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Deutschland.
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kowina eine Zeit geistigen Erwachens, möchte ich sagen. Eine Dichterjugend war plötzlich da und fand in wechselseitigem Verkehre und edlem Wetteifer Anregung. Der damalige Gymnasialprofessor Ernst Rudolf Neubauer stand an ihrer Spitze und um ihn scharten sich Franzos, Katz, Lupul, Sauerquell, Kaufmann, Staufe-Simiginowitz u. v. a. Almanache mit lesenswerten heimatlichen Beitrügen waren willkommen geheißene Gaben und wurden nicht nur gelesen, sondern auch gekauft, und von einer lorbeergekrönten Zukunft träumten unsere Poeten. Der Ernst des Lebens war diesen schönen Träumen nicht hold. Ernst Rudolf Neubauer, der vor kurzem starb, hat manches Schöne auf dem Gebiete der Dichtkunst geboten; der Name Franzos ist in deutschen Landen gut gekannt; Ludwig Adolf Staufe-Simiginowitz wirkt als Professor der Präparandie in Czernowitz und hat Sagen des Heimatlandes ausgezeichnet, und manch schätzenswerter Beitrag zur Volkskunde der Bukowina hat ihn populär gemacht. Die anderen sind vergessen und verdorben und verschollen.
Doch ich will nicht ungerecht sein. Zu allen Zeiten hat es einzelne Männer gegeben, denen das geistige Wohl der Bukowina am Herzen lag und welche der Liebe zum Heimatlande neue Nahrung dadurch zuzuführen strebten, daß sie dessen Vergangenheit der Mitwelt erschlossen und dadurch die Gegenwart besser verstehen lehrten. Es hat immer Männer gegeben, welche ihren Mitbürgern einen Spiegel vorhielten, in welchem sie die Reize des Buchenlandes bewundern konnten, wo sie seine Schütze und Juwelen entgegenleuchten sahen. Schon der Erzbischof Bendella hat dies in den vierziger Jahren versucht. Seinen Spuren folgte Handelskammersekretür Mikulicz, dessen Berichte noch heute eine wahre Fundgrube über die Entwickelung des Handels, über das erste Keimen einer Industrie, über die Besiedelung des Landes und der Landeskunde überhaupt sind. Er war ein Mann, dessen Wirken auch in geistiger Beziehung in der Bukowina unvergessen sein wird. Der Historiker der Bukowina erstand erst im Jahre 1862, als Franz Adolf Wickenhauser mit dem ersten Band seiner „Moldawa," Geschichte des Klosters Moldavitza, erschien. In rascher Folge erschienen eine Geschichte der Stadt Czernowitz und Umgegend (1874), Geschichte der einzelnen Klöster der Bukowina, der deutschen Siedelungen in der Bukowina u. s. w., im ganzen bis nun zu zehn Bünden, welche schon als Quellenwerke für den Historiker von großem Werte sind.
Erwähnung verdienen auch die Arbeiten Will). Schmidts, besonders über die ehemalige Hauptstadt der Bukowina: Suczava. Neues Leben in der geistigen Regsamkeit, welche direkt dem Heimatslande galt, brachte ein junger Historiker, Raimund Friedrich Kaindl. Begeisterte Liebe zum Heimatlande vereinten sich bei ihm mit ernstem Streben, gediegenem Wissen und einem unermüdlichen Forschungseifer. Er schlug den rechten Weg ein, indem er nach Popularisierung der Heimatkunde strebte und sich hierzu der periodischen Zeitschriften bediente. Was als Buch von wenigen beachtet und gelesen wird, dringt durch eine Zeitung, die sich eines ausgebreiteten Leserkreises erfreut, in die weitesten Volkskreise und weckt dort manche warme Mitempfindung für die Geschicke des Heimatlandes. Kaindl machte den ersten Versuch mit der Publikation einer Monographie „zur Geschichte der Stadt Czernowitz und ihrer Umgegend" in der „Bukowinaer Rundschau." In demselben Blatte veröffentlichte er auch den ersten Abschnitt der „Geschichte der Bukowina," sowie die hochbedeutsame Studie (gemeinsam mit dem Pfarrer Monastyrski): „Die Rutheuen in der Bukowina." Diese Arbeiten liegen nunmehr in Buchform vor und bilden vier Bändchen der Sammlung, welche den Titel: „Der Buchwald" führt. Was ich aber Kaindl als besonderes Verdienst anrechnen muß, ist sein Streben, von den Zuständen in der Bukowina, auch ich möchte sageu, der Außenwelt Kenntnis zu bringen. Seine Aufsätze finden gern Aufnahme im „Am Urquell," „Archiv" u. s. w.
Gutes Beispiel hat immer viel vermocht. So auch in diesem Falle. Kaindls unermüdlicher Eifer spornte andere an,
und heute hört und liest man von geistiger Arbeit, welche der Bukowina gilt. Der gr. or. Pfarrer Demeter Dan arbeitet an einem Werke: „Die Völkerschaften der Bukowina," dessen erstes bereits erschienenes Heft: „Die Lipowaner in der Bukowina" behandelt. Der Professor an der Czernowitzer Gewerbeschule Carl A. Romstorser schrieb für die „Wiener Zeitung" „Baudenkmale in der Bukowina" und widmete aus Anlaß der Landwirtschaftlichen Ausstellung in Wien dem „Bauernhaus in der Bukowina" eine ebenso interessante als lehrreiche Studie. In gemessenen Zwischenräumen erscheinen in der „Bukowinaer Rundschau" die von Kaindl redigierten „Buchenblütter," enthaltend „Anzeigen und Mitteilungen, die Geschichte, Geographie und Kultur der Bukowina betreffend." Wiglizki behandelte die Hausindustrie der Bukowina eingehend, kurz — es wird gearbeitet.
Es wäre nun noch die Frage zu beantworten, welchen Anteil die Bevölkerung, insbesondere die gebildeten Kreise des Landes, an diesen Arbeiten nehmen. Und die Antwort auf diese berechtigte Frage klingt traurig, ja beschämend; denn es muß eingestanden werden, daß sie fast gar keinen Anteil nimmt. Klein ist die Gemeinde derer, denen das geistige Leben des Landes am Herzen liegt. Von außen her, von der Bevölkerung kommt weder Aneiferung noch Unterstützung. Es fehlt die Gemeinsamkeit nationalen Empfindens. Von wirtschaftlichen Krisen schwer heimgesucht, ganz eingenommen von dem Kampfe ums Dasein, bleibt für heimntlündisches Streben, für ein liebevolles Eingehen ans die kulturellen Intentionen keine Zeit übrig. Man liest wohl viel Romane, um sich zu zerstreuen, um des Lebens Misere zu vergessen; aber man hat eine fast an Angst grenzende Scheu vor allen Produktionen menschlichen Geistes, welche auch an das Denken einige Anforderungen stellen. Selbst die geringe Anzahl derer, die ein gütiges Geschick mit irdischen Gütern reich gesegnet, meidet sorgsam Anstrengungen des Geistes. Man abonniert viele Zeitschriften, kauft vielleicht sogar ein Buch, für welches in der Tagespresse ein weithinschallendes Tam-tam geschlagen wird, natürlich eines weltfremden Autors. Die einheimischen Schriftsteller müssen sich schon glücklich schützen, wenn man in der Bukowina ihre Namen kennt und nennt. Ja, Freiexemplare ihrer Werke nimmt man freundlich entgegen, ist mitunter sogar böse, wenn ein eitler Autor der Ansicht ist, daß er bloß die Bücher schreiben und seine Landsleute dieselben kaufen sollen, und darum keine verschenkt. Ob aber selbst diejenigen. welche im Besitze von Exemplaren sind, die die Heimat betreffenden Bücher lesen, ist eine Frage, die ich unbedingt zu beantworten mich nicht getraue.
Die traurigste Rolle iu dieser Beziehung spielt aber unsere Jugend. Es ist kein Unterschied, ob werdender Kaufmann oder Student, man hat an allem Interesse, lebt und webt in allen Fragen des Tages, insbesondere wenn sie pikanter Natur sind, nimmt regen Anteil an der Politik, aber — die Litteratur ist eine fremde Dame mit ernstem Gesicht, da steht kein galantes Abenteuer in Aussicht und — man weicht ihr fein aus. Einzelne folgen wohl errötend und hochklopfenden Herzens den Spuren dieser Dame. Da giebt es sogar Anhänger des jüngsten Deutschland, welche, sagen wir als poetische Gegner den Verehrern der Klassiker und moderner Romantiker gegenüberstehen. Aber ach, es sind leider nur einzelne. Jene Masse, welche man Gesellschaft nennt, steht diesen Bestrebungen fern, man sieht so etwas als Zeitverschwendung an und flüchtet ans den Fechtboden, ins Kaffeehaus und dorthin, wo Gerstensaft geschenkt und auch gepumpt wird.
Es darf darum nicht wunder nehmen, wenn wir in der Bukowina es noch nicht so weit gebracht haben, auch für das geistige Leben des Landes einen Sammelpunkt zu schaffen. Das Vereinswesen steht bei uns in üppigster Blüte. Kaum ein Gewerbe entbehrt eines Vereines. Die Polen, Rumänen und Ruthenen haben ihre Lesehallen, wo sie nationale und auch internationale Litteratur pflegen. Die Stimmführer auf geistigem Gebiete, die Deutschen der Bukowina, die Kulturträger des Landes, sie haben es bis heute noch zu keiner Lesehalle gebracht, noch zu keiner Vereinigung sich gesammelt, welche der