Heft 
(1889) 48
Seite
779
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Deutschland.

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also der Verfasser der Genesis Abraham zu Loth sagen läßt: Sieh', das ganze Land liegt vor Dir ausgebreitet/ trenne Dich von mir;" und wenn Loth an das wasserreiche Ufer des Jordan gelangt und der Erzähler die Wendung gebraucht:Und Loth wählte sich den ganzen Umkreis des Jordan," so mußten dem Verfasser offenbar Zustände Vorschweben, da noch kein fester Landbesitz vorhanden war, da man sich damals die besten Weiden als herrenloses Gut aneignen konnte.

Lange freilich konnte dieser glückliche Zustand der Land­okkupation durch bloße Seßhaftmachung nicht andauern. Denn Menschen und Viehbestand vermehrten sich durch rationellere Fortpflanzung in ganz gewaltigem Umfang und in rapider Weise, während der Bodenbestand der gleiche blieb. Kollisionen waren unvermeidlich. Und so entstehen jene Raubzüge, die nicht mehr wie früher auf bloße Menschenbeute behufs Ge­winnung von reichtumzengendem Sklavenmaterial ansgehen, sondern auf die Verdrängung seßhafter Gentes oder Clans von ihren fetten Triften abzielen. Es beginnt mit einem Worte derKampf um die Erde," auf welche es im Urzustände keinen anderen Besitztitel als das Faustrecht giebt. Der kriegerische Typus der Menschen bildet sich aus. Das einzige Recht, welches der Wilde von jeher respektierte, war das Recht des Stärkeren. Wenn in früherer Periode die als Sklavenmaterial zu verwendende Menschenbeute vornehmster Anlaß und Ziel der Kriege, so dreht es sich jetzt meist um Besitzergreifung oder Besitzerweiternng des Bodens, wobei der Sklavenfang nur als willkommene Beigabe erscheint.

Aber auch in diesem Zustande der Menschheit, welcher die Periode der Barbarei im allgemeinen kennzeichnet und der bis znm Eintritt der Civilisation, wie sie uns zuerst die ägyptischen Hieroglyphen, das alte Testament und Homer zeigen, ange- danert haben dürfte, war der kommunistische Gesellschaftszustand wohl die Regel. Wie im früheren Wildheitszustande der be­wegliche, so wird jetzt in der Periode der Barbarei der unbe­wegliche Besitz gemeinsames Eigentum der Gens. Das Erb­recht ist ans dieser Stufe immer noch kein individuelles. Es sind weder die Kinder, noch der überlebende Gatte, welcher erbt, sondern das ganze Vermögen füllt an die Gens zurück, wie man dies beispielsweise heute noch in einzelnen Ablegern beim amerikanischen Stamme der Irokesen beobachten kann.

(Weitere Artikel folgen.)

Das geistige Leben in der Sukoimm.

Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Österreichs.

Von

Woriz Stekel.

Bukowina ist für viele eine terra inoo^nita. Es giebt gebildete Leute, die nicht wissen, daß sie eine im ent- ferntesten Osten der österreichischen Monarchie gelegene selbständige Provinz ist, die, bloß 10452 Quadratkilometer groß eine deutsche Sprachinsel - von Galizien, Rumänien, Rußland und Siebenbürgen eingeschlossen ist. Es ist der Außen­welt fremd, daß in diesem kleinen Ländchen, dessen Bewohner es mit VorliebeBuchenland" heißen, der Geist des großen Volkskaisers Joseph II. webt und wirkt, und daß die deutsche Sprache hier nicht nur ein Knlturfaktor, sondern auch eine Schutzwehr gegen die anderssprachliche Umgebung bildet.

Wenn auch die Bukowina keine einheitliche Bevölkerung besitzt, wenn in ihren Grund und Boden sich Rumänen und Rnthenen, eingewanderte Deutsche und ebensolche Ungarn teilen, so denkt doch die gebildete Bewohnerschaft deutsch, und der Bauer strebt das Gleiche an. Denn deutsche Schulen und deutsche Beamte haben das Buchenland, welches Österreich vor 115 Jahren von der Türkei übernahm, deutsch gemacht. Deut­sches Wesen und hauptsächlich die deutsche Sprache wurzeln tief in den Gewohnheiten der Bevölkerung, und selbst die mit­

unter auftauchenden Sondergelüste einzelner einheimischer Na­tionen, sowie insbesondere des polnischen Nachbars vermochten diese Grundlagen der Kultur der Bukowina nicht in einem andern nationalen Sinne zu verschieben. Auch die in Öster­reich jetzt in vollster Blüte stehende Nationalitätenpolitik konnte daran nicht viel ändern. Eine deutsche Hochschule in der Lan­deshauptstadt Czernowitz steht als Hochwart deutschen Wissens da. Mit welchen Gefühlen von Freude, Zuversicht und frohem Stolze wurde die Eröffnung dieser jüngsten deutschen ^Ima rnater im Jahre 1875 begrüßt. Man erwartete allgemein einen Aufschwung des geistigen Lebens im Lande, man sah sich bald allgemein getäuscht. Was so verheißungsvoll begann, verlief allmählich in den Sand. Was im Rausche der ersten Begeisterung versprochen, als schönes Ziel eines schönen Stre- bens hingestellt wurde, ward bald vergessen, lind heute ist die Hochschule zur Doktorenfabrik herabgesunken. Die Professoren, die an ihr wirken, betrachten die Versetzung nach Czernowitz als eine Art Deportation oder als eine Ruhestätte, wo sie ihren privaten Arbeiten ohne Störung obliegen können, oder als eine Vorschule für eine Professur an einer älteren größeren Universität, oder aber, wie der Fall mit dem bekannten Geo­graphen Prof. Lenz bewies, als eine Unterkunftsstütte, wo der Name in der Liste figuriert, der dazu gehörige Mann aber in der fernen Fremde einer anderen Beschäftigung obliegt.

Jeder geistige Kontakt mit der Bevölkerung fehlt. Die schüchternen Versuche, die etwa gemacht wurden, blieben Ver­suche. Zwischen den hierzulande geltenden Anschauungen und den von außen her durch manche Professoren importierten be­steht keine Kongenialitüt. Und als es klar wurde, daß einige Lehrer der Hochschule von der Pest des Antisemitismus infiziert sind, als man wahrnahm, daß Bildung nicht frei im Geiste macht, sondern einzelne sogar zu Anhängern und Förderern des Jesuitismus, der in Czernowitz sich in allerjüngster Zeit ein Nest erbaut hat, herabwürdigte, wurden alle Beziehungen jäh und fast erschrocken abgebrochen. (Es sei hier bemerkt, daß es auch Ausnahmen, wie Prof. Handel, Kleinwüchter u. s. w., giebt.) Als ein fremder Körper, geduldet, aber nicht geliebt, steht heute die Professorenschaft der ersten Schule des Landes da. Es giebt manche unter ihnen, die auch draußen im Reiche sich einen Namen gemacht haben, wie der genial veranlagte Grawein, der Historiker Loserth, der insektenkundige Gräber, der Entdecker der Zellenvcrbindungen Tangl, Przybram u. s. w., jedoch in der Bukowina fühlt und kennt man ihr Wirken nicht. Es regt nicht an, und die Bevölkerung, in solchen Fällen leicht geneigt zu Annexionen, reklamiert keinen znm Ruhme des Hei­matlandes. Sie kamen als Fremde hierher und sind es ge­blieben.

Eine rühmenswerte Ausnahme von diesem befremdlichen Sichfernehalten von den geistigen und kulturellen Interessen des Landes bilden der Custos der Universität Johann Pelek und der Professor Sbierra. Ersterer lieferte manchen interessanten Beitrag zur Volkskunde der Bukowina, indem er Abhandlungen über Lipowaner und Juden in der Bukowina publizierte und eben an einer solchen über die Protestanten arbeitet. Letzterer machte sich unter anderem nach der gleichen Richtung durch eine gewissenhafte Sammlung der im Buchenlande gebräuch­lichen rumänischen Weihnachtslieder und Volkserzählungen verdient.

Und von anderen Lehranstalten des Landes, von den drei Gymnasien und der Realschule ging ebensowenig wie von der erstgenannten Anstalt irgendwelche geistige Anregung aus. Die Lehrkräfte obliegen mit großer Gewissenhaftigkeit ihren Pflichten. Die Söhne der Bukowina sind zumeist reich an Wissen; aber es ist wie ein totes Kapital, welches keine Zinsen trügt, es gleicht dem Boden, der in seinem Schoße wohl manchen Keim, so manches Saatkorn birgt, welches jedoch dem Auge des Wanderers nicht sichtbar ist. Die Arbeiten, welche alljährlich in den Schul-Prvgrammen publiziert werden, sind fast nie von allgemeinem Interesse.

Es war das nicht immer so. Es gab auch in der Bu-