der Skandalsucht auf sich geladen zu haben. Aber sie hat nach meiner Meinung „nicht scharf genug zwischen dem unterschieden, was vor die Öffentlichkeit gehört und was nicht. Fräulein Else hat in ihrer bemerkenswerten Rachsucht das ganze Briefmaterial zur Verfügung gestellt und dieses, — wo ihr es anfaßt, ist es interessant. Alle diese Äußerungen voll Frivolität über seine Kollegen und über sein Blatt — ich würde für mein Blatt empfindlicher sein — sind nicht nur für die eingeweihten Kreise, was man „ein gefundenes Fressen" nennt; halb Berlin lacht auf Kosten Lindaus und seiner Freunde. Alle diese kleinen Scherze, welche allerdings dem Fall erst solche Beliebtheit beim Publikum verschafft haben, Hütten bei dem Angriff der „Volks-Zeitung" unterdrückt werden müssen. Dann hätte sich erst herausgestellt, was bei diesem Handel an den Pranger gestellt zu werden verdient.
Die Blätter, welche den Fall bisher besprochen haben, legen zu meiner Überraschung das Hauptgewicht auf zwei Punkte, über welche ich mich nicht ereifern kann, und erwähnen nur nebenher einen Umstand, über welchen kein anständiger Journalist schweigen sollte. Die drei Punkte sind folgende: 1. Paul Lindau benützt seinen ganzen Einfluß, um eine Schauspielerin aus privaten Gründen zu schädigen; 2. Paul Lindau hat sich von dieser selben bei seinen Arbeiten helfen lassen; 3. Paul Lindau, der Kritiker eines großen Berliner Blattes, stand zu gleicher Zeit im Solde eines Direktors, dessen Theater