Heft 
(1889) 48
Seite
778
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Deutschland.

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geschichtlichen Kommunismus lassen sich fast überall Nachweisen, zumal einzelne Ausläufer desselben bis in unsere Gegenwart, ja selbst bis ins Herz der eivilisierten Welt hinabreichen. Denken wir an den griechischen Dridus oder an den a^sr xudlimm der Römer nnd Skandinavier, weisen wir hin auf die gemeinsamen Wälder der Germanen, auf die Einrichtung des Jubeljahrs bei den Hebräern, so können wir uns all dies nur als letzte Überbleibsel eines ehemaligen Kommunismus erklären. Und wenn ein Virgil, Tibull oder Ovid das ent­schwundene goldene Zeitalter als ein solches Preisen, da es noch kein Privateigentum gab, so ist dies wohl mehr als dichterische Fiktion. Es ist wohl der Niederschlag einer im Volksbewußt­sein sich fortspinnenden Tradition eines primitiven Kommunis­mus. In Indien, Mexiko und Peru sind in einzelnen Gesell­schaftseinrichtungen und Rechtsinstitutionen heute noch die Nach­wirkungen des ehemaligen Kommunismus verspürbar. Ja, in einer Anzahl noch heute lebender wilder Völkerschaften ist einer­seits der Eigentumsbegriff nur höchst mangelhaft entwickelt, wie Lichtenstein von den Buschmännern erzählt, daß der Schwächere dem Stärkeren ohne weiteres seine Waffen, sein Weib, ja sogar seine Kinder abtritt, ohne das Gefühl der Eigentumsverletzung zu haben, andererseits ist ein voller Kommunismus mit Aus­schluß der Hütten und Werkzeuge bei einigen Stämmen noch in Geltung, wie beispielsweise bei den Comanchen und brasi­lianischen Indianern. Doch brauchen wir zum Erweise des primitiven Kommunismus gar nicht auf wilde Völkerschafteu zurückzugreifen, da uns einige Stümpfchen desselben in unserer eigenen Kultur entgegentreten: Die germanische Mark in Deutsch­land und den Niederlanden, das Gemeindeland in Belgien und Frankreich, die Allmand in der Schweiz, der eine ähnliche Institution in derAllmaennegar" in Finnland und Skandinavien entfpricht. Den schlagendsten Beweis des primitiven Kommunis­mus aber liefert die Dorfgemeinschaft, der sogenannteMir" in Rußland, dem klassischen Lande derKnutokratie," wie Eugen Dühring es benannt hat. Hier handelt es sich nicht mehr um eine ausgestorbene Institution, von welcher nur noch ein letztes Stümpfchen als Abzeichen einstigen Daseins übrig wäre, son­dern um eiue in der Gegenwart immer noch fortwirkende, lebenskräftige, soziale Einrichtung, auf welche ein Teil der vor­geschrittenen Sozialisten in Rußland ihre Hoffnungen in der Meinung setzt, es werde gelingen, ans diesen alten, knorrigen Baumstumpf des primitiven Kommunismus das junge Reis des modernen aufzupfropfen.

Wie dem aber auch sein mag, so steht die Thatsache un­erschütterlich fest, daß wir das Kollektiveigentum als Urform des Besitzes anzusehen haben. Nun erhebt sich die für uns so eminent wichtige, den springenden Punkt dieser Auseinander­setzungen ausmachende Frage: Wie haben wir uns die Evolution des Privateigentums aus dem ursprünglichen Zustande des Ge­meinschaftsbesitzes zu denken? Welche waren die treibenden sozialen Motive, die alle Völker der Erde mit steigender Kultur dem ursprünglichen Kommunismus abwendig gemacht und einem immer schärfer sich zuspitzenden Jndividualbesitz entgegengeführt haben? Woher kommt es endlich, daß ähnlich wie wir die Monogamie als ständige Begleiterscheinung der Kultur haben beobachten können, auch der Jndividualbesitz sich desto typischer ausbildet, je höher ein Volk civilisatorisch steigt? Da aber das individuelle Eigentum sich bei allen Kulturvölkern ausnahms­los aus dem ursprünglich kollektiven herausgestaltet hat, so kann dies kein Zufall mehr sein, sondern es ist unstreitig ein naturnotwendiger Prozeß, das Gesetz nämlich einer kontinuir- lichen Desintegration des Eigentums, welches jener auffälligen Erscheinung zu Grunde liegt.

Versuchen wir nun, diesen Prozeß in seinen einzelnen Phasen zu verfolgen. Die ursprüngliche geschlechtsgenossenschaft­liche Gütergemeinschaft kennt, wie Post gezeigt hat, gar kein individuelles Rechtssubjekt. Weun Rechtsverbindlichkeiten zwischen verschiedenen Clans entstehen, so haftet nicht das einzelne Indi­viduum innerhalb des Clans, sondern der gesamte Clan als solcher, der allenfalls durch den Häuptling desselben in juridischem

Sinne vertreten wird. Und doch ließ sich auf die Dauer selbst in dieser Primitivgemeinschaft der Kollektivismus nicht streng durchführen. Die Gerätschaften zur Nahrungsgewinnung z. B., wie Fischnetze, Bogen und Pfeil u. s. w., mußten doch offenbar der Körperbeschaffenheit der einzelnen Individuen vielfach an­gepaßt sein. Recken brauchen doch wohl andere Werkzeuge als Pygmäen. Und so dürfte die physiologische Ungleichheit der Menschen die erste Differenzierung d. h. Individualisierung des Eigentums zunächst an Gerätschaften herbeigeführt haben. Das Mobiliarvermögen war also unfraglich Anstoß nnd Beginn der Bildung von Privateigentum. Mit der Domestikation der Tiere, durch welche der Übergang von den Jügervölkern zu den Hirtenvölkern sich vollzog, ganz besonders mit der Domestikation des Schafes worauf v. Baer hingewiesen hat tritt in den Eigentumsverhältnissen eine förmliche Revolution ein. Wäh­rend bis dahin Eigentum Siun und Bedeutung nur hatte für den täglichen Nahrungsbedarf, beginnt bei den Hirtenvölkern durch die Züchtung von Herden der Prozeß der Kapitalbildung. Indem durch die Domestikation die Natur an Fleisch und Milch eine größere Fülle von Nahrungsmitteln bot, als man ver­nünftigerweise augenblicklich verzehren konnte, bildet sich der Gedanke einer Aufspeicherung von Gütern für die Zukunft aus, und damit stehen wir an der Wiege des Reichtums, der wieder seinerseits die Institution des Erbrechts aus sich heraus er­zeugt hat. Die Zeichuung der Haustiere war der erste große Schritt zur Kapitalbildung. Das ergiebt sich aus einer Fülle von Beobachtungen, die Mommsen zuerst folgendermaßen glück­lich formuliert hat: Das Eigentum hat sich uicht an den Liegen­schaften, sondern zunächst an Sklaven- und Viehstand (lamilia pseuaiagus) entwickelt. So heißt die älteste römische Form des Eigentnmserwerbs nmneipatio, Handergreifnng, und das paßt offenbar nur auf beweglichen Besitz (Vieh). Die älteste römische Bezeichnung des Vermögens alsViehstand" ist ein fernerer unwiderleglicher Beweis dafür. Bei Homer wird der Begriff des Wertes durch die Zahl der BiehhÜnpter ansgedrückt. Die Ableitung des lateinischen peouilla (Geld) von paaus (Vieh) ist allbekannt. Interessant ist die Bemerkung Lavelayes, daß auch im Isländischen und Norwegischen dasselbe Wort für Vermögen und Vieh gebräuchlich war (nämlich l'L und le). Auf primitiven Stufen kennt man eben noch keine Metallmünze; der Tauschverkehr vollzieht sich vielmehr meist durch Viehzählung.

Nicht zu lange nach der Viehzucht dürfte die Sklaverei entstanden sein. Sobald die Menschen in den Herden eine große Reichtnmsquelle entdeckt hatten, waren immer Menschen zur Beaufsichtigung der Herden nötig. Jetzt beginnen die Ranb- züge der stärkeren Clans oder Stämme, die anfänglich wohl kein anderes Ziel hatten, als Gefangene zu erbeuten, die man zu Hanse als Pferdehüter sehr gut verwenden konnte. Die Sklavenjagden waren seither und sind unter gewissen Völker­schaften heute noch eine weitere Quelle des Wohlstandes.

Mit dem Wachstum der Herden steigert sich naturgemäß das Interesse für Bodenbesitz. Gutes Weideland, fette Wiesen werden jetzt viel umworbene Besitztümer, weil sie die unent­behrliche Unterlage für das Gedeihen der Viehherden bilden. Es beginnen die großen Nomadenzüge der Gentes oder Clans, die im wesentlichen darauf abzielten, möglichst feiste Triften für den Viehbestand ausfindig zu machen. Schon dabei dürfte es kleine Scharmützel abgesetzt haben, wie uns das Beispiel Abra­hams und seines Neffen Loth zeigt, deren Herdenhüter wegen des Weidelandes in Streit gerieten, so daß der Patriarch sich von seinem Neffen mit dem recht primitiven geographischen Hinweis trennte:Gehst Du zur Linken, so werde ich mich rechts halten; gehst Du zur Rechten, so halte ich mich links." Die in der Genesis geschilderten agrarischen Zustände sind über­haupt eine höchst beachtenswerte Quelle der Belehrung über vorgeschichtliche Kulturverhültnisse. Und mögen diese Schil­derungen nichts weiter sein als der Niederschlag einer im Volks­bewußtsein lebendigen Tradition über geschichtlich weit zurück­liegende Kulturzustünde, so sind sie doch als Spiegelungen einer so uralten Tradition höchst bemerkenswerte Zeugnisse. Wenn