Heft 
(1889) 48
Seite
781
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ÜVF 48.

Deutschland.

Seite 781.

Hebung, der Erhaltung des geistigen Lebens gelten soll. Im Kaffeehanse oder im Kasino liest man flüchtig die Zeitung und meint seiner Zeit damit genug gethan zu haben. In der Bu­kowina erscheinen drei deutsche politische Zeitungen, einige Fach- blütter fristen auch ein kärglich Dasein. In jüngster Zeit fand sich ein opferbringender Journalist, der eine belletristische Zeit­schrift:Im Buchwald" herausgiebt, und man kann mitunter ein junges Talent seine ersten Flüge versuchen sehen, aber wie bemerkt es fehlt im Lande jener litteraturfreundliche Zng, der so befruchtend auf das geistige Leben wirkt. Die Zeitungen suchen eben auch ihrer Zeit genug zu thun, nur selten wird ein Schritt darüber, einem ideellen Ziele zu, gethan.

Tiefe Ruhe rings umher. Wer doch die Lungenkraft be­säße, nm die Langschläfer zn wecken. Es ist Tag, überall guckt Heller, leuchtender Sonnenschein hinein, aber bei uns herrscht künstliche Finsternis. Auf, die Jalousieen auf! daß es auch in der Bukowina tage, auf daß auch in diesem fernsten Winkel deutscher Kultur das geistige Leben erwache zu regsamer Thütigkeit!

Die hgürsulisrhe Gleittmhn.

Von

Leo Silbe vstein.

er moderne Mensch nennt einen größeren Teil von den Schönheiten der Erde sein eigen als unsere Vorfahren. Diese schauten und kannten selten mehr als die fruchttragende Scholle, auf der sie wohnten. Wenn sie am stillen Sommerabend auf der Bank vor dem Hause saßen, oder wenn nm Tisch der Wirtsstube Nachrichten fremder Länder durch die Runde schwirrten,wie hinten in der Türkei die Völker aufeinander schlagen," dann füllten sich die Vorstellungen mit sagenhaften Bildern, das kleine Städtchen mit seinem trocke­nen Alltagsleben dehnte sich vor ihrer Phantasie zu einer großen, mürcheubunten Welt, wunderbar und ihrem Auge ebenso unendlich entrückt, wie der Himmel und die Hölle, welche sie aus demselben Hörensagen und Fabulieren kannten. Ganz an­ders heute. Wir besitzen geistig die Welt durch ein sicheres Wissen,: telegraphische Nachrichten knüpfen uns täglich von neuem au die entlegensten Erdteile; die Schicksale der entfernten Meuscheubrüder, ihre Leiden und Freuden beschäftigen unser Gemüt; unsere kulturellen und künstlerischen Bestrebungen, un­sere geistigen und politischen Kümpfe verschwistern sich mit den ihrigen. Aber nicht nur geistig, auch Physisch umfpannen wir den Raum. Gestern noch in Berlin, in wichtigen Geschäften, ist es uns möglich, morgen die Naturwunder der Alpen zu genießen, übermorgen die Pracht der untergehenden Sonne, die sich in den Goldwellen der Riviera badet, und vierundzwanzig Stunden später den lachenden Himmel, der sein klares Gewölbe über den bläulich schimmernden Vesuv breitet.

Mit der zunehmenden Schnelligkeit und Billigkeit der Ver­kehrsmittel wächst auch unser Eigentum an der Erde, der Ge­nuß der mannigfaltigsten Reichtümer der Natur; die Welt liegt gleichsam hart vor unserer Thür, sie wird zum Vorgarten unserer engern Heimat. Mit der Einführung des Zonentarifs eröffnet sich auch dem dritten und vierten Stand die Möglich­keit, im Fluge die Länder zu durchstreifen und in der Weite jene Erholung zu suchen, welche das in enger Werkstatt und in der Sorge um das tägliche Brot verdumpfte Gemüt zu neuer Thütigkeit kräftigt und auffrischt.

Einen tüchtigen Schritt dieser Zukunft entgegen trägt uns eine Erfindung, die auf der Ausstellung in Paris das Staunen und Interesse der Fachmänner wachgerufen hat: Die hydrau­lische Gleitbahn von Girard und Barre.

Der Franzose Girard hatte sich Mitte dieses Jahrhun­derts mit der Konstruktion eines Wasserrades beschäftigt, das unter dem Namen der Girard-Turbine in der Industrie

bekannt ist, als er um das Jahr 1852 auf die Idee kam, die Wasserkraft, welche sein Schaufelrad im Kreise drehte, zu einer geradlinigen Fortbewegung zu benützen. Er befestigte unter einem leichten Waggon eine Zahnstange, deren Zähne groß waren wie Schaufelflüchen, und indem er gegen diese einen kräftigen Wasserstrahl richtete, geriet das Fahrzeug in Be­wegung. Der Wasserstrahl bläst also in die Schaufelslüchen genau so wie der Wind in die ausgespannten Tücher eines Segelschiffes. Um nun gegen die Schaufeln des enteilenden Wagens unaufhörlich Wasser schleudern zu können, erweist es sich als notwendig, in Entfernungen von je fünfzehn oder zwanzig Metern eine ganze Reihe von Wasserspeiern aufzu­stellen. Wenn der Zug über einen Speier hinweggerollt ist, muß vorne der Tender schon selbstthütig mit einem Haken den Hahn des folgenden Speiers erfaßt und geöffnet haben, damit durch den Mund desselben frisches Wasser hervorstürze und den Zug weiter jage, die Schienen entlang, dem nächsten Wasser­speier zu. Zischend gleitet unterdes das gediente Wasser von den Schaufeln und versprudelt. So wiederholt sich das Spiel immer wieder; ein Strahl nach dem andern treibt die vorüber­sausenden Wagen, denen voran keine Lokomotive keucht, kein Rauchfang seine schwarzen Wirbelmassen in die Luft wirft. Welch ein Vorteil für das Befahren steiler Rampen, wo die Lokomotiven im Bergaufklimmen so sehr an eigener Last zu schleppen haben, daß ihre Rüder auf den Schienen zu gleiten beginnen und es manchmal versagen, den übrigen Teil des Zuges nach sich zu ziehen. Rückt man die Wasserspeier näher, etwa auf sieben Meter, aneinander, dann kann der Zug eine Steigung von 162 mit Leichtigkeit überwinden.

Die Wasserspeier stehen durch lange Rohrleitungen mit dem Pumphause der fernen Station in Verbindung, von wo aus immer frisches Wasser herangepreßt wird. Das gediente Wasser, das von den Schaufeln abgleitet, füllt in eine Sam­melrinne, welche längs den Schienen läuft, und wird durch diese wieder nach der Station zurückgeleitet. So geht von dem Wasser im großen und ganzen nichts verloren. Und diese Sparsamkeit ist von nöten, sonst könnte man an vielen Orten die riesigen Wassermengen gar nicht beschaffen, welche durch den Verbrauch verschlungen würden.

Diese neue und eigenartige Benützung der Triebkraft des Wassers würde noch lange nicht die überraschenden Vorteile geboten und das allgemeine Erstaunen wachgerufen haben, wenn nicht Girard eine zweite sinnreiche Erfindung hinzugefügt Hütte. Sein Eisenbahnzug läuft thatsüchlich auf Wasser. Wenn in Winterszeit auf eisglatter Flüche die Schlittschuhläufer durch­einander schwirren, dann mag Wohl in dem einen oder andern Geiste der Gedanke an eine Gleitbahn aufgetaucht sein, auf welcher der Personen- und Warenverkehr der Eisenbahnen sich leichter abwickeln würde, als auf rollendem Rade. Der prak­tische Techniker freilich Hütte ein solches Projekt als unaus­führbar abweisen müssen, ja, er Hütte es geradezu belächelt. Denn wie wäre es denkbar gewesen, eine so durchaus glatte Eisbahn in solcher Länge herzustellen. Jedoch Girard wußte dieser Idee Gestalt zu verleihen. Er stellte seine Waggons nicht auf Rüder, sondern auf vier hohle gußeiserne Schuhe, welche auf breiten, glatten Schienen laufen. Nun kann man es von jedem Praktiker hören, daß die Reibung noch immer eine enorme sein muß, mögen die Schienen noch so spiegelnd gehobelt sein. Diese Reibung zu beseitigen, brachte Girard zwischen Schuh und Schiene eine papierdünne Wasserschicht, so daß der Zug nicht eigentlich über die Schienen, sondern über das Wasser hingleitet. Vom Tender führen Rohre in die Höhlungen der Schuhe. Man kann durch dieselben kräftig Wasser Hineinpressen, dieses tritt aus Öffnungen an der Boden­flüche der Schuhe aus und drängt sich zwischen Schuh und Schiene. Und zwar drängt es sich mit solcher Kraft da­zwischen, daß es die Schuhe samt der ganzen Wagenlast um ein geringes, etwa um einen halben Millimeter, von den Schie­nen abhebt. Natürlich tropft zu beiden Seiten der Schuhe stetig Wasser ab, so daß vom Tender aus fortwährend frisches